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Brückenbauer Sport?
Was Sportgroßereignisse leisten können - und was nicht

Immer wieder wird vor sportlichen Großveranstaltungen über die politische Situation im jeweiligen Gastgeberland diskutiert. So auch nach der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften an Russland und Katar, es hagelte Kritik für die FIFA. Dabei betonten Verbände in solchen Fällen gerne die "friedensstiftende Wirkung" des Sports. Doch was ist da überhaupt dran?

Von Gesine Dornblüth |
    Eröffnung des FIFA-Fan-Fests in Moskau
    Eröffnung des FIFA-Fan-Fests in Moskau (imago sportfotodienst/Mikhail Japaridze/TASS )
    Es gilt als eines der größten Sport-Duelle des vergangenen Jahrhunderts: Die Summit Series im Eishockey zwischen Kanada und der Sowjetunion im Herbst 1972. Die ersten vier Spiele wurden in Kanada, die nächsten vier in Moskau ausgetragen. Andrej Kolesnikow war damals ein kleiner Junge. Heute ist er Politologe beim Carnegie Zentrum, einer Denkfabrik in Moskau. "Das Image der Kanadier war damals nicht besonders gut: Die prügelten sich, die kauten Kaugummi. Dann kamen sie zu uns. Und für kleine sowjetische Jungs, die wild nach Eishockey waren, wurden die Kanadier zu Helden. Wir erinnern uns an alle ihre Namen. Wir erinnern uns, wie sie aussahen. Das hat uns geprägt. In dem Sinn kann Sport eine liberalisierende Kraft sein."
    Diese liberalisierende Kraft zeige sich allerdings nur bei einfachen Leuten, meint Kolesnikow. Die große Politik lasse sich von Sport nicht beeinflussen – nicht mal die der Gastgeberländer. "Erinnern wir uns an die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Die Sowjetunion hatte damals Truppen in Afghanistan. Und sie hat ihre Afghanistan-Politik nicht verändert. Oder haben die Olympischen Spiele im faschistischen Deutschland zur Befriedung des Hitler-Regimes beigetragen? Nein. Hitler hatte ein Interesse, diese Olympischen Spiele durchzuführen, und sich ein weiches und friedliebendes Gesicht zu geben. Aber er hat die Weiterentwicklung und Verhärtung des Systems für keine Sekunde gestoppt."
    Sportverbände glauben an nachhaltigen Einfluss auf die Politik
    Dennoch dominiert bei den Sportverbänden die Auffassung, Sport baue Brücken, bringe Menschen zusammen, stifte Frieden. Das ist auch während der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland wieder zu hören. Christian Klaue ist Sprecher des Deutschen Olympischen Sportbunds, DOSB, und hat bis vor wenigen Monaten für das IOC gearbeitet. Er bezeichnet den Sport als eine "riesige Kommunikationsplattform". "Und auf dieser Kommunikationsplattform haben Sie natürlich die Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen und über Themen zu sprechen. Und das geschieht regelmäßig beim Sport. Das hat man jetzt bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang gesehen."
    Closing Ceremony,Schlussfeier. Einmarsch der Sportler aus Nodkorea und Suedkorea. PyeongChang Olympic Stadium. am 25.02.2018. Olympische Winterspiele 2018, vom 09.02. - 25.02.2018 in PyeongChang/ Suedkorea. *** Closing Ceremony Closing Ceremony Nodkorea and South Korea Athletes Entering PyeongChang Olympic Stadium on 25 02 2018 2018 Winter Olympics from 09 02 25 02 2018 in PyeongChang South Korea
    Die Olympschen Athleten aus Nord- und Südkorea laufen gemeinsam zur Abschlussfeier ein. (Imago)
    Die Winterspiele in Südkorea in diesem Jahr sorgten für eine überraschende Annäherung mit dem international geächteten Nordkorea. Und das, nachdem es in den Wochen vor den Spielen nach einer gefährlichen Eskalation ausgesehen hatte. Auf einmal willigte Nordkorea ein, eigene Sportler nach Pyeongchang zu schicken. In der Folge kam es zu einem Treffen der beiden koreanischen Staatschefs, diese Woche sogar zu dem Gipfeltreffen zwischen Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump. Das Internationale Olympische Komitee habe lange darauf hingearbeitet, habe die Wintersportler in Nordkorea gefördert, viele Gespräche auf unterschiedlichsten Ebenen geführt und damit die Grundlage für die politische Annäherung gelegt, sagt Christian Klaue.
    Sorgen Großevents gar für eine Verschlechterung der Menschenrechte?
    Gunter Gebauer ist Sportwissenschaftler und Philosoph. Er meint: Nicht der Sport habe die beiden koreanischen Herrscher zusammengebracht; nein, Kim Jong Un habe die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für die Olympischen Spiele benutzt, um von seiner extremen Position herunterzukommen. "Das war sozusagen eine Chance für ihn auch, die er sehr klug aus seiner Perspektive genutzt hat, um den amerikanischen Präsidenten und den Präsidenten von Südkorea sozusagen auf eine schiefe Ebene zu führen, die sie jetzt praktisch mal im Bilde gesprochen in seine Richtung haben rutschen lassen."
    An eine friedensstiftende Rolle des Sports glaubt Gebauer nicht. Und für Reformen im Gastgeberland, für eine Achtung der Menschenrechte in autoritär regierten Staaten, könne der Sport auch nicht sorgen. Gebauer erinnert an die Olympischen Sommerspiele 2008 in China. "Es gab im Vorfeld sehr viele Versprechungen, und ich glaube auch, dass das IOC in der besten Absicht nach Peking gefahren ist, dort einen politischen Wandel mitzuerleben beziehungsweise sogar zu initiieren. Ich war in einem Gespräch vorher in der Öffentlichkeit bei der Verabschiedung der Olympiamannschaft mit Thomas Bach. Und Thomas Bach hat auf meine sehr skeptischen Anmerkungen zu der Möglichkeit, die chinesische Politik profunde zu beeinflussen, geantwortet: 'Sie werden China nach den Olympischen Spielen nicht mehr wiedererkennen, Herr Gebauer.' Das habe ich mir gemerkt. Weil das war die falsche Prognose."
    Die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland bietet auch Chancen
    Tatjana Lokschina, die Vorsitzende von Human Rights Watch in Russland bestätigt: "Das wichtigste Ergebnis der Olympischen Spiele in China war die Ausweitung der Kompetenzen der Sicherheitsdienste. Sie haben zusätzliche Vollmachten bekommen." Die FIFA hat sich nach den hochumstrittenen WM-Vergaben nach Russland und Katar neue Leitprinzipien zu Menschenrechtsfragen gegeben. Darin verspricht der Fußball-Weltverband, alle international anerkannten Menschenrechte zu schützen.
    Russische Bereitschaftspolizei vor dem Stadion in Sankt Petersburg bei einer Übung im April 2018
    Russische Bereitschaftspolizei vor dem Stadion in Sankt Petersburg bei einer Übung. (AFP PHOTO / OLGA MALTSEVA)
    Doch auch in Russland hat Präsident Putin für die Dauer der WM besondere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet, hat das ohnehin stark eingeschränkte Versammlungsrechts fast vollständig außer Kraft gesetzt. Dennoch berge die Fußball-Weltmeisterschaft auch Chancen, glaubt Tatjana Lokschina. Sie erinnert an die Freilassung einiger politischer Gefangener in Russland vor den Olympischen Spielen in Sotschi. "Man darf seine Erwartungen aber nicht überhöhen. Man kann die äußerst falsche Menschenrechtspolitik der russischen Machthaber nicht binnen kurzer Zeit komplett umdrehen. Aber man kann in bestimmten Fällen in bestimmten Bereichen gewisse Veränderungen zum Guten bewirken. Es ist die Zeit kleiner Siege."