Tag fünf im Ausnahmezustand. Seit Samstag leben die Menschen in Brüssel unter verschärften Sicherheitsbedingungen. Viele Geschäfte sind noch immer geschlossen, eine Reihe von Großveranstaltungen wurde abgesagt, auf Straßen und Plätzen und vor zentralen Gebäuden patrouilliert Militär. Bis mindestens Montag will die Regierung die höchste Terrorwarnstufe 4 in der Hauptstadtregion noch aufrechterhalten. Denn, so Premier Charles Michel, an der Situation seit den Anschlägen von Paris, habe sich im Prinzip nichts geändert:
"Wir gehen davon aus, dass wir es immer noch mit derselben Bedrohung zu tun haben, und auch die potenziellen Ziele dieselben sind. Es sind vielbesuchte Orte, Einkaufszentren und Einkaufsstraßen und öffentliche Transportmittel."
Trotz dieser düsteren Lagebeschreibung durch den Regierungschef beginnt, sich das Leben in Brüssel ganz allmählich wieder zu normalisieren. Das Atomium, Wahrzeichen der belgischen Hauptstadt, ist schon seit gestern wieder für Besucher zugänglich. Die meisten städtischen Museen wollen dem Beispiel folgen. Und auch große Geschäfte, die nicht unmittelbar im Zentrum liegen, wie etwa ein bekanntes schwedisches Möbelhaus, öffnen ihre Tore. Für Kay Wagner, Radiokollege vom deutschsprachigen Sender BRF, ein typisch belgisches Phänomen: Seinen lebenslustigen Landsleuten dauere die Schockstarre schon viel zu lange.
Erhöhte Präsenz von Polizei und Militär wird vorerst bleiben
Manch einer hält die massiven Sicherheitsmaßnahmen auch schlicht für übertrieben. An der erhöhten Präsenz von Polizei und Militär wird sich so schnell aber wohl nichts ändern. Dafür an den Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr. Auf Beschluss der Regierung soll die Metro ihren Betrieb ab heute Schritt für Schritt wieder aufnehmen, die wichtigste Lebensader von Brüssel, die jeden Tag Zehntausende zur Arbeit und wieder nach Hause bringt. Das U-Bahnhöfe und Züge eine Zeitlang besser überwacht werden sollen, dürfte ängstlichere Fahrgäste zumindest etwas beruhigen. Umstrittener ist da schon die Entscheidung, die Schulen nach zwei Tagen Pause wieder zu öffnen - trotz Terror-Warnstufe 4. Der Bürgermeister der Teilgemeinde Brüssel-Stadt, Yvan Mayeur, hält dies dennoch für ein wichtiges Signal:
"Das erste, wogegen islamistische Regime oder Fundamentalisten jeder Art vorgehen, ist Bildung, die Intelligenz, sind Schulen. Schulen werden geschlossen, Kultur wird verboten. Nein: Unter so einem System können und dürfen wir hier nicht leben. Deshalb müssen wir Schulen und Unis schleunigst wieder öffnen."
Ganz unproblematisch ist der Schritt freilich nicht. Es geht immerhin um rund 35.000 Schülerinnen und Schüler an 160 Schulen der Hauptstadt-Region. Manche Eltern fragen sich besorgt, wie die Regierung denn die Sicherheit so vieler Kinder garantieren will, solange mindestens zwei gesuchte Terroristen noch auf freiem Fuß sind.
Sicherheit an Schulen?
Premierminister Michel verspricht, Soldaten und Polizisten würden die Schulen in den kommenden Tagen und Wochen schützen. Doch laut Bürgermeister Mayeur wären dazu mindestens 300 zusätzliche Beamte nötig, die im Moment noch nicht zur Verfügung stehen. Für geradezu absurd hält er den Vorschlag von Erziehungsministerin Joelle Milquet, an den Schulen sogenannte Safe Rooms einzurichten, also Schutzräume, in die sich Kinder und Lehrer bei Gefahr zurückziehen könnten:
"Worauf es ankommt, ist, die Schulen von Anfang an zu sichern. Wir müssen genau schauen, wer hineingeht. Wann wir die Gebäude öffnen. Wann und wie wir die jungen Leute wieder hinauslassen. Es gibt ein ganzes Arsenal an internen Sicherungsvorkehrungen. Aber natürlich muss auch das Umfeld der Schulen geschützt werden."
Bunker werde man nicht bauen, sagt Yvan Mayeur, der vor einer Hysterisierung der Debatte warnt. Für die nächste Zeit müssen sich Brüssels Schüler und ihre Eltern dennoch an ein strengeres Regime gewönnen. So wurden unter anderem die Pausen im Schulhof stark verkürzt. Der Zutritt ins Schulgebäude soll nur Lehrern und Schülern gestattet sein.
Bleibt zu hoffen, dass die getroffenen Maßnahmen ausreichen, um potenzielle Angreifer abzuschrecken und Anschläge zu verhindern. Ein mulmiges Gefühl bleibt auf jeden Fall. Zumal die Großfahndung nach dem meistgesuchten Mann des Landes, dem flüchtigen Islamisten Salah Abdeslam, bislang nicht von Erfolg gekrönt war. Nur vier Verdächtige sind den Behörden bei den bisherigen Razzien ins Netz gegangen. Innenminister Jambon betont: die Polizei-Aktionen seien noch nicht beendet. Solange die Bande nicht gefasst sei, gehe der Einsatz weiter.