Ginge es nach Sabine Bode, wäre die Nacht zum 8. Mai ein guter Zeitpunkt für ein alljährliches stilles Gedenken an die Opfer der alliierten Luftangriffe und würde einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der deutschen Mentalität leisten. Wie das? In ihrem Werk "Kriegsspuren - Die deutsche Krankheit German Angst" legt Bode die Generation der Kriegskinder, ungefähr eingegrenzt auf die Jahrgänge 1930 bis 1945, auf die Couch - und fordert nicht weniger als eine neue kollektive deutsche Identität.
Der Begriff "German Angst" wurde in den 1980er-Jahren in den USA geprägt, und bezeichnet die als typisch deutsch erachteten Eigenschaften Mutlosigkeit, Misstrauen und enormes Sicherheitsbedürfnis. German Angst wird als kognitives Erbe von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg gesehen. Gewalt, Entbehrungen, das Wegbrechen von Ordnung und Tradition sowie eine damit einhergehende Wertekrise hätten sich traumatisch auf die Kriegskinder ausgewirkt. Diese tüchtige, pflichtbewusste und vaterlose Generation teilte im Großen und Ganzen die Werte der Eltern, probierte wenig aus und wurde doch wie keine andere für Selbstbestimmung und Eifer materiell belohnt. Und sie prägte nachhaltig die Mentalität der Bundesrepublik, so der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum.
Der Begriff "German Angst" wurde in den 1980er-Jahren in den USA geprägt, und bezeichnet die als typisch deutsch erachteten Eigenschaften Mutlosigkeit, Misstrauen und enormes Sicherheitsbedürfnis. German Angst wird als kognitives Erbe von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg gesehen. Gewalt, Entbehrungen, das Wegbrechen von Ordnung und Tradition sowie eine damit einhergehende Wertekrise hätten sich traumatisch auf die Kriegskinder ausgewirkt. Diese tüchtige, pflichtbewusste und vaterlose Generation teilte im Großen und Ganzen die Werte der Eltern, probierte wenig aus und wurde doch wie keine andere für Selbstbestimmung und Eifer materiell belohnt. Und sie prägte nachhaltig die Mentalität der Bundesrepublik, so der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum.
Kluft zwischen öffentlicher Erinnerungskultur und Familiengedächtnis
Zögerlicher und angstbehafteter Umgang mit jeglichen Herausforderungen, denen sich Politik und Gesellschaft heute stellen müssen, führt Bode auf eine nationale Sinnkrise zurück. Notwendige Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen, wie Renten- und Steuerreform, Arbeitsmarktflexibilisierung oder Energiewende werden nicht oder zu spät vorgenommen. Dies sei Ausdruck fragiler Identität, die nur durch eine persönlichere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu überwinden sei. Ohne das Betrauern eigener Verluste sei keine Empathie für Andere möglich, davon ist Bode überzeugt. Die Wahrnehmung bliebe sonst verzerrt, die Fähigkeit Probleme zu lösen vermindert.
Der 8. Mai offenbare eine große Kluft zwischen der öffentlichen Erinnerungskultur und dem privatem Familiengedächtnis. Erstere hält sie für diffus, voll unreflektierter Mantras die mit "Nie wieder…" beginnen. Für die Journalistin habe die "stille Generation" die aufrichtige Weitergabe eigener Erinnerungen an die Nachkommen versäumt. Stattdessen würden verworrene Bilder und Ängste transportiert.
Psychologie unabdinglich zum Verständnis des Zeitgeschehens
Ein neues kollektives Gedächtnis sollte sich aus der Summe subjektiver Einzelgeschichten zusammensetzen. Doch nach Bode sei die mündliche Tradierung von Familienhistorie - eigentlich ein wichtiger Quell an Lebenserfahrung und Moral - durch die Zeit des Nationalsozialismus beeinträchtigt worden. Die im Wiederaufbau investierte Kraft fehlte, dem Publizisten und Professor für Erziehungswissenschaften Micha Brumlik zufolge, in der moralischen und ethischen Aufarbeitung der verübten Verbrechen und führte in der Konsequenz zu emotionaler Verkümmerung familiärer Beziehungen.
Die Psychologie stellt für die in Köln lebende Autorin Sabine Bode einen unabdinglichen Zugang zum Verständnis des Zeitgeschehens dar. So trägt sie Aussagen von Psychoanalytikern und Neurobiologen zusammen und streift bündig Ergebnisse der Traumaforschung, etwa zur transgenerationalen Weitergabe von Traumata - einschneidenden Erfahrungen, die zwar kollektiv gemacht, aber nicht ebenso gemeinsam erlebt und eingeordnet wurden und die so konturlos im kollektiven Erfahrungsschatz fortdauern. Mangelnde Kommunikation schreibt Bode auch der Tabula rasa der 68er zu. Die hätten keinen empathischen Dialog mit ihren Eltern oder älteren Geschwistern gesucht.
"Allerdings kann ich auch die Versäumnisse meiner Generation nicht übersehen. Wir haben unsere Eltern nur gefragt: 'Was habt ihr gemacht?' Wir wollten nicht wissen, was sie erlebt hatten. Als wir jung waren, interessierte uns nur das, wovon die Älteren am wenigsten hören wollten - die deutsche Schuld. Das förderte in jedem Generationenlager Einäugigkeit. Auch das Klima des Kalten Kriegs beförderte eine gewisse geistige und emotionale Trägheit, wenn es darum hätte gehen müssen, sich mit den Ambivalenzen, die sich aus der deutschen Vergangenheit ergaben, auseinanderzusetzen."
"Allerdings kann ich auch die Versäumnisse meiner Generation nicht übersehen. Wir haben unsere Eltern nur gefragt: 'Was habt ihr gemacht?' Wir wollten nicht wissen, was sie erlebt hatten. Als wir jung waren, interessierte uns nur das, wovon die Älteren am wenigsten hören wollten - die deutsche Schuld. Das förderte in jedem Generationenlager Einäugigkeit. Auch das Klima des Kalten Kriegs beförderte eine gewisse geistige und emotionale Trägheit, wenn es darum hätte gehen müssen, sich mit den Ambivalenzen, die sich aus der deutschen Vergangenheit ergaben, auseinanderzusetzen."
Ein Narrativ des Nachkriegsdeutschlands
Für das Buch hat Bode mit Zeitgenossen aus Politik, Wirtschaft und Kultur gesprochen, darunter Marianne Birthler, Hilmar Kopper, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Peer Steinbrück und Dieter Wellershoff. Die Vielfalt der Berichte ist eine Stärke des Buches, so gelingt das komplexe Porträt einer Generation. Widersprüche lässt Bode zu.
Dass German Angst existiert, bestreiten einige. Die von der Journalistin aufgestellte These fußt auf großer Expertise zu den Kriegskindern und bedient sich kundig Fakten und Studien, ist aber dennoch eher ein Narrativ des Nachkriegsdeutschlands, als ein streng wissenschaftliches Konstrukt. Der Ansatz verleiht manchem Diskurs eine bereichernde Lesart: Vom enormen Sicherheitsbedürfnis, das in den Sozialsystemen in BRD und DDR genauso Ausdruck fand wie in der juristischen Reglementierungswut, über die Unfähigkeit zu rechtzeitiger Modernisierung in den 1980er-Jahren, geprägt von hohen Haushaltsdefiziten und wachsender Arbeitslosigkeit, bis heute.
Lässt sich Pegida auf Traumata zurückführen?
Anhand konkreter Beispiele wie der Agenda 2010 zeigt Bode, wie unbeliebt hierzulande Veränderungen in der Politik bis heute aufgenommen würden. Die Menschen erwarteten in Bodes Augen von der Politik, ihnen ihre Ängste abzunehmen. Denn jene abstrakten Gefühle würden gemeinhin nicht als irrational sondern als gerechtfertigt erachtet. Die Bundeskanzlerin vermeide daher klare Positionen und zeige, wie beim Atomausstieg, mitunter erstaunliche Flexibilität. Viele Medien stillten die endlose Nachfrage nach angstvollen Sensationen mit Inhalten, die dem Individuum zur Ausrichtung des eigenen diffusen Unwohlseins dienen.
"Weil Menschen sich aber dumm fühlen, wenn sie Angst verspüren, ohne zu wissen, wovor sie sich eigentlich fürchten, klammern sich ihre Ängste an alles, was ihnen angeboten wird, wider alle Vernunft, wider alle Erfahrung. So gesehen hat das Konsumieren von Horrornachrichten eine beschwichtigende Komponente. Man muss sich nicht fragen, woher die sonderbaren, überzogenen Ängste kommen, nein, man selbst ist völlig in Ordnung - die Welt draußen ist schuld."
Pegida führt Bode auch auf die nicht aufgearbeiteten Traumata Vertriebener zurück, die in Dresden und Umgebung in hoher Dichte leben. In der DDR unterblieben öffentliche Debatten und Kontroversen, so seien die Menschen dort Veränderungen gegenüber besonders stressanfällig und nun maßlos von Merkel enttäuscht, die die unliebsame Realität nicht länger fernhalten könne. Ihrer Politik bescheinigt Bode, dass sie weder Zusammenhalt noch Eigenverantwortung fördere.
Pegida führt Bode auch auf die nicht aufgearbeiteten Traumata Vertriebener zurück, die in Dresden und Umgebung in hoher Dichte leben. In der DDR unterblieben öffentliche Debatten und Kontroversen, so seien die Menschen dort Veränderungen gegenüber besonders stressanfällig und nun maßlos von Merkel enttäuscht, die die unliebsame Realität nicht länger fernhalten könne. Ihrer Politik bescheinigt Bode, dass sie weder Zusammenhalt noch Eigenverantwortung fördere.
Bode sieht positive Entwicklung
Doch es gebe Grund für Zuversicht: Bode macht einen Trend zu mehr Resonanz persönlicher Familiengeschichten in Buch- und Filmveröffentlichungen aus. Vielleicht auch, weil die Abwehrkräfte der Verdrängung mit dem Alter schwinden und die Jugend wieder stärker in die Wahrnehmung rücke, gäbe es die Chance zu einem Mehr an Austausch zwischen den Generationen.
Auch in der Mitte der Gesellschaft sieht die Journalistin in einem aktuellen Vorwort durchaus eine positive Entwicklung hin zu mehr Empathie, und vergleicht den Empfang der Balkanflüchtlinge in den 1990er-Jahren mit dem syrischer Flüchtlinge im letzten Herbst in München.
Bode war im Dezember 2015 noch überzeugt: Der Weg zu einer offenen und selbstbewussten Gesellschaft müsse von einer breiten Öffentlichkeit getragen werden, die auch von der Politik unterstützt wird. Doch die Folgen der Kölner Silvesternacht, der aufflammende Fremdenhass und der extreme Zuwachs der AfD, müssten ihren Optimismus wieder gedämpft haben. German Angst bestimmt offenbar wieder Politik und Gesellschaft.
Sabine Bode: Kriegsspuren. Die deutsche Krankheit German Angst. Klett Cotta, 298 Seiten, 9,95 Euro.