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Bruch des EU-Türkei-Abkommens
Eskalation an der griechischen Grenze

Die Türkei hindert Flüchtlinge nicht mehr daran, in die EU zu gelangen. Tausende versuchen über die Grenze nach Griechenland zu kommen. Die Camps auf den Inseln sind völlig überfüllt. Während die griechische Regierung ihre Migrationspolitik verschärft, tritt die EU bei der Lösungssuche auf der Stelle.

Von Rodothea Seralidou und Paul Vorreiter |
01.03.2020, Türkei, Pazarkule: Migranten stehen am bereits geschlossenen türkisch-griechischen Grenzübergang und halten ein Pappschild mit der Aufschrift "We are human we want our basic humanity" (Wir sind auch nur Menschen und wollen Menschlichkeit). An dem türkisch-griechischen Grenzübergang sind tausende weitere Flüchtlinge mit dem Ziel EU eingetroffen, nachdem bereits Tausende dort bereits die Nacht unter freiem Himmel verbracht haben. Foto: Ahmed Deeb/dpa | Verwendung weltweit
Migranten an geschlossenem türkisch-griechischen Grenzübergang (dpa)
Ein überfülltes Schlauchboot mit Flüchtlingen und Migranten aus der Türkei kommt an der Küste der griechischen Insel Lesbos an. Darunter viele Frauen und Kinder. Doch vorerst können die Bootsinsassen nicht an Land. Aufgebrachte Inselbewohner hindern sie daran, rufen: "Geht zurück in die Türkei! Zurück zu Erdogan!". Eine Szene vom vergangenen Wochenende.
Seit wenigen Tagen hindert die Türkei Flüchtlinge, die in die EU gelangen wollen, nicht mehr am Grenzübertritt nach Griechenland.
"Was haben wir schon vor Monaten gesagt: Wenn es so weitergeht, dann sind wir gezwungen, die Grenzen zu öffnen. Das hat denen nicht gepasst, sie haben es nicht geglaubt. Aber was haben wir getan. Wir haben die Grenzen geöffnet."
Eigentlich hatte sich die Türkei durch ein Abkommen mit der EU aus dem Jahr 2016 dazu verpflichtet, Flüchtlinge auf türkischem Boden zu halten – zum Beispiel durch stärkere Küstenpatrouillen. Im Gegenzug bekam die Türkei dafür finanzielle Hilfe von der Europäischen Union – bislang gut drei Milliarden Euro nach Angaben der EU. Erdogan aber steht seinerseits an der Grenze zu Syrien unter Druck: Denn, weil die Gefechte in Syrien heftiger geworden sind, versuchen immer mehr Menschen aus Syrien in die Türkei zu fliehen.
Flüchtlingslager Moria in Griechenland
Tausende Menschen leben in Moria zwischen Abfällen und Dreck, Kinder spielen zwischen Müllbergen (Deutschlandradio / Rodothea Seralidou)
Flüchtlingscamps sind hoffnungslos überfüllt
Die Situation an der türkisch-griechischen Grenze jedenfalls eskaliert. Tausende haben sich auf den Weg gemacht – harren hinter dem von griechischer Seite geschlossenen Grenzübergang am Fluss Evros aus oder kommen mit Booten auf den Inseln an. Ein Kind starb am Montagmorgen vor der griechischen Insel Lesbos beim Kentern eines Boots.
Mehr als 1.300 Migranten haben es laut Angaben der griechischen Regierung schon auf die Inseln geschafft. Dabei sind die Flüchtlingscamps schon jetzt hoffnungslos überfüllt.
Das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos – konzipiert für 3.000 Migrantinnen und Migranten: Heute leben etwa 20.000 Menschen hier – größtenteils aus Afghanistan, Syrien, dem Irak, Somalia und dem Kongo. Die meisten von ihnen leben außerhalb des offiziellen Lagers, in den benachbarten Olivenhainen. Auch diejenigen, die es in diesen Tagen über die Grenze schaffen, werden hierher gebracht.
"Dschungel" nennen die Geflüchteten diese Flächen: Wohncontainer gibt es hier nicht. Nur kleine Campingzelte soweit das Auge reicht und selbstgebaute Hütten; die eine neben der anderen. Ständig werden neue Hüten zusammengehämmert.
Flüchtlingslager Moria in Griechenland
Seit vier Monaten lebt Roya Mousavi mit ihrer Familie in Moria - und daran wird sich so schnell auch nichts ändern (Deutschlandradio / Rodothea Seralidou)
In so einer provisorischen Bleibe lebt auch Roya Mousavi mit ihrem Mann und ihren drei Kindern:
"Wir haben die Hütte selbst gebaut, denn man hat uns nur dieses kleine Zelt hier gegeben, für fünf Leute. Wir haben Holz benutzt, Pappkartons, Kunststoffplanen. Und Nägel. Das war es. Wegen der Feuchtigkeit wird es innen oft nass; wenn es regnet, tropft es durch die Decke. Und wenn die Sonne scheint, haben wir jede Menge Insekten, das erschreckt meine Kinder."
Zahlreiche Migranten warten nach ihrer Ankunft am bereits geschlossenen türkisch-griechischen Grenzübergang bei Pazarkule.
Migrationspolitik - EU braucht einen Neustart
Der türkische Präsident Erdogan hat der EU mit mehr Flüchtlingen gedroht und die Europäer damit kalt erwischt, kommentiert Paul Vorreiter. Die EU habe es in den letzten Jahren versäumt, eine neue Migrationspolitik zu entwerfen.
Leben zwischen Müll und Fäkalien
Die 40-jährige Afghanin trägt ein gelbes Kopftuch. Ihr Gesicht wirkt müde und deutlich älter als sie ist. Seit vier Monaten lebt Roya Mousavi mit ihrer Familie in Moria – und das wird wohl erst einmal auch so bleiben. Ihr Interviewtermin bei der griechischen Asylbehörde ist erst im Herbst, sagt sie:
"Nachts ist es so kalt hier, dass mir mittlerweile alle meine Knochen wehtun. Strom gibt es hier nicht. Überall liegt Müll herum. Und die Toiletten - das dreckige Wasser mit den Fäkalien kommt raus und fließt unter unsere Zelte. Wenn wir uns waschen wollen, müssen wir unsere Nase zuhalten, so sehr stinkt es in den Duschen."
Der Gestank von vergammelten Essensresten mischt sich mit dem von verbranntem Holz. Holz, das die Migranten in Moria für alles nutzen: Sie machen Feuer, halten ihre Hände darüber, um sich zu wärmen. Oder sie kochen damit in selbstgebastelten Öfen. Roya Mousavi zeigt um sich: Überall leere Plastikflaschen, Berge von blauen Mülltüten. Dazwischen spielen Kinder, viele tragen nur Flip-Flops oder kaputte Schuhe. Ein Mädchen lächelt. Seine Zähne sind bis aufs Zahnfleisch verfault.
Kranke Kinder, überforderte Helfer
Dass die Menschen in Moria, insbesondere die 7.000 Kinder des Lagers, unter solchen Bedingungen leben müssen, sei absolut inakzeptabel, sagt Marco Sandrone, Sprecher der Nichtregierungsorganisation Ärzte Ohne Grenzen auf Lesbos. Zusammen mit einer Partnerorganisation betreibt Ärzte ohne Grenzen gegenüber des Camps eine mobile Kinderklinik. Etwa 100 kleine Patienten pro Tag würden hier behandelt, sagt Sandrone:
"Wir versuchen, diesen Kindern zu helfen. Sie haben normale Kinderkrankheiten: eine Erkältung, Durchfall, einen Hautausschlag, einfache Sachen. Oder aber, und das sehen wir immer häufiger, sie haben chronische Krankheiten, komplexe Krankheitsbilder, die spezialisierte ärztliche Behandlung benötigen."
Manfred Weber (CSU), stellvertretender Parteivorsitzender der CSU, spricht beim Deutschlandtag der Jungen Union
Weber (CSU): "An der EU-Außengrenze muss Recht und Ordnung durchgesetzt werden"
Der CSU-Politiker und EVP-Vorsitzende im Europaparlament, Manfred Weber, hält das Vorgehen der griechischen Regierung für richtig, Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze zurückzuweisen. Die Menschen müssten kontingentiert und nicht unkontrolliert aufgenommen werden.
Herzkranke Kinder, Κinder mit Diabetes und epileptischen Anfällen: Solche Fälle kann die Kinderklinik nicht behandeln. Sie leitet sie ans staatliche Krankenhaus von Mytilini weiter, der Hauptstadt der Insel. Doch auch das sei mit dem Andrang komplett überfordert und könne den kranken Kindern kaum helfen, sagt Marco Sandrone:
"Deswegen üben wir Druck auf die griechische Regierung aus, diese Kinder aus Moria rauszuholen, sie aufs Festland zu transportieren und sie in andere Länder zu bringen, die verantwortungsbewusst genug sind, diese Kinder willkommen zu heißen.
Für uns als medizinische Organisation haben Kinder mit chronischen Krankheiten Priorität. Sie müssen Moria verlassen, so schnell wie möglich, bevor sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlimmert."
"Wir wollen, dass die Flüchtlinge alle verschwinden"
Doch auch auf dem Festland gibt es nicht genug Plätze für die Kinder aus Moria und ihre Familien – und die EU-Staaten sind sich immer noch uneinig, ob und inwieweit Minderjährige aus den griechischen Camps aufgenommen werden sollen. Auch, wenn es sich um Minderjährige handelt, die ohne ihre Eltern in Moria überleben müssen. Dass seit wenigen Tagen die türkische Küstenwache Boote mit Migranten an der türkischen Küste nicht mehr zurückhält, setzt die Insel weiter unter Druck. Wohin mit den Neuankömmlingen, wenn das Lager aus allen Nähten platzt?
Das fragen sich auch die überwiegend älteren Männer im Dorf-Café von Moria, etwa zwei Kilometer vom Flüchtlingslager entfernt. Sie haben nach fünf Jahren, in denen ihr Dorf zum Synonym des griechischen Flüchtlingsdramas geworden ist, die Nase voll. Am Anfang haben ihnen die Flüchtlinge leidgetan, sagen sie. Sie hätten ihnen geholfen, sie mit Essen und Kleidung versorgt. Mittlerweile aber sind sie nur noch wütend. Sie schimpfen auf die Regierung, auf die Migranten, auf die NGOs und haben sogar eine Art Bürgerwehr gegründet, die nachts die Einfahrt ins Dorf kontrolliert.
"Wir wollen, dass die Flüchtlinge alle verschwinden. Geht das? Vorgestern wurden wieder Schafe gestohlen, es wird eingebrochen, sie machen unsere Olivenbäume kaputt. Schaut her, der Laden gegenüber hat Eisenstangen vor die Fenster montiert, und der da auch!"
Die EU habe sie mit den Flüchtlingen alleine gelassen, sagen sie. Hauptsache, die anderen EU-Staaten müssten sich nicht um Migranten kümmern. Was das für die Bevölkerung auf den Ägäis-Inseln bedeutet, interessiere aber niemanden. Dabei seien sie für die Geflüchteten nichts weiter als ein Tor nach Europa; die Migranten wollten nach Deutschland, Frankreich, Schweden, nicht nach Griechenland, sagen sie.
Hoffen auf eine EU-weit gemeinsame Lösung
An die anderen EU-Staaten appelliert auch die griechische Regierung und hofft auf eine Lösung auf europäischer Ebene. Sie forderte zusätzliche Hilfe bei der Grenzschutzagentur Frontex an. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach, man sei bereit, bei der Sicherung der Landgrenze zu helfen. Am Dienstag wollen sich die EU-Vertreter ein Bild von der Lage in den griechischen Grenzregionen machen.
Die EU jedenfalls halte sich weiter an Abkommen mit der Türkei, stellte von der Leyen klar. "Ich erkenne an, dass die Türkei in einer schweren Situation ist, was die Lage der Migranten angeht. Aber was wir jetzt sehen, kann keine Lösung sein. Wir haben einen Dialog auf allen politischen Ebenen mit der Türkei eingerichtet, um eine gemeinsame Linie zu finden, was die Migranten in der Türkei brauchen und wo Unterstützung nötig wäre - wissend, dass wir ein Flüchtlingsabkommen haben, dem wir uns verpflichtet fühlen."
Alle diese Reaktionen aus Brüssel lassen sich unter Krisenbewältigung fassen. Wie Europa dauerhaft und nachhaltig Migration regeln möchte, darauf bleibt die EU nach wie vor eine Antwort schuldig. Die ursprünglich geplanten Asylreformen konnten deshalb noch nicht in Kraft treten, da sich bei einigen Aspekten die Staaten völlig verhakt haben. Bei der Umverteilung der ankommenden Flüchtlinge zum Beispiel.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht im Dezember 2019 in Brüssel über den "Green Deal".
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betont, dass sich die EU an den Asylpakt mit der Türkei halte - die Menschen auf den griechischen Inseln in den Lagern leiden dennoch (picture alliance / Zheng Huansong)
EU tritt bei der Asylreform auf der Stelle
Eine Gruppe von vor allem osteuropäischen Ländern weigert sich, Migranten aufzunehmen. Auch die Idee, dass sich Länder wie Polen oder Ungarn, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, mit Geld solidarisch zeigen, ist auf Kritik unter den Mitgliedsstaaten gestoßen. Wenn sich manche aus ihrer Verantwortung freikaufen könnten, wer würde sich letztlich noch um die Flüchtlinge kümmern?
Und so tritt die EU mit Blick auf eine Asylreform auf der Stelle – obwohl Kommissionspräsidentin von der Leyen versprochen hatte, den gordischen Knoten zu lösen: "Ich werde einen neuen Migrations- und Asylpakt vorlegen, der die Dublin-Regeln reformiert. Das wird uns erlauben, volle Bewegungsfreiheit im Schengen-Raum wiederherzustellen. Ein Kernstück ist eine verstärkte europäische Grenzschutzagentur. Wir müssen unser Asylsystem modernisieren. Ein gemeinsames europäisches Asylsystem muss vor allem eines sein: gemeinsam."
Wie es der EU-Kommission gelingen soll, dieses gemeinsame Asylsystem zu etablieren, das wird in Brüssel mit Spannung erwartet. Noch im Frühjahr sollen die Pläne vorgestellt werden. Das Argument der griechischen Regierung, die EU lasse Griechenland im Stich, lässt die Kommission jedenfalls nicht gelten.
"Wir modernisieren die Unterkünfte, indem wir neue Container aufstellen, das Wasser-, Strom- und Abwassernetz verbessern, Heizungen bereitstellen, ebenso regensichere Zelte, Generatoren, Betten, Matratzen, Regenmäntel und Winterkleidung für alle fünf Hotspot-Inseln sowie Fylakio in Evros. Auf Samos finanzieren wir ein neues, doppelt so großes Empfangs- und Registrierungszentrum.
Außerdem unterstützen wir die Überbringung von besonders schutzbedürftigen Asylbewerbern, unter ihnen unbegleitete Minderjährige, auf das Festland."
Teilt die Brüsseler Behörde mit. Seit 2015 hat die Kommission Griechenland mehr als 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Ein Großteil der Gelder geht aber nicht direkt an die griechische Regierung, sondern kommt Griechenland indirekt über das UN-Flüchtlingskomittee, die Internationale Organisation für Migration und NGOs zu Gute.
Tausende von Flüchtlingen versuchen von der Türkei aus über die EU-Grenze nach Griechenland zu gelangen.  
Flüchtlinge versuchen über den Fluß nach Griechenland zu gelangen. (picture-alliance/abaca/Can Erok)
Grenzschutzunterstützung statt Lösungssuche
Zusätzlich unterstützt Brüssel Griechenland im Grenzschutz und im Asylverfahren: So hat die europäische Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland knapp 450 Mitarbeiter, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, kurz EASO, ungefähr 400 Mitarbeiter, die meisten von ihnen auf den Inseln. Dort nehmen sie Fingerabdrücke ab, helfen in Übersetzungsfragen oder erstellen Protokolle.
Und dennoch: Auf den Ägäis-Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos leben mittlerweile über 40.000 Menschen in menschenunwürdigen Camps, in denen Platz für lediglich 6.000 Menschen ist. Ohne eine neue EU-Regelung wird Griechenland langfristig nicht vom Fleck kommen. Derweil hat die griechische Regierung beschlossen, die Camps zu schließen und durch geschlossene Registrierungs- und Aufnahmezentren zu ersetzen. Die Bürgermeister auf den Inseln aber stemmen sich gegen das Vorhaben – obwohl sie der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia nahe stehen.
Tasos Balis, Pressesprecher der Stadt Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, erklärt warum: "Seit sieben Monaten wird das Problem größer und größer. Wir hatten 4.000 Migranten, jetzt sind es 20.000 und niemand hat auch nur das Geringste dagegen unternommen. Wer sagt uns also, dass es nicht 100.000 werden können? Die Menschen hier auf Lesbos sind überzeugt: Sollte jetzt noch ein Lager gebaut werden, wird es langfristig zwei geben. Wir wollen auf Lesbos aber keine Abstellkammer für Migranten werden."
Was genau unter "geschlossenen Lagern" zu verstehen ist, ist bislang unklar. Unter gewissen Voraussetzungen seien diese jedoch hinnehmbar, sagt Boris Cheshirkov, Sprecher des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, kurz UNHCR, in Athen:
"Wenn es in den neuen Registrierungszentren einen kontrollierten Ein- und Ausgang gibt, die Migranten also rein und raus können, und es zum Beispiel eine nächtliche Ausgangssperre gibt, dann hätten wir als UNHCR nichts dagegen. Solche Lager gibt es vielerorts in Europa.
Wenn es aber wirklich abgeschlossene Zentren sein sollten, dann wären wir dagegen, weil wir als UNHCR der Ansicht sind, dass Asylbewerber nur in absoluten Ausnahmefällen festgehalten werden sollten."
Bis zu 200 Abschiebungen pro Woche geplant
Das Lager-Konzept sei nur ein Teilaspekt der neuen Flüchtlingspolitik der konservativen Regierung, betont Migrationsminister Mitarakis. Große Hoffnungen lege die Regierung auch auf ein schnelleres Asylverfahren und die Abschiebungen in die Türkei. Sie seien seit Jahresbeginn gestiegen, bis zu 200 Abschiebungen pro Woche will die Regierung erreichen. Sodass langfristig nur so viele Migranten auf den Inseln verbleiben, wie die neuen Lager tragen können.
Doch angesichts der jüngsten Ereignisse ist alles in der Schwebe. Wird Griechenland überhaupt noch abgewiesene Migranten in die Türkei zurückschicken können, wenn die Türkei sich nicht mehr an das Abkommen von 2016 hält? Oder versucht Erdogan mit der Grenzöffnung die EU nur kurzfristig unter Druck zu setzen, um die europäische Unterstützung im Syrienkonflikt zu erzwingen?
Flüchtlingslager Moria in Griechenland
Aus der ursprünglichen Hilfsbereitschaft der griechischen Insel-Bewohner ist mittlerweile oft Ablehnung gegenüber den Flüchtlingen geworden (Deutschlandradio / Rodothea Seralidou)
Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas kritisiert, dass die Türkei die Flüchtlinge gezielt und gesteuert zur Grenze bringen würde: "Anstatt die Machenschaften der Schlepper zu begrenzen, ist die Türkei selber zu einem Schlepper geworden. Die Personen, die sich an der Grenze versammelt haben, versuchen mit Gewalt griechischen Boden zu erreichen, obwohl ihnen von griechischer Seite mit allen Mitteln klargemacht wurde, dass kein Durchgang erlaubt ist."
Eine völkerrechtlich problematische Strategie
Die Antwort aus Griechenland ließ nicht lange auf sich warten: Die Regierung stockte sowohl die Küstenwache vor den Inseln auf, als auch die Militär- und Polizeipräsenz entlang des Grenzflusses Evros. Und sie beschloss, den Zugang zum Asylverfahren für Migranten zu stoppen: Neue Asylanträge werden für einen Monat ausgesetzt und diejenigen, die illegal das Land erreichen, werden nicht als Asylbewerber registriert und werden, da wo es möglich ist, zurückgebracht werden. Eine völkerrechtlich problematische Strategie, wie der Sprecher des UN- Flüchtlingshilfswerks, Boris Cheshirkov, erklärt.
Wie sich die neue Situation auf die Migrantinnen und Migranten auswirken wird, die schon seit Monaten im Camp Moria ausharren:
Die Menschen im Lager wissen es nicht. Roya, die afghanische Mutter mit dem gelben Kopftuch, hofft weiterhin auf ein faires Asylverfahren und darauf, dass sie und ihre Familie das Camp so schnell wie möglich verlassen können.
Sie wünscht sich, dass es ihren Kindern gut geht und sie ein ganz normales Leben führen können. Eine Wohnung, in der es nicht durch die Decke tropft und sie sich beim Waschen nicht mehr Nase und Mund zuhalten muss.