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Brustkrebstherapie nach Maß

Medizin. - Jedes Jahr erkranken in Deutschland über 55.000 Frauen an Brustkrebs und 17.000 Patientinnen sterben an der Krankheit. Denn viele Tumore entpuppen sich als hartnäckig und resistent gegen die eingesetzten Medikamente. Ein deutsches Forscherteam versucht, die Brustkrebstherapie individuell zu optimieren.

Von Brigitte Osterath |
    "Es werden schon heute kommerziell Tests vermarktet, wo man in einem Reagenzglas an ein paar Krebszellen misst, ob er bei einer Chemotherapie anspricht oder nicht, und dann versucht man, daraus eine klinische Aussage zu machen, sprich, gebe ich einer Patientin diese Chemotherapie oder nicht. Man muss ganz klar sagen: Dazu fehlen jegliche Daten, das ist ein wissenschaftlicher im Moment noch ziemlicher Unsinn."

    Denn Krebszellen verhalten sich im Reagenzglas vollkommen anders als im menschlichen Körper. Von einer Gewebeprobe kann man bisher also keine Rückschlüsse darauf ziehen, welche Therapie den größten Erfolg verspricht, sagt Oleg Gluz, Assistenzarzt in der Frauenklinik des Bethesda-Krankenhauses in Wuppertal. Ist der Brustkrebs noch nicht weit fortgeschritten, wird in jedem Fall zunächst der Tumor durch eine Operation entfernt. Die Patientin braucht danach eine weitere Therapie, um die Neubildung eines Tumors zu verhindern. In der Westdeutschen Studiengruppe, einer Forschungseinrichtung für Brustkrebsstudien, arbeiten Gluz und seine Kollegen daran, individuelle Therapien für Brustkrebspatientinnen zu entwickeln:

    "Wir entwickeln Methoden, wo wir sagen können: Aha, bei dieser Patientin ist Faktor A und B da, Faktor C ist nicht da und aus diesem Grunde gebe ich dieser Patientin die Therapie AB und weiß, dass diese Therapie über Jahre ihre Wirksamkeit hat. Und bei der Patientin C verzichte ich von Anfang an auf die Therapie AB und mache von Anfang an die Therapie C."

    Was genau die Faktoren A, B und C sind, die die Wirksamkeit einer Therapie bestimmen - das versuchen die Mediziner um Oleg Gluz gerade herauszufinden. Ihre Vision: von einem Tumor einen genetischen Fingerabdruck zu nehmen. Anhand dieses Fingerabdrucks könnte der Arzt eine Therapie für die Nachbehandlung maßschneidern. Einen der Faktoren, die den Erfolg einer Chemotherapie beeinflussen, haben die Forscher schon gefunden: Jeder Tumor lässt Blutgefäße wachsen, um sich selbst besser mit Nährstoffen zu versorgen. Einige Geschwüre sind dabei aber aktiver als andere, bei ihnen ist, wie Oleg Gluz sagt, die "Gefäßneubildung hochreguliert". Die Mediziner haben in einer Patientenstudie gezeigt,

    "dass die Tumoren, bei denen die Gefäßneubildung hochreguliert ist, auf eine Chemotherapie schlechter ansprechen als die Patienten, bei denen die Gefäßneubildung nicht in dem Ausmaß hochreguliert ist."

    Die Schlussfolgerung: Bei einigen Patientinnen muss zunächst das Blutgefäßwachstum gehemmt werden, damit eine Chemotherapie Erfolg hat. Viele Brustkrebspatientinnen bekommen die entsprechenden Medikamente bereits. Die Mediziner um Oleg Gluz haben jetzt gezeigt, dass bei einem großen Teil von Patientinnen eine Chemotherapie alleine völlig ausreicht. Diese Frauen brauchen das blutgefäßhemmende Mittel nicht, da sich bei ihnen gar nicht so viele neue Blutgefäße gebildet haben. Die Medikamente, die das Gefäßwachstum hemmen, haben nicht nur Nebenwirkungen:

    " Der zweite Aspekt ist auch der Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Das sind Therapien, die mehrere Zehntausend Euro pro Jahr kosten, und da sind wir eben der Meinung, dass es wahrscheinlich viel mehr Sinn machen würde, es bei Patienten einzusetzen, die von so einer Therapie profitieren können, um eben bei anderen Patienten gegebenenfalls andere Therapien zum Einsatz zu bringen."

    Umgekehrt gibt es auch Patientinnen, die eine Chemotherapie bekommen, aber gar keine benötigen. Nach Gluz' Erfahrung kann man vielen Patientinnen die gravierenden Nebenwirkungen einer Chemotherapie ersparen:

    "Ein Drittel braucht gar keine Chemo, ein Drittel wird von einer Chemo sehr gut profitieren und ein Drittel braucht auf jeden Fall Chemo plus weitere Therapien, um da die Heilung zu erzielen."

    Im Praxisalltag sähe das dann so aus: An dem herausoperierten Tumor macht der Arzt mithilfe biochemischer Methoden die Gefäße innerhalb des Tumors sichtbar. Er misst, wie viel die Gefäßoberfläche in Bezug zur Gesamttumoroberfläche beträgt. Daraus schließt er auf die Krebszellen, die wahrscheinlich noch im Körper der Frau vorhanden sind. War die Blutgefäßneubildung im operierten Tumor hochreguliert, wird er der Patientin zunächst Medikamente verordnen, die das Gefäßwachstum hemmen. Bei den anderen wird er sofort mit einer Chemotherapie beginnen. Für seine bisherigen Arbeiten erhielt Oleg Gluz gerade bereits eine Auszeichnung von der American Association for Cancer Research, der amerikanischen Vereinigung für Brustkrebsforschung. Und das mit gerade mal 27 Jahren.