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Brüssel vs. Budapest (1/5)
Daumendrücken für Orbán

Ministerpräsident Viktor Orbán ist mitten im Wahlkampf. Das macht es für das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Budapest und Brüssel nicht leichter. Denn was die EU stört, etwa seine harte Haltung in der Flüchtlingsfrage, kommt bei seinen Wählern gut an.

Von Stephan Ozsváth |
    Der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán hält am 16. September 2016 die Abschluss-Pressekonferenz am Ende des informellen EU-Gipfels der 27 Staats- und Regierungschefs in Bratislava.
    Victor Orbán setzt im Wahlkampf auf nationalistische Töne (dpa / EPA / Filip Singer)
    Eine kleine Pizzabude im U-Bahnhof bietet Bruschette feil und fettige Pizzadreiecke. Die Metrostation am Kossuth Platz liegt schräg gegenüber vom Parlament. Es ist Rush-Hour, die Budapester kommen von der Arbeit.
    Ein unterirdisches Museum erinnert an den Volksaufstand vom Herbst 1956, am Landwirtschaftsministerium mahnen die Maschinengewehr-Garben im Mauerwerk an die Toten vor dem Parlament, als sowjetische Soldaten in die Menge schossen.
    Die ungarische Geschichte ist voller "ausländischer Mächte", die einmal das Sagen hatten: Türken, Deutsche, Russen – auf dieser Klaviatur spielt Regierungschef Victor Orbán.
    Eine Straßenbahn fährt vorbei, spuckt Angestellte und Passanten aus. Auch aus dem Parlamentsgebäude strömen die Beschäftigten im Anzug und Business-Kleid. Keine Zeit signalisieren sie. Um eine Straßenecke schlendert Imre Kovács mit seiner Frau, ein typisches ungarisches Rentnerpaar.
    Ein Selfie des Dlf-Autors Stephan Ozsvath (re.) mit dem ungarischen Rentner Imre Kovács (li.) in Budapest
    Dlf-Autor Stephan Ozsváth (re.) traf den ungarischen Rentner Imre Kovács (li.) in Budapest (Deutschlandradio / Stephan Ozsváth )
    Sie stapft gleich weiter, winkt ab. Keine Lust auf ein Interview. Er bleibt stehen. Gegen die Kälte trägt er eine Mütze mit Ohrenwärmern, sein Gesicht ähnelt dem Dorfältesten der Asterix-Comics: weißer Schnurrbart, verschmitzter Blick, markante Nase. 85 Jahre alt ist er, ein waschechter Budapester, hier geboren. Und er mag Orbán.
    "Ich sage Ihnen, warum ich ihn mag. Das war zu Wendezeiten, als er hier, also im Stadtwald, bei der Umbettung von Imre Nagy als Einziger Klartext geredet hat, als Einziger den Mut hatte zu sagen: Sowjets geht nach Hause. So fing es an."
    1989 wurden die sterblichen Überreste der Anführer des Aufstandes gegen die Sowjets und die hauseigenen Moskautreuen von 1956 feierlich umgebettet. Vor Hunderttausenden forderte der junge Studentenführer Orbán damals, die Sowjets müssten Ungarn verlassen.
    "Da bin ich dann bei Fidesz hängen geblieben. Klar, da gibt es auch Strauchdiebe, aber es gibt keine Regierung, die nicht trickst. Jedenfalls hier in Ungarn."
    Orbán gibt den Freiheitskämpfer gegen Brüssel
    Die Russen sind schon lange weg. Ungarn ist Teil der EU. Orbán regiert schon zum dritten Mal und gibt seit seiner Wiederwahl vor acht Jahren den Freiheitskämpfer gegen Brüssel.
    "Auch in der Hinsicht mag ich ihn. Er will keine Migranten aufnehmen. Das zählt viel. Wenigstens kann man hier in Sicherheit leben. Brüssel hat auch nicht in allem Recht. Sie zwingen uns auch zu Dingen, die wir nicht wollen. Aber da wir nun mal in der Union drin sind, müssen wir sie akzeptieren. Wie jetzt die Migranten. Dabei haben die Deutschen sie hergeholt. Dann sollen sie sie auch von hier mitnehmen. Ich habe diese Angela Merkel immer sehr geschätzt, aber die Migranten herzuholen, war eine Riesendummheit. Anderen Ländern gefällt ja auch manches aus Brüssel nicht. Ich drücke Orbán die Daumen."
    In ganz Ungarn wurden laut offizieller Statistik bis Ende 2017 keine 3.000 Flüchtlinge anerkannt. Ob er überhaupt schon mal welche gesehen hat, will ich von dem treuen Fidesz-Wähler wissen. Klar, sagt er, und erinnert sich an den Sommer 2015.
    Ungarische Polizisten sichern die Grenze zu Serbien ab.
    Ungarische Polizisten sichern die Grenze zu Serbien ab (Archivbild 2015) (dpa/picture alliance/Tamas Soki)
    "Als es noch keinen Zaun und gar nichts gab, da waren die doch hier überall, haben auf den Plätzen und überall herumgelungert."
    Den Zaun, den Orbán bauen ließ. Und für den er von der EU Geld will. Zum "Schutz der gemeinsamen Außengrenzen".
    Imre Kovács lebt von 450 Euro Rente
    Imre Kovács ist ein treuer, aber kein fanatischer Orbán-Wähler – auch die gibt es. Er wägt ab. Orbán habe Gutes gebracht und nicht so Gutes, meint der Rentner. Die Vorgängerregierung – nennen wir Sie mal beim Namen, sagt er – die des Sozialisten Gyurcsány, die sei eigentlich nur so eine Art geschäftsführende Regierung gewesen. Die habe nichts getan. Orbán dagegen, der tue wenigstens etwas.
    "Jedes Jahr wird meine Rente etwas erhöht, nicht viel, aber immerhin."
    Früher war Imre Kovács Lkw-Fahrer, erzählt er. Heute lebt er von etwa 450 Euro Rente. Damit komme er klar, er lebe bescheiden. Dass jeder, der hart arbeitet, wenigstens genauso viel zum Leben hat, wünsche er seinen Altersgenossen, sagt er. Viele hätten kaum die Hälfte davon. Aber ein bisschen seien sie auch selbst schuld. Die, die weniger gearbeitet hätten, hätten heute eben auch weniger im Portemonnaie. Früher haben sie nicht an die Zukunft gedacht, haben nur halbtags gearbeitet, meint der Rentner.
    Und die Korruption? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
    "Ja, die gibt es. Oder sagen wir: Es gibt welche, die sehr korrupt sind. Aber die gibt es in jeder Regierung. Da gibt es dann die 'Freunde' und so. Darüber wundern wir uns hier schon nicht mehr. Das stört schon. Aber was soll ich denn tun? Es gibt keinen, der sauber ist. Auch die Orbán-Familie hängt da mit drin, und zwar anständig. Auch die machen sich die Hände schmutzig. Aber ich kann nur eins entscheiden, nämlich wem ich meine Stimme gebe."