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Buch zur Exilliteratur
Zuflucht für die Verbotenen

Der Amsterdamer Querido Verlag leistete im Zweiten Weltkrieg auf seine Weise Widerstand: Er und ein Partnerverlag gewährten vielen in ihrer Heimat verbotenen Autoren publizistische Hilfe. Arnold Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun, Heinrich Mann, Döblin oder Feuchtwanger erschienen dort. Jetzt gibt es ein lesenswertes Buch über die Geschichte beider Verlage.

Von Anja Hirsch |
    Der Schriftsteller und Arzt Alfred Döblin
    Exilautor zwischen 1933 und 1945: der Schriftsteller und Arzt Alfred Döblin (dpa picture alliance)
    "Ich bin mit 16 Jahren das erste Mal nach Amsterdam gefahren für ein Austauschjahr, und seitdem hat mich die Stadt eigentlich nicht mehr losgelassen. Amsterdam ist eine Stadt der Antiquariate, und irgendwann hält man dann so ein Buch in der Hand, und da steht dann drin, Querido Verlag, und es ist ein deutsches Buch, und da wird man natürlich hellhörig."
    Bettina Baltschev, Kulturwissenschaftlerin und Hörfunk-Redakteurin, merkt man die Leidenschaft für das Thema, das sie hier aufrollt, auch bei der Lektüre ihres Buches an. Die Geschichte der Amsterdamer Exilliteratur ist zwar in Grundzügen bekannt, aber vorhandene Literatur dazu eher wissenschaftlicher Art oder älter. Zeit also, es so anschaulich zu erzählen wie Bettina Baltschev: als Widerstandsgeschichte, die vor allem von zwei Männern handelt, die man bislang eher einzeln betrachtet hatte.
    "Emanuel Querido als Ermöglicher, der auch sehr viel Finanzen da reingebuttert hat in den Verlag. Und Fritz Landshoff, der das inhaltliche Programm gestaltet hat."
    Abenteuerliche Verlagsgeschichte
    Die abenteuerliche Geschichte des Querido Verlags beginnt 1933. Fritz Landshoff ist stellvertretender Leiter des deutschen Kiepenheuer Verlags, dessen meiste Bücher verboten werden. Pläne, das Geschäft zu verlagern, gehen eher in Richtung Schweiz, Österreich oder die Tschechoslowakei. An Holland dachte zunächst niemand. Aber genau von dort winkt nun eine Einladung.

    "Dass es Amsterdam war, liegt unter anderem daran, dass die Niederlande schon immer eine Handelsnation war, eine Seefahrernation, und so eine Seefahrernation, die war offen für das Fremde. Weil wenn sie das nicht gewesen wäre, dann hätte sie sich ihren Wohlstand verbaut. Das heißt, schon seit dem 17. Jahrhundert ist Amsterdam ein Zufluchtsort gewesen, nicht nur für Juden, zum Beispiel von der iberischen Halbinsel, wo ja auch die Vorfahren von Emanuel Querido herkamen. Offensichtlich war das für ihn ein selbstverständlicher Akt, zu sagen: Meine Vorfahren sind nach Amsterdam geflüchtet. Nun geben wir den Büchern aus Deutschland hier ein Zuhause."
    Und so kommt es zu einer der folgenreichsten Zugreisen der Literaturgeschichte. Fritz Landshoff erreicht Amsterdam, um den Mann zu treffen, nach dessen portugiesischem Namen auch der Exilverlag heißen würde: Emanuel Querido. Der hatte bereits in der vornehmen Keizersgracht einen Verlag und sogar den fürs Renommee so wichtigen Skandal hinter sich: 1918 war hier "Het vuur" erschienen, "Das Feuer", ein Kriegsbericht, den die Justiz damals als pornografisch eingestuft hatte. Der spätberufene Verleger Emanuel Querido sollte nach dem Vorbild des Vaters Diamantschleifer werden, entdeckte dann aber die städtische Bohème. Die traf sich unter anderem im Café Américain, wo Querido nun auch seinen deutschen Compagnon nach Verlagsgründung zum Feiern ausführt; zusammen mit Alice van Nahuys, seiner Directrice und Co-Verlegerin, mit der ihn bald mehr als nur das Geschäftliche verbinden würde.
    "Man muss sich das vorstellen, die saßen da in großen Sesseln, Plüschsesseln, und haben gemeinsam angestoßen, und ich kann mir vorstellen, dass die da noch gar nicht wussten, worauf sie sich da eingelassen haben. Querido wusste, dass er da Geld lässt, und Fritz Landshoff, der kam ja gerade aus Berlin und hat wahrscheinlich nicht gedacht, dass er da sieben Jahre in Amsterdam bleiben würde ..."
    Neue Verlagsautoren wie Joseph Roth, Irmgard Keun, Döblin oder Feuchtwanger
    Fritz Landshoff sollte sich mit 7.500 Gulden einbringen, vor allem aber die Manuskripte beschaffen und renommierte Autoren binden, die bis heute einen Namen haben. Joseph Roth, Irmgard Keun, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger und Ernst Toller zum Beispiel. Doch wenn man das Buch zuklappt, hat man das Gefühl, nicht nur Fakten und Namen zuzuklappen. Denn Bettina Baltschev baut beim Erzählen Brücken. Sie verbindet Vergangenheit und Gegenwart, wenn sie knapp beschreibt, wie es etwa an Plätzen jüdischen Lebens wie dem Waterlooplein aussieht, wo heute auf Flohmarktständen billige Plastikuhren liegen.
    Sie erzählt lebendig von den spektakulären Auftritten Joseph Roths, der auf exorbitanten Vorschüssen bestand und vor der Presse beredt die Meinung vertrat, Europa sei nur vom Hause Habsburg zu retten. Auch Emanuel Queridos legendäres Haus in Laren mit seinem Billardtisch steht vor einem, als wäre dies und anderes nicht längst eine versunkene Welt. Hier leben die Literaten zeitweise wie in einer Kommune und erholen sich in Zandvoort am Meer. Auch Klaus Mann, der im Jugendstil-Ambiente des Café Américain Teile seines Romans "Mephisto" schreibt und bei Querido eine geistige Heimat findet.
    "Er wollte mit der Exilzeitschrift 'Die Sammlung' den Exilschriftstellern insgesamt eine Stimme geben. Er hat das auch formuliert, dass das die antifaschistische Gegenstimme gegen Hitler-Deutschland ist."
    Bei Querido und mit dem Geld der Dichterin und Freundin Annemarie Schwarzenbach kommt das Projekt in Fahrt. André Gide, Aldous Huxley und Heinrich Mann gewinnt der Herausgeber Klaus Mann als Patrone. Erste Beiträge kommen von Alfred Döblin oder Joseph Roth. Nach zwei Jahren und 24 Ausgaben war zwar schon wieder Schluss mit der engagierten Zeitschrift. Aber andere wichtige Romane erscheinen, und zwar alle möglichst in Erstausgaben. Das war Bedingung, um gegen die Konkurrenz bestehen zu können. Profit macht der Exilverlag dabei kaum, eher im Gegenteil. Im fünften Jahr muss man bangen. Dass Querido dennoch neben anderen Exilverlagen, die es europaweit gab, in Zürich, Prag oder Paris, bis heute eine solche Bedeutung hat, liegt an den großen Namen, die publiziert wurden; aber auch an seiner Umtriebigkeit.
    "Im Querido Verlag sind über 120 Bücher in sieben Jahren herausgekommen, bei Allert de Lange etwas weniger, aber insgesamt muss man sagen, dass über 200 Exilromane aus Amsterdam kommen."
    "Schutzheiliger aller über die Welt Versprengter"
    Über Querido lässt sich nicht sprechen, ohne den Verlag Allert de Lange zu erwähnen, der gleichfalls deutschsprachige Literatur herausbrachte. Auch hier arbeiteten ehemalige Kiepenheuer-Mitarbeiter; etwa Walter Landauer und Hermann Kesten, den Stefan Zweig einmal als "Schutzvater und geradezu Schutzheiligen aller über die Welt Versprengter" bezeichnete. Allerdings gründete Allert de Langes Sohn Gerard nicht eigens einen Verlag, sondern publizierte die Bücher im Stammhaus mit. Einer der Gründe, warum sich Bettina Baltschev entschied, dieses Kapitel nur zu streifen. Dafür lebt ihr Buch vom Atmosphärischen; von Recherchegängen und Gesprächen, die sie unter anderem mit Andreas Landshoff, Fritz Landshoffs Sohn, geführt hat. Originalfotografien lockern den Text zusätzlich auf. Eine zeigt zum Beispiel Klaus Mann und Fritz Landshoff in Zandvoort am Meer vor Schaumkronen - das "Paradies", das Bettina Baltschevs Buch neben der "Hölle" im Titel trägt.
    "Der Titel ist entstanden, weil die Exilautoren immer in einer starken Ambivalenz gelebt haben. Das heißt: Natürlich sind sie an den Strand gefahren und haben im Grand Hotel gewohnt und sind auch baden gegangen in Zandvoort. Aber gleichzeitig, wie ich es nenne, kommen dann nachts die Dämonen, wenn man nachts wachliegt und an seine Lieben in Deutschland denkt und eben nicht genau weiß, wie's weitergeht. Man hat Zukunftsängste, man hat eventuell auch Selbstmordgedanken. Das ist die Ambivalenz, die diese Exilschriftsteller aushalten mussten. Egal, wie schön die Kulisse ist, egal, wie schön Amsterdam ist mit seinen Grachten und wie sicher sie sich gefühlt haben bis 1940. Die Ambivalenz, nicht in der eigenen Heimat zu sein und in der Fremde ein neues Zuhause aufbauen zu müssen, die wollte ich mit dem Titel meines Buches ausdrücken. Hier die Hölle, da das Paradies."
    Die Hölle holt sie dann aber doch noch ein, 1940, als Hitler in Holland und Belgien einmarschiert. Fritz Landshoff kann nach vier Monaten Internierungslager nach New York zu Hermann Kesten. Doch Emanuel Querido und seine Frau sterben 1943 im Vernichtungslager Sobibór. Im Krieg kann ein Verlagsvertreter Bücher im Keller einer Amsterdamer Polizeistation verstecken, und Alice van Nahuys, Queridos erste Vertraute, baut mit dem Rückkehrer Fritz Landshoff den Verlag nach dem Krieg wieder auf. Er besteht bis heute. Seine Geschichte und die Stimmen und Leben vieler in Amsterdam aufgefangener Autoren lässt sich jetzt wiederentdecken.
    Bettina Baltschev: "Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur"
    Berenberg Verlag, Berlin 2016. 168 Seiten, 22 Euro