Zuhause zu wohnen, zur Arbeit zu gehen, zum Mittagessen wieder nach Hause zu kommen, um dann nach der Pause noch mal schnell ein paar liegengebliebene Sachen im Job zu erledigen - das wäre wohl das Ideal der meisten Arbeitnehmer. Neudeutsch würde man es eine ausgewogene Work-life-Balance nennen. Es gibt aber einen Beruf, dessen Kernaufgaben so jenseits des Alltags liegen, dass er häufig sogar mit nächtlicher Abwesenheit von Heim und Hof bezahlt werden muss. So zumindest stellen wir uns diesen Beruf vor. Aber vielleicht stimmt das gar nicht?
"8.30 Frühstück mit der Familie
9.30 Start zur Front. Feindliche Batterien mit Bomben belegt. Stellungen und Lastwagenkolonnen mit MGs beschossen.
11.00 Ein wenig Golf.
12.30 Sonnenbad am Strand von Ondarreta, etwas Schwimmen im ruhigen Meer.
13.30 Bier, Scampi und Konversation im Café.
14.00 Mittagessen zu Hause.
15.00 Kurze Siesta.
16.00 Zweiter Fronteinsatz. Alles wie am Morgen.
18.30 Kino." (S. 262)
9.30 Start zur Front. Feindliche Batterien mit Bomben belegt. Stellungen und Lastwagenkolonnen mit MGs beschossen.
11.00 Ein wenig Golf.
12.30 Sonnenbad am Strand von Ondarreta, etwas Schwimmen im ruhigen Meer.
13.30 Bier, Scampi und Konversation im Café.
14.00 Mittagessen zu Hause.
15.00 Kurze Siesta.
16.00 Zweiter Fronteinsatz. Alles wie am Morgen.
18.30 Kino." (S. 262)
Keine Frage: Der Soldatenjob stellt keinen Beruf im eigentlichen Sinne dar. Wo sonst nötigt der Arbeitgeber seinem Angestellten jenes unauflösliche Paradox auf, dass dieser, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, das Leben selbst verpfänden muss - sich mithin die Unterhaltsfrage nach Dienstschluss schon erledigt haben kann? Um diesem Paradox beizukommen, fasst der Soldat seine Aufgabe wie ein Zivilist auf, als Routinejob nämlich.
Der zitierte falangistische Offizier im Spanischen Bürgerkrieg, dessen dandyhafte Gelassenheit wie blanker Zynismus auf uns wirkt, dieser Offizier integriert die beiden Vernichtungsausflüge des Tages bruchlos in sein Familienleben. Er besitzt nämlich das Pilotenprivileg, er betreibt das Kriegshandwerk aus der Vogelperspektive. Im subjektiven Gefühl, weit oben am Himmel ungefährdet zu sein, muss er nicht mal Verdrängungsmechanismen bemühen, um anschließend seelenruhig Golf spielen, an den Strand gehen und abends einen Kinofilm ansehen zu können. 75 Jahre vor dem aktuellen militärischen Paradigmenwechsel - weg von leiblichen Kämpfern, hin zu ferngesteuerten Waffen - ist dies die Vorwegnahme der Piloten 2.0, jener vom Schlachtfeld viele Tausend Kilometer entfernter Drohnennavigatoren:
"In ihrem Container fällen sie, gestützt auf eine Dienstanweisung von 275 Seiten, eine Entscheidung, die sie auch unterlassen könnten, und Sekunden später sehen sie, was sie angerichtet haben: Der LKW fliegt in die Luft, das Haus stürzt ein, der Taliban (wenn's denn einer war) ist weg und manchmal nicht nur er. Und dann fahren sie nach Hause zum Abendessen mit Frau und Kind." (Seite 17)
Ganz wie der falangistische Offizier in den 30er-Jahren. Halten wir die Drohnenpiloten mit ihren Joysticks auch für Zyniker? Oder attestieren wir ihnen die mildernden Umstände totaler Entfremdung, "denn sie wissen nicht, was sie tun?" Bezeichnenderweise beginnt Wolf Schneiders Alterswerk "Der Soldat" nicht - wie sonst bei Geschichtsschreibung - mit den Ursprüngen einer Entwicklung, sondern mit deren Ende. Am Ende steht vielleicht der soldatenlose Krieg, der Cyberwar, der die technologischen Grundlagen unserer hoch entwickelten Zivilisation lahmlegt - und das zivile Leben gleich dazu. Oder es kommt der Drohnenkrieg, bei dem irgendwann nur noch Roboter und Maschinenintelligenzen gegeneinander kämpfen, wenngleich der Mensch als Software im wahrsten Sinne des Wortes dazwischen zermalmt wird.
Die Geschichte eines barbarischen Paradoxon
Software - also viel zu weich, zu ungeschützt, zu verletzbar, zu wenig anpassungsfähig - ist der Mensch eigentlich immer gewesen, weswegen er eine Rüstung brauchte, um den Krieg zu ertragen, und ihn dann mechanisierte und industrialisierte, wo es nur ging. So ist dieses Buch "Der Soldat" mit der provokanten Etikettierung als "Nachruf" die Geschichte eines barbarischen Paradoxons, des missgeleiteten Glaubens nämlich, man sei stark genug, andere zu vernichten, ohne dabei selbst vernichtet zu werden:
"Am Anfang jedes Krieges steht grundsätzlich und unvermeidlich mindestens ein Irrtum; nämlich die Unterstellung des schließlich Besiegten, er werde der Sieger sein." (Seite 191)
Man kann das als eine grundsätzliche Fehlkonstruktion des menschlichen Hirns betrachten, diese kollektive Sollbruchstelle, dass nicht nur das Individuum, sondern auch die Gattung als Ganze ihre Auslöschung zu praktizieren vermag, indem sich ihre Glieder untereinander restlos liquidieren. Und in der Tat scheint das ein beinahe singulärer evolutionärer Weg zu sein:
"Der Mensch jagt Tiere, Tiere jagen andere Tiere. Es sind aber nur zwei biologische Arten bekannt, die auch Artgenossen jagen: die Menschen und die Ratten." (Seite 61)
Vielleicht mögen wir Ratten deswegen so ungern - stellvertretend dafür, dass wir uns selbst nicht mögen sollten. Was Wolf Schneider auf 544 Seiten an destruktivem Material der Menschheitsgeschichte als Konfliktgeschichte zusammengetragen hat, macht einen zunächst ratlos. Dann lässt es einen staunen, dass vor diesem Hintergrund überhaupt zivilisatorische Blüten entstehen konnten wie jene, die wir westliche Menschen gerade erleben. Oder kam es gerade wegen der Kriegslüsternheit des Homo sapiens nonsapiens dazu? Ein unschöner Gedanke.
"Gewalt gehört zur conditio humana, dies zu verleugnen ist lebensgefährlich. Abel ist tot. Wir alle stammen von Kain, dem Mörder, ab." (Seite 301)
Was implizit nahelegt, dass auch der sanftmütigste Pazifist ein Kostgänger seiner aggressiven Artgenossen ist, indem er sich zwar nicht die Finger schmutzig macht, aber von der Beute seinen Teil abkriegt. Diese aggressiven Artgenossen nur als Täter zu brandmarken, liegt dem Autor, Jahrgang 1925 und mithin Angehöriger der Kriegsgeneration, allerdings fern. Sein Blick auf den Soldaten ist von der Suche nach Überparteilichkeit gezeichnet. Täter und Opfer, Zerstörer und Zerstörte fallen in eins:
"Soldaten haben nicht nur mehr Leiden zugefügt als jede andere Menschengruppe - sie haben auch mehr gelitten. Sie wurden in Wüsten geröstet und keuchten im glühenden Bauch der Kriegsschiffe; sie weinten vor Kälte und erfroren zu Zehntausenden in Russland, in den Alpen, im Himalaja. Der Hunger quälte sie, bis sie Leder oder Mäuse aßen, der Durst, bis sie die Lippen mit Jauche befeuchteten. Sie wimmerten im Heulen der Granaten, sie krümmten sich, sie kotzten, sie starrten entsetzt auf ihre klaffende Wunde, sie brüllten vor Schmerz, und zu Millionen verendeten sie. Es ist keine Tortur ausdenkbar, die Soldaten nicht tausendfach erduldet hätten, und nicht wenige Soldaten haben alles erlitten, was es an Plagen gibt, nacheinander und einiges auch zur selben Zeit." (Seite 387)
Ist das ein heroischer Ton? Nein. Aber doch ein vertrauter. Allerdings ist er uns weniger von den Historikern her geläufig, als von einer bestimmten Form der Belletristik. Jener Belletristik, wie sie der Autor dieser Zeilen als Vierzehnjähriger ebenso lustvoll wie schamesrot las. Sie war verpönt, man nannte sie Landserprosa, und wer nicht ins unterste Schubladenfach der Heftromane greifen wollte, hatte dennoch reiche Auswahl in den Buchregalen. Heinz G. Konsalik versorgte Millionen Leser mit seinen krude-trivialen Soldatenepen, und nur wenige Niveau-Millimeter höher lag ein von Hollywood verfilmter, ebenfalls deutschsprachiger Mega-Seller:
"So sterben in Willi Heinrichs Roman «Das geduldige Fleisch» schlafende Russen in einem Unterstand. «Während er blindlings das Magazin leer feuerte, empfand er eine unsagbare Genugtuung, die ihn berauschte und jede Vorsicht vergessen ließ ...»" (Seite 286)
Oder ein zweites Mal ins Spiel gebracht:
"Selbst in solchen Soldaten, die mit ihren Vorgesetzten zufrieden sein konnten oder die nach ihrem Naturell unter Befehlen wenig litten, pflegte eine Saite mitzuschwingen, wenn einer schrie (wie der Obergefreite Krüger bei Willi Heinrich): «Im Führerhauptquartier saufen sie Mokka und gurgeln mit Champagner! Wir werden mit Scheiße gurgeln, wenn sie uns da oben steht.»" (Seite 442)
Irritierende Maßverhältnisse zwischen erfundenen und echten Stimmen
So etwas akzeptiert Wolf Schneider als Quellenbeleg für soldatische Befindlichkeiten, so wie er auch andere belletristische Zeugnisse im Text zitiert, etwa Norman Mailers "Die Nackten und die Toten". Selbstverständlich: Literatur ist manchmal zeitgeschichtlich, auf jeden Fall aber stets für die Mentalitätsgeschichte aufschlussreich. Doch die Maßverhältnisse zwischen erfundenen und echten Stimmen irritieren in diesem Buch. Trotz der Fülle an soldatischen Tagebuchaufzeichnungen, die allein aus den beiden letzten Weltkriegen auf uns gekommen sind, greift Wolf Schneider nur äußerst spärlich auf Originalquellen des soldatischen Lebens zurück. Er lebt vor allem aus zweiter Hand, von den Kriegshistorikern. Das steht für ein großes Missverständnis, auf dem dieses Alterswerk gründet. Schneider will über den Soldaten schreiben, das ist sein erklärtes Programm.
Doch stattdessen schreibt er Hunderte von Seiten über den Krieg. Der Krieg aber ist etwas anderes als seine Akteure, ja der Krieg verzehrt die Akteure und verzerrt ihr Bild. Tatsächlich gibt es kein modernes Buch über den Soldaten als Menschheitstypus, während Bücher über den Krieg zuhauf existieren, brillante, blendende, nüchterne, kalte, ideologische, besserwisserische und pazifistische. All diesen Autoren - von Churchill über Martin van Crefeld bis John Keegan, der mit der "Kultur des Krieges" eine Art Blaupause soziokultureller Kriegsgeschichtsschreibung abgeliefert hat - verdankt Wolf Schneider viel. Er ist belesen und zitierfreudig. Aber je mehr man bei ihm über den Krieg liest, desto ferner rückt der Soldat. Der Krieg ist analysierbar, der Soldat unzugänglich. Der Krieg als geistiges Spielmaterial beschäftigt seit Jahrtausenden auch unkriegerische Intellektuelle, und nicht von ungefähr drang das strategische Denken der Militärs in zivile Bereiche wie den der Managementlehren ein.
"Dieses Buch definiert den Krieg als wechselseitige Massentötung mit gutem Gewissen." (Seite 94)
Nach dieser Setzung wären zwei Fragen möglich: Die nach der inneren Struktur des kriegführenden Menschen - Stichwort Gewissen -, und die nach der Machart der Massentötungstechnologie. Schneider wählt die Hardware. Sie ist äußerlich, sie ist beschreibbar, man kann sie greifen:
"Es ist kaum ein Ding denkbar, das nicht unter bestimmten Umständen zur Waffe werden könnte. Die Sonne war eine Waffe, wenn man es so einzurichten verstand, dass sie den angreifenden Gegner blendete, oder wenn Archimedes von Syrakus mit Hilfe der Sonne und eines großen Brennspiegels römische Kriegsschiffe angeblich in Flammen setzte. Das Wasser war eine Waffe, als die Holländer 1674 die Truppen Ludwigs XIV. vertrieben, indem sie die Deiche durchstachen und das Land überfluteten, und ähnlich wurde in beiden Weltkriegen in Flandern mit Überschwemmungen operiert. Mistgabeln waren Waffen, wo immer Bauern Krieg führten, so 1705 in der Bauernschlacht von Sendling. (...) Stacheldraht, von texanischen Viehzüchtern erfunden, erwies sich als eine wirksame Waffe im Stellungskrieg - aber schon die gallischen Nervier hatten Cäsars Vormarsch durch Verhaue aus Dornengestrüpp aufgehalten. Taxis waren ein Kriegsmittel: Der Militärgouverneur von Paris, General Joseph Simon Galliéni, warf 1914 mit 5.000 Taxis und Omnibussen Soldaten an die Marnefront und trug damit zur großen Kriegswende bei." (Seite 129-130)
Aber noch sind diese Waffen nicht autonom. Jemand hält sie in der Hand, jemand bedient sie, jemand verwandelt ein Taxi erst in ein militärisches Gut. Ergo muss er auch ein Verhältnis dazu haben. Die Waffe ist:
"Ein Gegenstand der Verehrung, eine Quelle der Wollust, ein Magnet. Gewiss nicht für alle Soldaten, vermutlich nicht einmal für die Mehrzahl von ihnen - aber doch für viele, wie es scheint. Wer Waffen hat, ist der Versuchung ausgesetzt, sie zu gebrauchen. Wer bei ihrem Gebrauch Wollust verspürt, hat offensichtlich andere Maßstäbe als den, dass Notwehr den Gebrauch der Waffe rechtfertigt." (Seite 185)
Es sticht ins Auge, wie vage Wolf Schneider - immerhin bekannt geworden als Sprachkritiker und Verfasser von Stillehrbüchern - sich dem Gegenstand seines Werks nähert, nämlich im konjunktivischen Gestus: "Vermutlich", "es scheint", "offensichtlich". Und wenn er das Innenleben des Soldaten einmal im Indikativ beschreibt, vergreift er sich im Ton:
"Die Vergewaltigung, die uralte Lust der Sieger, wurde im Bosnien-Krieg noch einmal archaisch betrieben. (Seite 296)
Ein Abdriften in den Altherrenton
Von einer "Lust" zu sprechen, die doch immer positiv konnotiert ist, während die Sozialwissenschaft längst weiß, dass Massenvergewaltigungen weniger sexuelle denn aggressiv-destruktive Motive haben, lässt sich wohl nur mit dem Geburtsjahrgang des Autors erklären - es ist ein Abdriften in den Altherrenton. Und manchmal machen einen nicht nur implizite, sondern ganz explizite Werturteile perplex:
"Die Amerikaner haben dann ihrerseits 2002 das Schlimmste erfunden, was Gefangenen je angetan worden ist: Guantánamo." (Seite 396)
So schlimm Guantánamo fraglos ist - und so sehr das Lager eine Schande für die USA darstellt -, in der Geschichte des 20. Jahrhunderts gibt es doch etliche Konkurrenz, die diesen Superlativ ebenso verdient hätte. Immerhin: An solchen Bruchstellen glaubt man für einen Moment, dem Autor nahezukommen, der sich sonst hinter einer immensen Quellensammlung verbirgt. Im Wikipedia-Zeitalter wirkt sein Zitatreichtum freilich anachronistisch, denn viele Quellen sind ihrerseits Übersichtswerke und richten sich ebenfalls an den interessierten Laien. Warum also "Der Soldat - Ein Nachruf" lesen? Als Ansporn dient zumindest die Hoffnung, auf ein Gelände geführt zu werden, das von den Kriegshistorikern noch nicht komplett ausgemessen wurde: das Innenleben der Akteure. In der Realität sieht das bei Schneider so aus:
"Hässlich muss er gewesen sein, dieser Napoleon: 1,62 groß, mit dicklichem Oberkörper auf kurzen, dünnen Beinen, die Haut gelblich, die Augäpfel ebenso, der rechte Mundwinkel meist nach unten gezogen. Die Lippen und die rechte Schulter wurden oft von einem Krampf befallen, und an der linken Wade zitterten sichtbar die Muskeln, sobald er in Wut geriet. Prinz Eugen von Savoyen war klein und schwächlich von Gestalt mit einer langen Nase im mageren Gesicht; als junger Geistlicher musste er die Spottnamen «der kleine Abt» und «Dame Claude» erdulden. Da trat er mit 20 in habsburgische Dienste ein, war mit 30 Jahren Feldmarschall, besiegte Türken und Franzosen und wurde als größter Schlachtenlenker seiner Zeit gefeiert. Narses, der byzantinische Feldherr, der 553 in Italien die Goten besiegte, war ein mickriges Kerlchen - und Eunuch. Männer in den Tod zu schicken: Das muss ihm eine doppelte Genugtuung gewesen sein. Drängt sich bei diesen dreien Alfred Adlers Schlagwort von der «Überkompensation» nicht förmlich auf?" (Seite 229)
Diese ohne Anknüpfung bleibende Erwähnung Alfred Adlers ist eine von nur zwei Stellen mit individualpsychologischer Expertise; wobei man füglich bezweifeln darf, ob die klassische Psychoanalyse heutzutage noch als valides Erkenntnisinstrument taugt. Die zweite Stelle fällt noch kürzer und noch trivialer aus:
"Aber wir wissen seit Freud, dass der Mensch nicht Herr in seinem Hause ist." (Seite 289)
Natürlich berührt Wolf Schneider immer mal wieder seelische Momente des Soldatentums, zieht sich dann aber sofort auf faktengesicherte oder zitatabgestützte Felder zurück. Das innere Geschehen eines Menschen zu ergründen, der zwischen Angst und Brutalität, Repression und Zerstörungswut hin- und herschwankt, fordert Fantasie und essayistischen Wagemut. Bei Schneider ist es schon ein selbstdenkerischer Höhepunkt, wenn er schreibt:
"Objektiv könnte die seelische Verletzlichkeit in den letzten hundert Jahren gestiegen sein: Ein Bauernbursche, der noch selbst ein Schwein abgestochen hatte, litt unter blutigem Gemetzel wahrscheinlich weniger als ein Stadtmensch unserer Tage." (Seite 397)
Wie ein gescheitertes Projekt
Es gibt zwei Erklärungsmöglichkeiten, warum dieses Buch wie ein gescheitertes Projekt wirkt. Vielleicht hat der Verlag den vorliegenden Text falsch etikettiert, weil er wusste, dass kaum ein Mangel an ausgezeichneten Kriegsgeschichtsschreibungen besteht, wohl aber einer zum Thema Soldaten. Das Nachwort Wolf Schneiders weist jedoch in eine andere Richtung. Sein Buch ist das Remake eines 50 Jahre alten Titels von ihm selbst, den er 1964 veröffentlichte und nun "als Steinbruch" benutzt. Das erklärt auch das Alter der belletristischen Quellen:
"In seinem Roman «Die sterbende Jagd», einem der besten über den Zweiten Weltkrieg, lässt Gerd Gaiser den Jagdflieger Hauptmann Vehlgast schwadronieren: «Der Friede? Worin besteht der Friede? Ranglisten und Beförderungen, verhinderter Ehrgeiz, Lügen, Warenhäuser, Zwischenhandel und organisierte Verdauung. Einer macht den anderen fertig, damit er selbst besser lebt ... Der Alltag, von Hass und Gereiztheiten keuchend ... Und im Keller die Bestien, die man aussperrt und die gern heraufmöchten.»" (Seite 396)
Gerd Gaiser war ein nazibelasteter Autor der 50er-Jahre, der zurecht in Vergessenheit geraten ist. Verstaubt, zumindest aber altbacken ist auch Schneiders Form des wissensversammelnden Sachbuchs bar jedes erzählerischen Impetus, dafür aber immer wieder mit Stakkato-Auflistungen versehen, die wie erhobene Zeigefinger den Text strukturieren:
"Was also kennzeichnet ihn, den Sieger? (...) Vor allem viererlei:
1. Der totale Einsatz der Person für den einzigen Zweck auf Erden: den Triumph.
2. Die Fähigkeit, Menschenmassen ökonomisch zu bewegen und Soldaten zu gängeln, besser: sie zu motivieren, idealerweise: sie zu begeistern.
3. Die optimale Nutzung aller Umstände von Zeit und Raum, von Waffen und Ressourcen - wie durch Friedrich den Großen mit der «Ermattungsstrategie» für das kleine Preußen und durch Napoleon mit der «Vernichtungsstrategie» für das reiche Frankreich.
4. Die perfekte Planung für Schlacht und Krieg - und die Fähigkeit, sie blitzartig zu ändern" (Seite 226-227)
1. Der totale Einsatz der Person für den einzigen Zweck auf Erden: den Triumph.
2. Die Fähigkeit, Menschenmassen ökonomisch zu bewegen und Soldaten zu gängeln, besser: sie zu motivieren, idealerweise: sie zu begeistern.
3. Die optimale Nutzung aller Umstände von Zeit und Raum, von Waffen und Ressourcen - wie durch Friedrich den Großen mit der «Ermattungsstrategie» für das kleine Preußen und durch Napoleon mit der «Vernichtungsstrategie» für das reiche Frankreich.
4. Die perfekte Planung für Schlacht und Krieg - und die Fähigkeit, sie blitzartig zu ändern" (Seite 226-227)
Zusammengenommen entspricht das alles dem Sachbuch-Standard der 60er- bis Anfang 90er-Jahre, kann aber im Internet-Zeitalter - Wissen en gros - kaum mehr zur Lektüre animieren. Bisweilen ist ein Alterswerk eben schon angegraut, obwohl es gerade erst zur Welt kam.
Wolf Schneider: "Der Soldat".
Rowohlt Verlag, 544 Seiten, 24,95 Euro.
Rowohlt Verlag, 544 Seiten, 24,95 Euro.