Es ist ein grauer, diesiger Vormittag. Die Geschäfte sind noch geschlossen, kaum ein Mensch ist auf den Straßen. Jedenfalls – kaum jemand von hier. Auf dem Platz stehen Fotografen, Journalisten mit Blöcken in der Hand, Kamerateams bilden kleine Grüppchen zwischen den Übertragungswagen. Auch hier, vor dem Rathaus von Molenbeek, soll um 12 Uhr eine Schweigeminute stattfinden.
Am Eingang des Rathauses steht Francoise Schepmans von der liberalen Partei Mouvement Réformateur. Mit beiden Händen knetet sie einen blauen Schal, spricht in ein halbes Dutzend Mikrofone. Ob sie die Familie von Abdelhamid Abaaoud kenne wird sie gefragt, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge von Paris, der hier in dem Viertel gewohnt haben soll.
"Nein, ich habe die Familie nicht gekannt. Was mich am meisten schockiert, ist dass es die jungen Leute sind, die hier in Molenbeek aufwachsen sind – dass die sich hier radikalisiert haben, so weit, dass sie terroristische Anschläge verüben."
"Die soziale Zusammensetzung hier ist problematisch"
Schepmans muss in den Themen springen – sie soll erzählen, erklären und Lösungen anbieten. Die Herausforderung sei es nun, Maßnahmen zu ergreifen, sagt sie, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.
"Denn wie ich schon sagte, die soziale Zusammensetzung hier ist problematisch. Wenig Ausbildung- und Arbeitsmöglichkeiten. Der wichtigste Teil der Bevölkerung in diesem Viertel kommt aus dem Ausland, aus Marokko. Viele leben in kleinen Wohnungen, haben große Familien. Das ist eine große Aufgabe für uns."
Nicht nur die Bürgermeisterin muss sich den Fragen der Reporter stellen. Überall um den Platz herum geben Einwohner Interviews, einige Männer gekleidet in traditionelle marokkanische Gewänder, Frauen mit Kopftuch. Viele lehnen ein Gespräch ab, sie sprechen nicht so gut französisch sagen sie, nur arabisch oder italienisch.
Brüssel trage eine Mitschuld an der Situation im Stadtteil
In dem Moment macht eine Frau mit einem weißen Kopftuch und zwei Einkaufstüten in der Hand auf sich aufmerksam. Sie sei 42, hier aufgewachsen und wollte was sagen über Molenbeek. Molenbeek wurde immer von respektvollen und solidarischen Familien bewohnt, erzählt sie. Das Problem sei, dass viele Kinder und Jugendliche nicht in die Schule gehen, wie es sein sollte. Darüber hinaus trage auch die Stadt Brüssel eine Mitschuld.
"Molenbeek wurde gettoisiert. Man hat hier sämtliche Nationalitäten versammelt. In andere Kommunen ist es nicht so, dass der Großteil der Einwohner aus dem Ausland kommt."
"Wir haben nichts gemacht, wir leben hier einfach"
Bis zur Schweigeminute ist noch eine Stunde Zeit. Sie will auf jeden Fall hingehen. Diese Attentate und die Situation hier in Molenbeek, die gehe sie nicht zu 100, sondern, zu 100.000 Prozent was an, betont sie. Auf dem Rathausplatz wird es langsam belebter. Aus dem U-Bahnhof kommt eine Schulklasse, Menschen verschwinden in den beiden Cafés, die gegenüber des Rathauses und der Polizeiwache gelegen sind. Dazwischen warten zwei junge Menschen, Mitte 20, die das treiben mit einem skeptischen Gesichtsausdruck beobachten. Sie finden die vielen Kameras befremdlich.
"Das fühlt sich ein bisschen beklemmend an. Wir fragen uns, weshalb bei uns. Wir haben nichts gemacht, wir leben hier einfach. Das ist eben zufällig in Molenbeek passiert."
Es sei nicht so, dass wir hier alle Komplizen dieser Leute sind, fügt der schwarzhaarige Mann mit den braunen Augen noch hinzu. Seine Begleiterin, eine junge Frau mit lachsfarbenem Kopftuch, findet es schlimm, dass ihr Stadtteil so einen schlechten Ruf hat.
"Das stört mich unheimlich. Dass man die gesamte muslimische Gemeinde und alle Menschen hier in Molenbeek stigmatisiert. Wegen einer Person, die etwas getan hat, was man nicht wieder gut machen kann. Deshalb kann man nicht auf die gesamte Bevölkerung hier zeigen. Man muss hier einfach genau unterscheiden, zwischen den Leuten, die Extremisten sind und Menschen umbringen, und normalen Leuten, wie Sie und ich – die hier friedlich leben."
Es scheint wie ein kleiner Protest der Menschen aus Molenbeek, gegen die terroristischen Anschläge, die dort immer wieder ihren Ursprung genommen haben. Aber der Großeinsatz der Polizei, die Wohnungsdurchsuchungen und die Straßensperren, haben sie an diesem Tag nicht zur Ruhe kommen lassen.