Joachim Streich, der kürzlich verstorbene Rekordnationalspieler der DDR, nahm seinen ersten Wechsel selbst in die Hand, mit 16, von der TSG Wismar zum FC Hansa Rostock. "Ich durfte zwar umsonst Internat schlafen, aber ich habe keine Verpflegung gekriegt. Weil ich nicht delegiert wurde, kriegt ich auch keine Essensmarken."
Die anderen im Internat fütterten ihn mit durch, den noch nicht Delegierten. Der Mittelstürmer wollte dann 1975 zu einem der Platzhirsche in der DDR-Oberliga wechseln: zum FC Carl Zeiss Jena mit dem gleichnamigen finanzstarken Zeiss-Kombinat im Rücken.
Streich zum 1. FC Magdeburg delegiert
Streich durfte aber nicht. Zum 1. FC Magdeburg sollte es gehen, entschieden die Verbandsfunktionäre in Berlin und delegierten den Torjäger an die Elbe zum Europapokalsieger der Pokalsieger von 1974. Eine geräumige Wohnung wartete schon. Immerhin hat Streich den Wechsel nie bereut.
Frank Müller und Jürgen Schwarz erzählen mit viel Hingabe und kurzweilig von Fußballerkarrieren im Osten Deutschlands, von SED-Bezirksfürsten, Betriebsdirektoren und Vereinsfunktionären, die Spieler holten oder sie auch mal nicht ziehen ließen.
Dabei konnte schon die Anbahnung eines Wechsels zum Problem werden. Frank Müller: "Zu DDR-Zeiten war es allerdings schwierig, überhaupt an Spieler heranzukommen, weil die meisten nicht einmal ein Telefon hatten. Und da musste man dann in die Wohnung kommen und das aber möglichst auch ungesehen. Weil die hatten ja auch alle ein Umfeld, wo es sofort auffiel, wenn da ein Fremder auftauchte und vielleicht gar sich noch als Klubvertreter zu erkennen gab. Das mussten sie konspirativ machen."
Über 30 Geschichten haben die Autoren zusammengetragen. Bekannte Namen darunter: Dixie Dörner, im Januar verstorben, Dresdener Legende, der seine Karriere nicht bei der BSG Stahl Riesa ausklingen lassen durfte.
Zwickau wollte Schuster mit Trabi halten
Oder Dirk Schuster. Er führte Darmstadt im wiedervereinigten Deutschland als Trainer bis in die Bundesliga. 1987 als Spieler lockte ihn der 1. FC Magdeburg. Aber die Betriebssportgemeinschaft Sachsenring Zwickau wollte Schuster halten, mit einem Trabi. Der wurde ja dort gebaut. Er hätte ihn bezahlen müssen, aber ohne die DDR übliche langjährige Wartezeit bekommen. Das mit dem Auto erzählte Schuster dann den Vertretern des 1. FC Magdeburg. Als er nach der Marke gefragt wurde, sagte Schuster, er habe einen Lada angeboten bekommen von den Zwickauern. Im Osten schon was Besonderes. Jetzt bekam er das Wunschauto von den Magdeburgern - und die ihren Wunsch-Spieler, mit dem Segen natürlich der zuständigen Genossen.
Aber es wurde auch direkt Geld gezahlt. Lutz Lindemann, Nationalspieler, hatte 1977 für seinen Wechsel von Rot-Weiß-Erfurt zum FC Carl Zeiss eine Umzugsprämie von 15.000 DDR-Mark erhalten. Für damalige Verhältnisse eine gewaltige Summe. Zuvor sollten ihn schon Südfrüchte aus dem Westen auf den Geschmack bringen.
"Fußball und Geld immer eine Wahlverwandtschaft"
Und die sozialistische Moral? Jutta Braun, Wissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam: "Ich meine Fußball und Geld, das war immer eine Wahlverwandtschaft im Westen wie im Osten. Es hat immer Handgelder gegeben, in allen Spitzenclubs in der DDR. Aber in den Betriebssportgemeinschaften war es am einfachsten zu organisieren. Unter waren die Säcke auch am besten gefüllt. Und so gelang es ihnen dann eben auch, gute Spieler einzukaufen. Auch Spieler einzukaufen, die aus kaderpolitischen Gründen aus anderen Vereinen herausflogen, also zum Beispiel wenn man Westverwandtschaft hatte. Da hatte man große Probleme, etwa bei einem Dynamo Club."
Wechsel waren in der DDR ihr etwas Besonderes und nicht die Regel. Wie sie abliefen, für Außenstehende oftmals rätselhaft. Man konnte übrigens auch ausdelegiert werden. Das Buch erinnert an das Schicksal von Matthias Müller und Peter Kotte von Dynamo Dresden. Mit der Nationalmannschaft sollte es 1981 nach Südamerika gehen. Aber kurz vor dem Abflug werden die beiden verhaftet. Sie wussten von den Fluchtplänen ihres Mitspielers Gerd Weber, der zum ersten 1. FC Köln wollte, hatten ihn aber nicht verraten. Das Ende ihrer leistungssportlichen Laufbahn. Sie erhalten sogar ein Stadionverbot bei den Schwarz-Gelben. Matthias Müller findet später in seiner Stasi-Akte die Namen von acht ehemaligen Mitspielern.
Spieler hofiert und an kurzer Leine
"Die Delegierten" für Autor Frank Müller, einst für Chemie Leipzig aktiv, war das Tauziehen um die Spieler zwiespältig. Einerseits wurden sie hofiert, andererseits an der kurzen Leine gehalten: "Wenn sie vielleicht von alleine mal den Wunsch äußerten, irgendwo anders hinzugehen, hat man sie behandelt, in Anführung, wie 'Sklaven'. Und zugleich wurde aber in in der DDR ja immer der Westfußballer, der sogenannte Profifußball, so abschätzig dargestellt wie ungefähr, als während das die Sklaven. Weil da eben Summen flossen welche gekauft wurden. Da wurde ja so getan, als wenn es das bei uns nicht gäbe. Also das war pure Heuchelei."
Frank Müller/Jürgen Schwarz: „Die Delegierten: Verdeckte Transfergeschäfte im DDR-Fußball“
Neues Leben
208 Seiten, 18 Euro
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