Dass es zu dem Buch kam, hat einen autobiographischen Grund. Ich hab in den Siebzigerjahren bei Arno Borst studiert, er war sogar mein Doktorvater, allerdings nur wenige Wochen, weil ich den Versuch einer Dissertation dann ganz rasch abgebrochen habe und mich vom akademischen Leben auch entfernt, das Stipendium dann auch zurück gegeben und das war einer dieser mancherlei Brüche, die ich in meiner Biografie habe, bevor ich dann auf den Weg der Verlegerei kam.
Dennoch hat Ekkehard Faude sowohl seine regionalen wie auch seine akademischen Wurzeln nie ganz gekappt. Allerdings hat er die losen Enden aus seiner Biografie immer überraschend neu verknüpft. Die Wissenschaftssatiren seines Verlags, die so genannten "Litzelstetter Libellen - ziemlich neue Folge", sind ein akademisches Produkt ganz eigener Art, das den Universitätsbetrieb auf witzige Weise ad absurdum führt.
Man muss tatsächlich darauf warten, bei Wissenschaftssatiren, dass sich jemand, der sehr gut ist in seinem Fach, sehr ärgert über die Riten seines Faches. Dann kann er einen präzisen Einfall auf eine geniale Weise umsetzen und auf die Weise haben wir einen englisch geschriebenen Text des französischen Romanciers George Perec im Programm, wir haben holländische Wirtschaftswissenschaftler, wir haben einen österreichischen Operational research-Experten, der sich mit einer Persiflierung der Faust-Legende versucht hat. Das ist also international eigentlich entstanden und hat natürlich unser Profil so auch befördert. Wir wollen wirklich von diesem kleinen, grenzüberschreitenden Bodenseeort in den Inhalten europaweit operieren.
Mit einem Erzähler aus der Region, der früher Kunde in der Buchhandlung war, in der Ekkehard Faude den Literaturmarkt unmittelbar am Leser beobachtet, hat der Libelle Verlag seinen Operationsradius sogar noch erheblich über Europa hinaus erweitert. Fritz Mühlenweg brach vom Bodensee aus mit Sven Hedin auf große Expeditionen in die Mongolei auf. Was er dort erlebte und aufschrieb, hat der Libelle Verlag neu und ungekürzt herausgebracht. Die Erzählweise des Malers und Schriftstellers Mühlenweg aus den Fünfzigerjahren hat sich aus einem ganz bestimmten Grund erstaunlich frisch gehalten, wie Ekkehard Faude erklärt:
Er hat nämlich in der Familie erzählt. Er hatte damals schon sechs Kinder, denen hat er Geschichten erzählt aus dieser Zeit, und die haben immer neue verlangt. Es waren aber auch immer erwachsene Zuhörer dabei, zum Beispiel Otto Dix, der ja während der Jahre des so genannten Dritten Reiches am Bodensee zurückgezogen lebte als verfehmter Maler und mit dem sich Fritz Mühlenweg und seine Frau Elisabeth befreundet hatten. Die wohnten nur zwanzig Kilometer auseinander und haben einen ganz herzlichen, familiären Austausch begonnen. Und Nelly Dix, die sehr begabte, leider früh verstorbene Tochter von Otto Dix, war eine begeisterte Mühlenweg-Freundin und hat auch mit einem ausgedehnten Briefwechsel "the making of the artist" sozusagen verfolgt. Und die Familie Dix war auch unter den ersten Zuhörern wie andere. Das hat eine Erzählstrategie zur Folge bei diesem Selfmade-Erzähler Mühlenweg, bei seinem ersten Prosaprojekt, dass er immer für Heranwachsende und Erwachsene zugleich spannend erzählte.
Bei der Libelle liegen vor: der Roman In geheimer Mission durch die Wüste Gobi , die Erzählungen Mongolische Heimlichkeiten , das von Rotraut Susanne Berner illustrierte Kinderbuch Nuni und ein Band mit Nachdichtungen chinesischer Lyrik unter dem Titel Tausendjähriger Bambus . Mühlenwegs Roman Fremde auf dem Weg zur Nachdenklichkeit spielt an auf einen Wüstenpfad in der Gobi, der Nachdenklichkeit heißt.
Wege zum Nachdenken über das gewollte oder ungewollte Fremdwerden in der eigenen Heimat, lassen die Bücher der Libelle noch in einer anderen Hinsicht nach verfolgen.
Mich hat natürlich, das hängt schon mit meiner Generation, also ich bin ein 68er, zusammen, diese Epoche der abgerissenen und verdrängten deutschen Kultur jüdischer Prägung interessiert.
Daher stieß auch der Germanist Manfred Bosch mit seinem Vorschlag, einen Erzähler des alemannischen Landjudentums zu edieren, bei Ekkehard Faude gleich auf offene Ohren. Jacob Picard konnte eine schon vor den Nazis untergegangene Kultur noch aufzeichnen, bevor er selbst vor ihnen aus Deutschland fliehen musste. Manfred Bosch brachte nicht nur diesen Autor ins Programm des Libelle Verlags. Er hat dort auch eine umfängliche, reich bebilderte und scharfsinnige Anthologie über das Literarische Leben von 1900 bis 1950 der Bohème am Bodensee publiziert, in der neben Picard und Mühlenweg Hermann Hesse, Carl und Thea Sternheim, Ludwig Binswanger, Grete Gulbrandsson, Tami Oelfken oder die Brüder Jünger ihre literarischen Spuren am Bodenseestrand hinterlassen haben. Bei seinen Arbeiten an diesem Buch ist der engagierte Herausgeber auf eine weitere Hinterlassenschaft gestoßen, diesmal in Form eines Briefkonvoluts, das im Marbacher Literaturachiv aufbewahrt war:
Da hab ich wirklich gleich bei der ersten Lektüre gesagt: Ja, unbedingt. Das machen wir, ganz gleich, wie das läuft und wie wir's finanziell hinkriegen, weil das wieder einen ganz verrückten, jetzt regionalen Konnex hatte. Als Käthe Vordtriede, die ausgehalten hat, also mit dem Judenstern angeheftet, in Freiburg bis 1939, als ihr die Flucht gelang, gelang ihr das mit Hilfe einer Schweizer Familie, die in Kreuzlingen lebte, eine Arztfamilie, eine Schweizer, deren Sohn mit ihrem Sohn Werner schon befreundet war. Und ihr Sohn Werner war schon 1933 von Deutschland weggegangen. Der hatte dann in der Schweiz erst studiert und war dann nach Amerika weiter gegangen, um sein Studium dort weiter zu führen. Käthe Vordtriede kam also drei Kilometer vom Verlagssitz, von unserem heutigen, auf Schweizer Boden und hat dort auch gelebt und zum Teil sind die Briefe wirklich hier in der Region entstanden. Man kann sagen, das ist eine Sentimentalität, aber also, eine Verlegerei, wie wir sie machen, hat immer mal wieder solche Punkte, wo genau diese Lämpchen zünden und den ersten Schub geben.
Inzwischen sind nicht nur die Briefe der Vordtriedes, sondern auch das amerikanische Tagebuch des Sohnes und die Autobiografie der Mutter im Libelle Verlag erschienen und runden den wachsenden Exilschwerpunkt des Verlags ab. Doch neben ihrem Interesse an den historischen Brüchen und Kontinuitäten ihrer Region hält sich das künstlerisch und kulturell wache Verlegerpaar offen für Überraschungen und wagt immer wieder Ausflüge in die Welt der literarischen Neuentdeckungen. Mit dem preisgekrönten Roman der jung verstorbenen Autorin Kathrin Seebacher waren sie dabei ebenso erfolgreich wie mit den Theaterstücken der viel gespielten französischen Dramatikerin Yasmina Reza. Manchmal wird dieser Wagemut auch kommerziell belohnt.
Es gehört eigentlich - und nur so bleibt ein Verlag lebendig - dazu, dass man immer wieder auch markant noch nie Gemachtes versucht, und das ist uns 1998 dann gelungen mit einem Unbekannten namens Ulrich Ritzel. Ein Journalist, der aufgehört hatte, in seinem jahrzehntelang ausgeübten Beruf als Lokalredakteur und dann Chefreporter zuletzt in Ulm zu arbeiten, und der sich mit 58 zurückgezogen hatte vom Betrieb und einen ersten Roman geschrieben hat. Das Manuskript kam bei uns an und hat sofort über die faszinierende Schreibart, diese ungeheuer intelligente Weise, wie da bundesrepublikanische Zeitgeschichte und Probleme dieser Gesellschaft in eine Personenhandlung eingefügt wurden, unser Entzücken ausgelöst.
Bereits drei Krimis über den beliebten Kommissar Berndorf sind bei Libelle erschienen, und gleich für den zweiten erhielt der Autor den Deutschen Krimipreis. Prompt hat er nach Der Schatten des Schwans, Schwemmholz, und Die schwarzen Ränder der Glut einen vierten Roman geschrieben, der unter dem Titel Der Hund des Propheten im Herbst in die Buchhandlungen kommt.
Ermuntert durch diesen Erfolg, vertieften sich Ekkehard und Elisabeth Faude bereitwillig in ein mit der normalen Post eingegangenes Manuskript, das ebenfalls nicht vom Bodensee stammt. Seine Botschaft passt aber, wie sie versichern, zu den Leseerfahrungen, die man auch bei anderen Libelle-Autoren machen kann, zumal den abenteuerlustigen wie Fritz Mühlenweg. In wenigen Wochen erscheint nun Stella Runaway von Uta Titz:
Ein autobiografischer Roman einer nun Dreißigjährigen, die die Schule geschmissen hat, eine Lehre geschmissen hat und drei, vier Jahre wirklich die harte Tour auch in der Obdachlosenszene durchgestanden hat als Straßenmusikerin, bevor sie in gesichertere Bahnen kam mit einem Musiker, mit dem sie inzwischen zusammen lebt und zusammen Lieder erfindet. Die hat sich ursprünglich mal geärgert über ein Werk der Popliteratur, und sie sagte: Das ist doch nicht die Welt, in der ich lebe. Ich hab doch einen Stoff zu erzählen, der in derselben Bundesrepublik spielt, aber an einem anderen Ende. Hat sich hingesetzt, und sie ist eine fulminante Erzählerin, mit einer großen Erfindungskraft, also keine, die nur ihr Leben erzählt. Die Szenen, die auf mich eigentlich am stärksten gewirkt haben, sind fiktional, wie sie mir inzwischen erklärt hat. Das wird ein Stoff, auf den wir uns sehr freuen, weil es eine junge, frische Stimme bringt mit einer Botschaft, die eigentlich bei Mühlenweg auch schon ist: Es gibt einen schwierigen Weg, man kann ihn durchstehen!
Dass es sich auch für Verlage lohnt, den schwierigen Weg zu gehen, macht der Libelle Verlag vor.