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Buch "Welt aus Mauern"
"Prothese zur Freiheit"

Mauern bieten Sicherheit, sie schirmen ab, sie trennen zwischen Natur und Kultur, zwischen Privatem und Öffentlichem und sind zugleich durchlässig, schreibt Tobias Prüwer in seiner Kulturgeschichte der Mauer. "Mauern sollen Stärke ausdrücken, sind aber Zeichen von Schwäche", sagte er im Dlf.

Tobias Prüwer im Corsogespräch mit Sigrid Fischer |
    Licht scheint durch eine Stahlinstallation in der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin im Februar 2018.
    Licht scheint durch eine Stahlinstallation in der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin im Februar 2018. (Deutschlandradio/Alexander Moritz)
    Fischer: Der 5. Februar war der Stichtag, an dem die deutsch-deutsche Mauer genauso lange weg war, wie sie gestanden hat. 28 Jahre, zwei Monate und 27 Tage. Die aus Stein gebaute Mauer ist weg, die in den Köpfen noch nicht, stellen wir jedes Jahr aufs Neue am 3. Oktober fest. Mauern müssen nicht aus Stein gebaut sein. Und sie haben auch nicht nur eine trennende, abschottende Funktion, wie sie aktuell eine immer größere Rolle in der Welt zu spielen scheint.
    Über das Verhältnis des Menschen zu den Mauern hat der Philosoph und Kulturjournalist Tobias Prüwer ein Buch geschrieben. Guten Tag nach Leipzig!
    Tobias Prüwer: Guten Tag.
    Fischer: So eine Kulturgeschichte der Mauern kann man natürlich jeden Tag schreiben. Warum haben Sie sie jetzt geschrieben?
    Prüwer: Sie ist jetzt erschienen, geschrieben habe ich sie in den letzten drei Jahren. Und genau der Anlass war auch das Jubiläum des Mauerfalls. Ich dachte, es muss ja noch ein bisschen mehr geben als Mauern als Grenzmauern und dachte, ich les´ mich da ein bisschen ein. Und hab' gemerkt, es gibt gar nicht, zumindest im deutschsprachigen Raum, nicht so ein Buch, was sich Mauern allgemein widmet. Und da dachte ich, ich mach' es selbst.
    "Mauern sind erst mal auch Schutzräume"
    Fischer: Wenn wir heute so über Mauern sprechen, denken wir ja aufgrund der Weltlage immer an das Trennende zwischen Menschen. Also eher sind Mauern negativ konnotiert. Aber Mauern, das lese ich in Ihrem Buch, haben ja auch viele positive Aspekte, schaffen Privatheit, Intimsphäre, bieten Schutz vor Unwettern, vor Angreifern, schaffen ja auch Ordnung in Gebäuden. Ist es nicht eigentlich das Positive, der Ursprung von Mauern, warum irgendwann überhaupt Mauern hochgezogen wurden?
    Prüwer: Das auf jeden Fall. Sie sind auf jeden Fall so ein Kulturanzeiger oder eine Prothese zur Freiheit. Sie haben es gerade angesprochen: Es schützt uns vor Witterungen, Mauern können uns wärmen oder zumindest die Wärme drinnen halten. Wir können uns in Gemeinschaften vor den Unbillen der Wildnis halt schützen durch Mauern oder Wälle. Klar, Mauern sind erst mal auch Schutzräume, Freiheitsräume. Ich kann die Natur einhegen und damit sozusagen Zivilisation, also einen Garten einhegen und mir damit Zivilisation mit Grün beschönen. Also Mauern haben in dem Sinn nichts Gutes und nichts Schlechtes per se an sich, sondern ich kann sie nutzen, wie ich möchte, und da ist ein Grundprinzip mal was positives, keine Frage.
    Autor Tobias Pruewer vor einer grafisch gestalteten Mauer
    Autor Tobias Pruewer vor einer grafisch gestalteten Mauer (Franziska Reif / Wagenbach)
    Fischer: Aber dass dadurch auch Räume entstehen und ich Orientierung bekomme - Sie haben das an einer Stelle in Ihrem Buch ganz gut beschrieben - wenn man an einen Ort kommt und da wären keine Mauern, keine Häuser, nichts, wäre es eine große Fläche, und ich wäre vielleicht verloren, aber durch Mauern wird mein Weg auch gelenkt und strukturiert vielleicht, und das scheint ein menschliches Bedürfnis auch zu sein.
    Prüwer: Genau, der Mensch braucht auf jeden Fall Orientierung, und da können uns Marker in der Landschaft oder eben Raumteiler, die auch Mauern sein können, Orientierung geben. Es gibt ein schönes Beispiel, das zeigt, wie Mauern einerseits Orientierung schaffen können als auch labyrinthisch, irrgartenmäßig uns verwirren können. Wenn man jetzt eine Stadt anschaut, in der ich lebe, vertraut bin, dann kann ich ja blind fast an diesen Mauern vorbeigehen, weil die mir alle vertraut sind. Ich kann in das kleinste Gewimmel von Gässchen, an dem orientiere ich mich.
    Wenn jetzt aber jemand als Tourist, als Fremder in der Stadt ist, ist der natürlich heillos überfordert, aufgrund derselben Anordnung, derselben Mauern. Da gibt es halt auch ein schönes Beispiel, dass Mauern eben auch nie so komplett objektiv im Raum stehen, sondern eben auch immer von Menschen gemacht worden sind und für Menschen und Menschen auch dienen können...
    Fischer: Aber auch Menschen kontrollieren und lenken können.
    Prüwer: Genau.
    Mauern im öffentlichen Raum
    Fischer: Sie haben ganz schön das Beispiel dieser Shoppingmalls, wo Sie sagen, da wird auch ganz gezielt unser Blick und unser Weg irgendwohin gelenkt, mit einem Interesse auch dahinter.
    Prüwer: Genau, die Shoppingmalls sind ein großartiges Beispiel dafür, wie Mauern mit Hilfe von Verkaufspsychologie auch wunderbar unsere Blicke, unsere Wege lenken. Also die sind komplett angeordnet nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, so dass der Konsument die meiste Verweildauer jeweils vor dem und dem Laden, an der und der Kreuzung hat. Die sind halt wirklich so gebaut, dass man möglichst lange in diesem Shoppingcenter ist und möglichst viel Geld dort lässt, indem man eben möglichst viel Zeit dort verbringen kann.
    Fischer: Und dass die Mauer eine Filterfunktion hat, schreiben Sie, also Obdachlose bleiben draußen. In der Stadt bleiben die nicht draußen, sind die da. Aber in der Shoppingmall kann ich sagen, kein Zutritt. Genau, wer kein Geld dort lässt, also der Obdachlose oder Jugendliche, die halt herumlungern oder Skateboard fahren oder was auch immer, die muss ich in der Stadt "erdulden". Weil, es ist öffentlicher Raum, der ist ja zum Glück für jeden da. Im Shoppingcenter natürlich nicht. Das ist ein Problem für mich.
    "Wenn einem nix anderes mehr einfällt"
    Fischer: Mauern sind oft Zeichen der Schwäche, nicht der Stärke, das schreiben Sie auch. Warum?
    Prüwer: Naja, Mauern - das sieht man ja auch in aktuellen Diskussionen in der sogenannten Flüchtlingsproblematik - sind schnell Hilferufe oder scheinen schnell Abhilfe zu schaffen und dann muss ich mich mit den Flüchtlingen nicht mehr auseinandersetzen. Das Problem ist nur, Mauern schaffen meistens nur ganz, ganz schnell, als Nothilfe, irgendwie was, indem sie vielleicht jemanden kurzzeitig stoppen, wenn es denn überhaupt gelingt. Aber auf Dauer hat immer Mobilität und haben immer Migranten letztendlich über Mauern obsiegt. Das beste Beispiel ist: Donald Trump hat die Wahl auch gewonnen, weil er halt massiv nach einer Mauer gerufen hat, von der er bis jetzt noch keinen Meter neu gebaut hat. Sie sollen Stärke ausdrücken, sind aber deswegen ein Zeichen von Schwäche, weil einem eigentlich nichts anderes mehr einfällt.
    Fischer: Da zitieren Sie den Historiker Rafael Seligmann: "Eine Mauer ist auf Dauer kein Konzept. Jede Mauer wird scheitern."
    Prüwer: Genau.
    Fischer: Andrerseits - Beispiele bringen Sie auch - die Glaswand um den Eifelturm oder die Blumenkübel zur Abwehr von Terrorangriffen von LKWs. Da versucht man sich ja dann zu schützen.
    Prüwer: Genau. Natürlich können Mauern schützen, das stelle ich auch überhaupt nicht in Abrede.
    Unsichtbare Barrikaden
    Fischer: Also ist es dann doch ein Konzept vielleicht?
    Prüwer: Naja, es ist aber auch ein Zeichen von Schwäche, deswegen werden mittlerweile auch diese Blumenkübel, die ursprünglich ja nicht als Blumenkübel geplant waren, aufgestellt. Wir kennen das nach dem Terrorangriff auf dem Breitscheidplatz, dass man erst mal Betonwände oder Betonpfeiler, wie auch immer man die genau nennt, in die Stadt hingestellt hat, dass eben keine Autos durchkommen. Das hat man nach dem 11. September auch in New York getan, obwohl damals ein Flugzeug das Terrormittel war, aber diese Mauer-ähnlichen Teile haben dann Unsicherheit geschaffen, gerade in New York, so dass sie in der Öffentlichkeit wahrnehmbar waren, dass man sich irgendwie gegen Terror schützt.
    Also musste man dann überlegen, wie man die verkleidet, also gibt es dann plötzlich Blumenkübel, die eigentlich nur nichts anderes als große Betonteile sind, deswegen eine Glaswand in Paris. Eigentlich sollen diese Sachen dann auch wieder nicht sichtbar sein. Die sollen natürlich schützen, und das ist auch gut, wenn sie schützen, dann ist es auch gut, dass es sie gibt. Aber sie sollen nicht sichtbar sein, weil sie dann doch psychologisch als schwach zurückwirken.
    Wir haben noch länger mit Tobias Prüwer gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Fischer: Das ist dann auch, wenn Sie sagen, sie sollen nicht sichtbar sein, so eine subtile Form, die alten Stadtmauern, die Burgmauern, diese Schutzwälle wieder hochzuziehen?
    Prüwer: Genau. Das ist das interessante bei diesen alten Stadt- und Burgmauern...
    Fischer: Also wir verbarrikadieren uns wieder, nur wir wollen es nicht mehr sichtbar machen. Das ist der interessante Unterschied.
    Prüwer: Genau, wir verbarrikadieren uns wieder, nur wir wollen es nicht mehr sichtbar machen. Das ist der interessante Unterschied. Bei den Stadt- und Burgmauern, die dienten oftmals - oder zum Teil zumindest, gar nicht mal der Abwehr und der Verteidigung, sondern da sollte sozusagen die Verteidigungsfähigkeit sichtbar sein. Mauern haben immer auch was Repräsentatives, was Schutz und Stärke ausmachen soll, und das ist das Komische bei den neuen Sicherheitsmauern, dass sie nicht sichtbar sein sollen und sie trotzdem schützen sollen.
    Fischer: Jetzt gibt es ja noch eine ganz andere Art von Mauern heute, die digitalen Mauern. Und die sind ja scheinbar sehr durchlässig, wenn wir die Hackerangriffe der letzten Zeit uns ansehen. Ja, noch ein Beispiel dafür, dass Mauern kein Konzept sind und jede Mauer scheitert, oder?
    Prüwer: Ja sicher, wobei ich dann denn Begriff Firewall schon sehr lustig finde, weil eigentlich müsste man ja Firefilter oder so was sagen. Oder es ist eine Mauer mit einer Tür, aber eigentlich sind die ganzen Sicherheitssysteme ja eher Filterkanäle und nicht Mauern. Also ich finde die Metapher da ein bisschen schräg, aber Sie haben natürlich Recht, dass da alle Tore offenstehen für digitale Angriffe, das scheint gerade offensichtlich zu sein.
    Was verraten Mauern über den Zustand der Welt, fragt Tobias Prüwer in seinem Buch "Welt aus Mauern". Erschienen im Verlag Klaus Wagenbach. Ich danke für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Tobias Prüwer: "Welt aus Mauern"
    Klaus Wagenbach Verlag, Berlin, 2018. 152 Seiten, 12,90 Euro.