Schon die Kirche selbst ist ungewöhnlich. 1931 eingeweiht, im Art-Déco-Stil gebaut. Innen wirkt sie - mit ihren Betonbögen, die sich über dem Kirchenschiff wölben und den bunten Glasscheiben als einzigem Schmuck für eine katholische Kirche fast karg. Noch ungewöhnlicher als seine Kirche ist in diesem Umfeld der Gemeindepfarrer: der dunkelhäutige Pater Aurélian Saniko aus Kamerun. Die katholische Kirche hat ihm 2013 diese christliche Gemeinde mitten im marokkanischen Viertel Molenbeeks anvertraut. Mindestens 70 Prozent der Menschen, die rund um Pater Aurélians Kirche leben, sind Muslime - hier im armen, oft rauen, von Kleinkriminalität geprägte Teil Molenbeeks. Nein, sagt Monsieur Le Curé, wie sie ihn hier nennen, es war keine Strafversetzung, die ihn hierher gebracht hat:
"Keine Strafe, nein. Einfach ist es aber wahrhaftig auch nicht."
Pater Aurélian hat eine Mission – eigentlich derer zwei: seine kleine christliche Gemeinde zu beleben, eine echte Gemeinschaft zu schaffen. Und sich für die Verständigung zwischen den Religionen zu engagieren.
Kleine christliche Gemeinde
Alle, selbst nicht religiöse Menschen, sind sie schließlich Gottes Kinder, predigt der Herr Pfarrer seiner Gemeinde. An diesem Sonntagmorgen sind vielleicht 110, 120 Gläubige da, nur eine Handvoll Weiße darunter. Die meisten sind aus afrikanischen Ländern nach Belgien gekommen oder seinerzeit ihre Eltern. Zwei Mal im Monat singt ein Gospelchor beim Sonntagsgottesdienst.
Die Gospelsänger kommen aus dem Kongo, aus Kamerun, Angola, ein weißer Belgier ist dabei. Der Pfarrer hat den Chor gegründet, ist selbst Musiker, hat mehrere CDs aufgenommen, mit dieser Art teilweise fast karibisch anmutender Kirchenmusik.
Der katholische Priester von Molenbeek aus Kamerun beschränkt sich nicht darauf, Verständigung zwischen den Menschen beim Gottesdienst zu besingen und zu predigen. Er pflegt die Verständigung konkret, gerade auch mit den Muslimen in seinem Viertel.
"Ich kümmere mich auch um junge Marokkaner. Manche haben mit Drogen zu tun. Manchmal beschädigt einer meine Kirche – so ist halt Molenbeek."
Gelegentlich spielt er mit Jugendlichen vor der Kirche Fußball, egal, ob die christlich oder muslimisch sind, erzählt der Herr Pfarrer beim Gespräch in seinem Gemeindebüro. Ein bisschen von dem, was diesen Jungs im Viertel so oft vor allem fehlt, will er ihnen geben: Hoffnung und Anerkennung.
"Die jungen Leute haben keine Zukunft. Sie sagen sich: Der belgische Staat tut nichts für uns. Und so sind sie leicht zu radikalisieren. Manche folgen dann Anderen nach, die vor ihnen als Kämpfer für den Islamischen Staat nach Syrien gegangen sind."
Seine Kirche steht täglich ein paar Stunden offen, für jeden. Drinnen läuft eine CD mit Gesang des Gospel-Chores. Einmal, erzählt Aurélian Sadiko, ist ein Islamist, aus Marokko oder Algerien stammend, hineinspaziert, hat ausgerechnet seinen Kirchendiener – wie er aus Kamerun - für den Kampf des IS in Syrien rekrutieren wollen. Erfolglos in diesem speziellen Fall, glücklicherweise.
Kontakt zu vielen Muslimen
Pfarrer Aurélian kennt Mütter einiger junger Muslime aus Molenbeek, die nach Syrien gegangen sind, persönlich. Kennt ihre Sorgen, ihr Leid.
Schon vor den Terroranschlägen in Brüssel vor zwei Monaten hat der katholische Priester den Kontakt auch zu seinen muslimischen Kollegen sozusagen gesucht, trifft sich regelmäßig mit dem Imam der benachbarten Moschee. Veranstaltet mit ihm beispielsweise gemeinsam in der Vorweihnachtszeit ein Fest der Begegnung. Nach den Anschlägen ging man gemeinsam für Toleranz und friedliches Zusammenleben auf die Straße.
Wenn er in Molenbeek unterwegs ist, fühlt sich der katholische Pfarrer in einem mehrheitlich muslimischen Umfeld durchaus ernst genommen, akzeptiert. Mancher sucht den Kontakt zu ihm, den Dialog mit ihm. Nach den Anschlägen am 22. März mehr denn je, scheint es ihm. Und er sucht den Dialog auch.
"Bruder" nennt der katholische Gottesdiener die jungen Muslime, die er auf dem marokkanischen Markt unweit der Kirche am Sonntagmittag, nach dem Gottesdienst trifft. Schließlich kämen sie doch alle aus Afrika. In seiner schwarzen Soutane schlendert er über den Markt, wird angesprochen, spricht an.
Ein Junge schenkt ihm eine Erdbeere. An einem Markstand kauft der Pfarrer bei einem verlegenen, vielleicht 19jährigen Marokkaner eine Pampelmuse.
Nein, er fühle sich als einer der verschwindend wenigen Christen nicht fremd hier in diesem Viertel in Molenbeek. Dass allein schon seine schwarze Hautfarbe auf die eigene Migrationsgeschichte hinweist, macht es ihm leicht, Brücken zu bauen.
"Wir teilen alle die Erfahrung, was es heißt, Migrant zu sein. Außerdem sind 90 Prozent der Menschen, die in Molenbeek leben, religiös. Einen Priester achtet jeder religiöse Menschen – auch, wenn dieser Christ ist und er selbst Muslim."
Und das gilt für jene 99,99 Prozent aller Menschen, die auch hier in Molenbeek friedlich nebeneinander leben, sagt Monsieur Le Curé und geht mit seiner Pampelmuse in der Hand zurück in Richtung Kirche.