Friedbert Meurer: Brian Jones starb im Alter von 27 Jahren, genauso wie Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin, Kurt Cobain. Alle starben mit 27. Was ist das Mysterium, dass diese Helden der Rockgeschichte alle mit 27 Jahren gestorben sind?
Paul Trynka: Es gibt den Mythos mit der Nummer 9, eine Zahl die Unglück bringen soll – also 2 plus 7. Das ist Mythologie und Romantik. Brian war mit 27 körperlich am Ende. Das war das Ergebnis des Drogen-und Alkoholmissbrauchs, seitdem er 18 oder 19 war. Leider ist er berühmt dafür, der Gründer des Clubs der 27er zu sein. In Wirklichkeit war er der Begründer des Bluesrock, jemand der die kulturelle Landschaft verändert hat.
Meurer: In ihrem Buch behaupten Sie, dass die anderen Mitglieder der Rolling Stones Brian Jones als "verrottetes Anhängsel" betrachten. Wenn das wirklich stimmt, warum tun sie das?
Trynka: Interessanterweise hat Bill Wyman, der Bassist, das gerade vor ein paar Monaten bestätigt. Brian ist schon noch gegenwärtig. Er war derjenige, zu dem die anderen Stones aufgeschaut haben. Oft verübeln wir es ihm aber, weil wir glauben, wir haben das doch aus uns heraus selbst geschafft. Bill Wyman findet es ekelhaft, wenn der Gründer der Stones verschwiegen wird. Aber so ist das halt, wenn du in Isolation lebst - umgeben seit 50 Jahren von servilen Dienern. Dann bekommst du eine völlig falsche und verzerrte Sicht auf dein eigenes Leben.
"Die Rolling Stones waren immer zerrissen durch Zwietracht und Rivalität"
Meurer: Wollen Mick Jagger und Keith Richards Brian Jones verleugnen, weil sie seine dunklen Charaktereigenschaften nicht ertragen konnten?
Trynka: Es ist kompliziert. Brian konnte sehr schwierig und ekelhaft sein. Die Rolling Stones waren immer zerrissen durch Zwietracht und Rivalität. Jeder ist mit der Freundin des anderen ins Bett gegangen, von Anfang an. Aber der Hauptgrund, dass sie die Erinnerung an ihn löschen wollen, ist, dass sie gerne denken, das haben sie alles alleine geschafft. Aber Brian Jones hat die Band gegründet, er hat Mick und Keith als Bandmitglieder ausgesucht. Sie wollen ihre eigene Geschichte jetzt fälschen. Es sind nur Bill Wyman, ich und Brians Freunde, die sich für die Wahrheit interessieren. Mick und Keith sind fantastische Musiker, aber sie sollten ehrlich sein.
Meurer: Sie haben Keith Richards oft interviewt. Streitet er es ab, dass er von Brian Jones unterrichtet wurde, wie man z. B. die Saiten der Gitarre auf G-Dur stimmt, womit Keith Richards Gitarrenstil so berühmt wurde?
Trynka: Keith gibt viel auf Brian. Er gesteht schon ein, dass Brian Jones ihn auf Leute aufmerksam gemacht hat wie auf den Blues-Musiker Robert Johnson. Brian Jones hat als erster mit Offener-G-Dur-Stimmung gespielt, schon zwischen 1963 und 1964. Es ist schon bizarr und sonderbar, dass Keith die Stimmung bei jemand anderem gehört haben will. Brain war so offen, diese Spielweise weiterzugeben.
Meurer: Warum konnten Sie nicht Mick Jagger interviewen?
Trynka: Die Stones sind eine sehr bizarre Organisation. Die Beatles waren von netten Leuten umgeben, die Stones mit schrecklichen. Das Herz der Band schlägt dysfunktional. Es wurde mir bald klar, dass, wer Keith interviewt hat, nicht Mick interviewen darf. Das ist wie früher am Hof zu Renaissance-Zeiten. Der König hat seinen Hofstaat, die Königin hat ihren Hofstaat. Niemand darf mit beiden befreundet sein. König und Königin kommen zu zeremoniellen Anlässen zusammen, ansonsten leben sie völlig getrennt. Es ist traurig, aber so ist es. Schauen Sie, was auf der Bühne geschieht – da herrscht absolut kein Augenkontakt zwischen den beiden.
Meurer: Vor mir habe ich ein Songbook liegen mit den Noten von 155 Songs der Rolling Stones von den Anfängen bis 1977. Hier steht z. B. bei "Paint it Black": Musik und Text von Mick Jagger und Keith Richards. Wer hat Paint it Black wirklich komponiert?
"Die Stones waren eigentlich uncool"
Trynka: Wenn Sie die Hauptmelodie des Songs nehmen, die hat Brian mit einer Sitar gespielt und kreiert. Er hatte mit Billy Wyman improvisiert und die anderen spielten dann mit. Dasselbe gab es immer wieder. "Ruby Tuesday" basiert auf einer Melodie von Brian Jones. Bei einigen Songs hieß es am Anfang, sie sind von der ganzen Gruppe komponiert. "Play with Fire" ist ein Beispiel dafür. Vor zehn Jahren haben Mick und Keith das in eine Komposition von "Jagger/Richards" geändert. Und deswegen fließt das Geld jetzt direkt an Mick und Keith.
Meurer: Besteht die Leistung von Brian Jones trotzdem nicht eher darin, dass er den Sound der Band geprägt und verbessert hat, z. B. indem er die Flöte bei "Ruby Tuesday" spielt oder die Sitar bei "Paint it Black"?
Trynka: Wenn Sie mit den Hauptfiguren der Hippies von 1966 reden, stellen Sie fest: Die Stones waren eigentlich uncool. Keith hatte sich noch nicht zu diesem Blumenkind und Rebellen entwickelt, wie wir ihn heute kennen. Er war ein gewöhnlicher Junge mit Lederjacke und großen Ohren. Mick war vor allem an Geld und Einnahmen interessiert. Brian war der coole Typ. Er hat das gewisse Etwas hinzugefügt mit seinen Instrumenten und ihrer Musik einen exotischen Hauch gegeben. Das hat die Stones ausgemacht. Sie haben auch hinterher nach Brians Tod großartige Alben gemacht. Aber das hat schnell nachgelassen und sie haben sich in den letzten 40 Jahren leider nur noch selbst wiederholt.
Meurer: Was waren die hellen und die dunklen Seiten von Brian Jones` Charakter?
Trynka: Brian war ein fröhlicher und enthusiastischer Typ, der alles teilte, was er wusste. Er war es, der unter die Leute ging und 1965 in Los Angeles Andy Warhol zum Mitmachen gewann. Andererseits war er kapriziös, selbstsüchtig, wie ein Kind und er war depressiv. Er suchte immer den nächsten Kick, das war sein Problem. Die anderen Bandmitglieder fingen an, ihn abzulehnen und sogar zu hassen. Das ist durchaus üblich in Rock`n roll Bands. Wie nennen Sie das, "Lagerkoller"? Dass sie Brian gemobbt haben, ist nichts Schreckliches an sich. Schrecklich ist, wenn sie ihn aus der Geschichte herausretuschieren wollen.
"Die anderen Stones waren auch gewalttätig"
Meurer: Brian Jones hat seine Freundinnen sehr schlecht behandelt – Sex und Gewalt gingen zusammen. Er hat sie geschlagen. Die Zeitung "Daily Mail" wirft Ihnen vor, Brian Jones heiligsprechen zu wollen. Wie lautet Ihre Antwort?
Trynka: Brian Jones ist auf keinen Fall ein Heiliger. Ich habe die guten und die schlechten Dinge über ihn beschrieben. Die negativen Züge werden aber auch übertrieben. Ja, Brian war gewalttätig, er hat mindestens zwei Frauen geschlagen. Aber die anderen Stones waren auch gewalttätig. Sie waren ein ziemlich scheußlicher und gewalttätiger Haufen. Nur als einzigen Brian so zu sehen, ist ziemlich unfair.
Meurer: Brian Jones kam bei einem Unfall im Swimming Pool in seinem Anwesen in East Sussex ums Leben. Das war die Version der Polizei. Auch Sie glauben, dass es ein Unfall war und nicht Mord. Warum glauben Sie nicht dem Bauunternehmer, der mit Brian Jones im Pool war und später auf seinem Sterbebett den Mord doch gestanden hat?
Trynka: Das mit dem Geständnis ist totale Fantasie, absoluter Unsinn. Was ist wahrscheinlicher? Er hatte eine Vergangenheit und war nicht gesund. Er ist oft ohnmächtig geworden, wenn er eine Menge Alkohol getrunken hatte. Ich wünschte, wir hätten mehr Beweise. Ich traue den Mordverschwörungen weniger als den Aussagen der Polizei. Obwohl ich weiß, dass Polizeibeamte korrupt waren und dafür auch ins Gefängnis kamen. Brian war ein paar Mal nach einem Zusammenbruch in Haft, das hat seiner Gesundheit geschadet. Er war abhängig von verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln, was seine musikalischen Fähigkeiten und seinen Lebenswillen verringert hat. Es gab wirklich eine Verschwörung, aber eine, ihn zu jagen und kaputt zu machen.
Meurer: Paul Trynka, vielen Dank für das Interview.
Trynka: Danke für das Gespräch, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.