Da kommt eine Stimme aus dem Nichts, und sie spricht.
"Wer das Mikrofon hat, entscheidet darüber, was auf welche Weise vermittelt wird."
Exakt: Er gebietet über die Worte, die eigenen so gut wie über fremde, indem er beispielsweise einem Zitator Text zuweist:
"Nur der starke und selbstbewusste, nur der verantwortungsvolle Mensch kann vor dem Mikrofon bestehen", schrieb Carl Hagemann und fügte hinzu: "Auf ihn aber hört eine Welt."
Carl Hagemann war ein Rundfunkpionier, der das neue Medium begeistert begrüßte. Das Mikrophon – eine Sensation. Das Radio – eine Offenbarung! Tatsächlich bedeutete die Vergrößerung der Stimme über den akustischen Raum hinaus in den Äther eine ungeheure mediale Wirkungserweiterung. Doch der Mann im Radio vor seinem Mikrophon spürt kein Feedback. Er weiß nicht, wie viele Leute ihm gerade zuhören. Während er redet, kann es durchaus sein, dass da draußen alle ihre Empfangsgeräte abschalten. Vielleicht deswegen begann die elektrotechnische Massenkommunikation zunächst mit der Nutzung von zwei statt drei revolutionären Neuerungen, mit Mikrophon und Lautsprecher; erst allmählich gewannen die Radiowellen an Bedeutung. Nach 1918 hieß Politik in Deutschland Demokratie, also Mitbestimmung. Die Stimme steckt im Wortstamm des demokratischen Prinzips, und um die Stimmen vieler zu kassieren, musste man die eigene Stimme lautstark erheben. Am besten vor Ort, vor Tausenden von Menschen. Demokratietheoretisch könnte man von einem Glücksfall reden, dass nämlich die politische und die technische Evolution parallel verlief.
"Die frühesten Belege für die Konstruktion von Lautsprechern datieren ab 1920. (...) 1924 erfolgte eine Ansprache des englischen Königs im Wembley-Stadion von London, 1925 die Übertragung einer Wahlrede in New York. (...) Eine Fachzeitschrift wie der Funk-Anzeiger berichtete von guten Ergebnissen etwa bei der Glockenweihe vor dem Kölner Dom. Die Kölnische Volkszeitung schrieb, dass die Rede des Kardinals dank des 'Lautverstärkers' der Firma Siemens und Halske auf dem gesamten Domplatz bis in die angrenzenden Straßen verstanden worden sei. (S. 293)"
Der Lautsprecher als Instrument der unverhohlenen Lüge
Wären es nur Könige und Kardinäle gewesen, deren Stimmen elektrisch verstärkt durch die 20er-Jahre schallten – oder am besten: ehrbare Demokraten –, hätten wir nicht bis heute einen ganz anderen Lautsprecherklang aus dieser Zeit im Ohr. Es ist kein demokratischer, sondern der Brülllaut jener Sieger im Stimmenkampf, die dann bis 1945 den Ton angaben. Demokratiepraktisch war der Lautsprecher ganz offensichtlich kein Instrument des abwägenden Intellekts, sondern eines des dumpfen Ressentiments und der unverhohlenen Lüge.
Joseph Göbbels: "Was wäre diese Bewegung ohne Propaganda geworden? Und wohin geriete unser Staat, wenn ihm nicht eine wirklich schöpferische Propaganda ihm heute noch das geistige Gesicht gäbe?"
"Mikrofon und Lautsprecher führten keineswegs zu einer Änderung des gewohnten Auftretens oder zur Drosselung des stimmlichen Aufwands. Exaltierte Gestik und Geschrei blieben erhalten, als wäre der Lautsprecher nie erfunden worden. Allenfalls nahm Goebbels auf das Nachhallen der unterschiedlichen Echos Rücksicht und zerhackte die gebrüllten Sätze in kleine Portionen."
... konstatiert der Literaturwissenschaftler Karl-Heinz Göttert und belegt damit die Vermutung, dass neue Medientechnologien nur schleppend angepasste Verhaltensweisen nach sich ziehen. Das Alte ist sogar dann noch dominierend, wenn es sich bereits selbst diskreditiert hat:
"Als der von den Nazis einst verfolgte Kurt Schumacher sofort nach Kriegsende vor englischen Studenten eine Rede über den friedlichen Neuaufbau Europas hielt, wurde er für seine Ideen mit Enthusiasmus aufgenommen, aber die Form des Vortrags rief geradezu Bestürzung hervor. Sie erinnerte die Engländer mit dem 'lauten Schreien' direkt an die braune Vergangenheit. (...) Dass die öffentliche Stimme als private daherkommen konnte, verdankte sich Lernprozessen, die man im Ausland unter demokratischen Bedingungen machte, in Deutschland aber dank des nationalsozialistischen Missbrauchs verpasst hatte."
Mit Wilhelm II. beginnt der deutsche Sound
"Sound der Zeit" heißt die von Gerhard Paul und Ralph Schock herausgegebene, materialreiche Aufsatzsammlung über eine Epoche, die so jung ist, dass sie kaum Vergangenheit besitzt – sich aber doch so schnell wandelte, dass schon der Blick von wenigen Jahrzehnten zurück ein Gefühl großer historischer Entfernung aufkommen lässt. Es ist die Epoche der akustischen Artefakte, die Epoche der technischen Klanggeschichte. Die beiden Herausgeber lassen sie in Deutschland 1889 beginnen. Da ist der Edisonsche Phonograph zwar schon über zwanzig Jahre alt, doch das auswertbare Material für den deutschen Historiker wird 1889 erstmals aufgenommen: Stimmenproben von Wilhelm II., Moltke und Bismarck:
"Friedrichsruhe am 7. Oktober 1889." (Zitat: Fürst Otto von Bismarck)
"Friedrichsruhe am 7. Oktober 1889." (Zitat: Fürst Otto von Bismarck)
Natürlich hat es schon vorher Zeugnisse der Klanggeschichte gegeben, aber nie authentische, sondern nur in Form von Transkriptionen, Verschriftlichungen. Beispielsweise liest man seit Jahrhunderten allerhand über Geräuschbelästigungen, während der Wohlklang einer Epoche selten überliefert wird. Eigentlich fast gar nicht.
"Der englische Mathematiker Charles Babbage kaufte alle Drehorgeln in seiner Umgebung auf, weil sie ihn beim Nachdenken störten. (…) Goethe kaufte ein baufälliges Haus in der Nachbarschaft auf, um dessen – absehbar Lärm verursachende – Renovierung zu verhindern. (...) Richard Wagner bestreute die Straße vor seinem Haus mit Glasscherben, um spielende Kinder fernzuhalten."
Klang- oder Soundgeschichte scheint also zunächst reine Lärmabwehrgeschichte zu sein, und mit der Industrialisierung nahm der Lärm kakophonisch zu.
"Breitbandige Lärmschwaden legten sich über ganze Landstriche."
... konstatiert der Herausgeber Gerhard Paul, doch ein solches Lamento hat man schon oft gelesen, dafür bedürfte es keines weiteren 600-Seiten-Readers. Und in der Tat, das Programm von "Sound der Zeit" wartet mit weit mehr auf. Das Buch ist:
"... eine Medien- und Kulturgeschichte akustischer Technologien (...), eine Klanggeschichte des Politischen, die nach der Wirkmacht sowie der sozialen und politischen Nutzung von Klängen, Tönen und Geräuschen fragt. (...) Ein dritter Themenbereich befasst sich mit der Bedeutung des Sounds in der Erinnerungsgeschichte."
Vieles beschreibend und unanalytisch
Das klingt freilich in der Projektierung spannender, weil geistig miteinander verwoben, als es die Praxis dann einlösen kann. Wo sechzig Autoren siebzig Aufsätze schreiben, kommt es naturgemäß zu thematischen Überlappungen, während zugleich die intellektuelle Verzahnung der Aufsätze zu wünschen übrig lässt. Was haben Themen wie ...
"Politische Kampflieder, Straßenbelag in den Städten, Luftschutzsirenen, Wagners Walkürenritt, der Seewetterbericht, Ulbrichts Mauerbau-Versprecher, die sexuelle Revolution, Telefonklingeltöne und Schweigeminuten."
... jenseits der Hörbarkeit miteinander zu tun? Im "Sound der Zeit" bleibt vieles beschreibend und unanalytisch, gerade was den Bereich der Erinnerungsgeschichte anbelangt, deren häufige Verknüpfung mit musikalischen Konserven – von La Paloma bis Michel Jackson – einen separaten, freilich nur für einen begrenzten Leserkreis interessanten Band ausmachen könnte. In den anderen Texten verweisen die Autoren immer wieder auf die gleichen Referenztöne und -ereignisse und zitieren unisono "Klang und Krach" des Kanadiers Murray Schafer als Standardwerk. Seine Definition von differenzierten Klanglandschaften als High Fidelity, von akustischen Zuständen mangelnder Trennschärfe – vulgo Lärm – dagegen als Low Fidelity ist mittlerweile fast dreißig Jahre alt. Man staunt, dass seither nie jemand darüber hinausgedacht hat. Erhellend und wertvoll wird das Buch erst dort, wo es um die Klanggeschichte des Politischen geht. Hier wissen wir tatsächlich wenig. Die Historiker beschäftigen sich noch sehr zögerlich mit akustischen Originalquellen. Die ersten Sprachkonserven etwa entstanden als technische Spielerei und sind bis auf ein paar Wortfetzen so gut wie unverständlich.
Mit Geräuschen überleben
Interessant wird es dort, wo Klang und Leben in ein sich bedingendes Verhältnis miteinander gerieten. In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs erzeugte der Mensch ungeheuren Lärm, und Lärm rettete ihm das Leben. Jedenfalls zuweilen.
"Um zu überleben, mussten die Soldaten lernen, die Geräusche der Geschosse zu unterscheiden und die von ihnen ausgehende Gefahr abzuschätzen. Aus den Geräuschen erschlossen sie die feindlichen Stellungen und die Art des Angriffs. (...) Tatsächlich war die Fähigkeit, aus dem Geräuschteppich den Granatentyp, die Flugbahn und den Einschlagsort herauszufiltern, Teil eines 'Frontinstinkts', der sich mit zunehmender Aufenthaltsdauer bei den Soldaten in den Gräben herausbildete. Das Gehör tastete den Lärm nach Regeln ab. Es identifizierte Munitionsart und Kaliber aus der Art des Fluggeräuschs und der Explosionen, wobei musikalisch vorgebildete Soldaten im Vorteil waren."
Nicht nur die, sondern auch jene, die das sprachliche Vermögen besaßen, eine Quasi-Notation der gefährlichen Geräusche zu entwickeln. Das stützte dann das akustische Gedächtnis, und Tagebuchschreiber wie Ernst Jünger genossen einen Überlebensvorteil. Den Schlachtenlärm onomatopoetisch zu transkribieren, half ihn zu verstehen.
"Nun ging es los. sst-bum! sst-bum! sst-bum! bum! bum!", heißt es in einem Eintrag am 4. November 1916. Den Klang der Flatterminen beschreibt er mit den Buchstabenkombinationen "Udja – Udja – klack – bums!!!"; Leuchtkugeln machten "Pschschschscht" und der Granathagel "sst – bum! [...] Krach! Krach! Bautz! sst! sst! sst!" Menschliche Schmerzlaute umschreibt er mit "Üiih Ühuhü". In anderen Eintragungen verbindet er seine Beobachtungen mit konkreten Verhaltensanweisungen. Am 23. Oktober 1915 notiert er: "Mitunter hört man auch ein flatterndes oder pfeifendes Geräusch mit dumpfem Abschuss. Vorsicht! Deckung! Minen oder Gewehrgranaten!"
Eine makaber anmutende Benennungslust markiert dann den Übergang zwischen Tagebucheintrag und literarischer Bearbeitung. Man suchte nach Bildern, die dem Klang nahekamen:
"Das Maschinengewehrfeuer hieß 'Nähmaschine', ein Zünder 'Canarienvogel', eine einschlagende Granate 'Kohlenkasten', 'Leichenwagen', 'D-Zug' oder 'Reisekoffer'. Nicht nur die neuen Kriegstechniken, sondern auch die toten Körper erzeugten spezifische Geräusche. Da längst nicht alle Gefallenen von den Leichensammelkommandos weggeschafft werden konnten, lagen die Leichen oft mehrere Tage zwischen den Linien. Der Verwesungsprozess ließ geradezu apokalyptische Geräusche entstehen. 'Sie zischen, rülpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen', schrieb Remarque über die Toten im Niemandsland."
Wenn wir das heute lesen, meinen wir, eine akustische Vorstellung davon zu bekommen. Vielleicht nicht von den blubbernden Leichen, wohl aber vom Trommelfeuer und dem Getöse schwerer Geschütze. Das aber beruht auf einem ein Irrtum, auf medialen Artefakten. Es gibt keine Aufnahmen von der Front, der infernalische Schlachtenlärm ist ebensowenig im O-Ton überliefert, wie sich das Ertaubungsgefühl der Soldaten nach der Schlacht aufzeichnen ließe.
"Wenn wir heute den Ersten Weltkrieg im Ohr zu haben glauben, dann sind es allenfalls die retrospektiven Klanginszenierungen der Filmklassiker. Mit der tatsächlichen Soundrealität des Weltkriegs, jener Mischung aus unerträglicher Stille und tagelangem Trommelfeuer, aus chronischem Alarm- und akustischem Ausnahmezustand, haben diese ebenso wenig zu tun wie Elton Johns peinliches Gesülze auf der 1981 erschienenen Schallplatte All Quiet on the Western Front. Es bleibt offen", so Horst Meixner resümierend, ob bei all diesen Versuchen, den Krieg akustisch zu fixieren, "nur das Medium oder die Reproduktion überhaupt an eine Grenze gelangt" ist.
Das Grammophon unterwarf den Menschen
Grenzen von Aufzeichnung und Reproduktion scheinen im digitalen Zeitalter verschwunden; so ziemlich jede Lautentäußerung lässt sich belauschen, ohne dass der Lautgeber überhaupt davon wüsste. Das war zu Beginn der Epoche keineswegs der Fall. Wer seine Stimme auf eine Grammophonplatte bannen wollte, musste eine artifizielle Aufzeichnungshaltung einnehmen:
"Die Sängerin Frieda Hempel (...) schilderte ihre Erlebnisse während ihrer allerersten, 1907 für die Odeon eingespielten Aufnahme. Als sie singen sollte, so Hempel, habe ihr jemand als Zeichen in den Rücken 'geknufft' und wenn ihre Partitur kräftigere Töne verlangte, habe einer der Techniker sie am Rock gezogen, damit sie vom Aufnahmetrichter zurücktrat. Bei leiseren Tönen sei sie dann mit entsprechender Energie wieder an den Trichter herangeschoben worden. (...) Einer Mehrheit der Künstler schien dies nichts auszumachen, ein Teil reagierte jedoch mit einer 'Trichterfurcht'."
Der Apparat, das Grammophon, unterwarf den Menschen. Man kennt Ähnliches von anderen Medienmaschinen, der Fotokamera etwa, die über mehrere Generationen hinweg verkrampften Stillstand der Portraitierten verlangte. Bis sich eine Medientechnologie so verfeinert hat, dass sie Realismus zulässt, biegt sie sich ihre aufzunehmenden Objekte zurecht. Nicht der Mensch läuft den Schuh ein, sondern der Schuh formt den Fuß. Der aufschlussreichste Aufsatz in diese Richtung stammt von der Germanistin Cornelia Epping-Jäger und führt zurück zum Verhältnis von Stimme, Lautsprecher und medialer Überlieferung.
"Hitlers Stimme (...) ist die hysterische Stimme der Massenadressierung, die Stimme der Selbsterregung durch Publikumsresonanz und die Stimme im Zentrum eines technisch aufwendig arrangierten politischen Erlebnisraums. Ihr Sound ist der Sound des Dispositivs LautSprecher und als solcher hat er sich in das akustische Gedächtnis eingeschrieben."
Was wir als natürliche Überlieferung im Ohr haben, beruht in Wahrheit auf einer hochkomplexen Inszenierung. Hitler hat sich in Massenversammlungen an die Macht gebrüllt und dabei auf damals neueste Technik gesetzt. Im Verbund mit eigens konstruierten Lautsprechern, die Hall und Rückkopplungseffekte minimierten, entstand das, was Cornelia Epping-Jäger ein Lautsprecher-Dispositiv nennt:
"Dispositiv meint dabei, dass Lautsprecher nicht nur als technische Apparaturen verstanden werden, sondern als ein komplexes Zusammenspiel von Techniken, Aufführungspraktiken und Diskursen, von akustischen Übertragungsmedien, Rednern und ihren Schulungsinstitutionen."
In der Hauptsache wirkt die Technik nicht bloß verstärkend in Richtung Publikum, sondern sie wirkt auf den Redner zurück.
"Das Dispositiv LautSprecher nämlich ermöglicht, dass der Redner seine eigene Stimme technisch leicht verzögert wieder vernimmt, nun aber aufgeladen mit der emotionalen Resonanz eines Massenpublikums. Da das Lautsprechersignal den Redner mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung wieder erreicht, wird die Stimme des Redners in seiner Selbstwahrnehmung durch die Stimme, die alle gehört haben, überschrieben. Sie wird durch die Mikrofon-Lautsprecher-Konfiguration in einem paradoxen Zugleich von Nähe und Ferne inszeniert, sie ist Massenkommunikation und doch auch intime Kommunikation im Raum wechselseitiger Wahrnehmung."
Wir kennen Hitlers Stimme nur aus diesem Zusammenhang – die Propaganda achtete darauf, ihn auch bei Radioansprachen nicht anders erscheinen zu lassen. Heute, wo es kaum noch Massenversammlungen dieser Art gibt und selbst radikale Politiker umso mehr Wirkung erzielen, je beiläufiger ihr Tonfall klingt, heute ist es leicht, sich selbst die Nichtverführbarkeit durch Hitlers grotesk aufgeputschte Stimme zu attestieren. Indes existiert ein einziger, offenbar unbemerkt aufgenommener Gesprächsmitschnitt Hitlers, auf dem er im Salontonfall parliert. Wer sich das anhört, muss sich selbstkritisch eingestehen, dass die sonst so wenig nachvollziehbaren Schilderungen, der Diktator habe im inneren Kreis Charme entwickelt, nicht ganz erfunden sein können. Zum Glück ist dieser Hitler uns akustisch nicht präsent, und zum Glück kann man ihn im Buch so nicht hören. Aber was sich für den Einzelfall geziemt, bildet in der Gesamtheit ein Manko.
Nur Krach ist Allgemeingut
"Sound der Zeit" klingt nicht. Es ist reines Papier, und bisweilen nötigt die Verschriftlichung dem Leser einiges an Vorstellungsvermögen ab.
"Da da da di damm ... fünf Töne, die in Deutschland mindestens 80% der Bevölkerung kennen."
Vielleicht hilft dem akustischen Gedächtnis eine nachgereichte optische Information auf die Sprünge: Der Klang ist magenta eingefärbt. Jetzt eine Idee?
"Da da da di damm ..."
Dennoch: Dass sich der Verlag eine bei diesem Thema eigentlich unverzichtbare CD erspart, mindert den Wert des Buches. Die Angaben zu akustischen Fundstellen im Internet als Ausweichstrategie sind merkwürdig unpräzise. Oft wird nicht mal eine Webadresse abgedruckt – geschweige denn ein praktischer QR-Code –, sondern ein Suchbegriff angegeben. Da man zwanzig Jahre nach Beginn des Worldwideweb den Herausgebern kaum digitalen Analphabetismus unterstellen kann, muss das andere Gründe haben. Es ist ein Wegstehlen aus einer Problematik, die im Buch unbedingt thematisiert gehört hätte: Wer besitzt eigentlich jene Klänge, Aufnahmen, akustische Artefakte, die fast alle auf Youtube zu finden sind, die aber der Verlag sich nicht zu reproduzieren wagt?
Mit der Aufzeichnungstechnologie setzte zugleich eine Privatisierungs- und Enteignungswelle ein, der öffentliche akustische Raum schrumpft seither kontinuierlich. Man kann fast sagen: Nur Krach ist Allgemeingut, Klang gehört schon immer jemandem. Dass die Copyright-Industries noch nicht alles an sich gezogen haben, liegt schlicht an der schwierigen Grenzziehung zwischen Klang und Krach. Letzterer lässt sich nicht mal physikalisch definieren, Sieglinde Geisel feststellt:
"Messbar ist nur der Schall, nicht aber die Lärmempfindung der Menschen."
"Sound der Zeit. Geräusche, Töne, Stimmen – 1889 bis heute" von Gerhard Paul, Ralph Schock (Hrsg.) ist im Wallstein Verlag erschienen, die 608 Seiten kosten 49,90 Euro