Tanja Runow: Spiegel-Online hat seit kurzem eine Rubrik weniger. Zum Anfang des Monats wurde die Bildsatire "SPAM" eingestellt. Nach immerhin zehnjährigem Bestehen soll es das jetzt also gewesen sein, mit den gezeichneten und getexteten Kommentaren zum Tagesgeschehen. Aber wenn dort kein Platz mehr ist für die Karikatur, in einem Online-Medium, wo denn eigentlich dann, fragt man sich? In Satiremagazinen? In gedruckten Tageszeitungen? Die kämpfen ja selbst ums Überleben. Und ganz ehrlich gesagt: Hätte überhaupt jemand bemerkt, dass da etwas Wesentliches verschwindet, wenn es nicht die Mohammed-Karikaturen gegeben hätte, die Debatten um Meinungsfreiheit, die brennenden Botschaften und schließlich die tödlichen Anschläge auf Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo? Einen gibt es, der diese Frage mit gutem Gewissen mit "Ja" beantworten kann. Er ist Leiter des Ressorts "Literatur und literarisches Leben" bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Autor des gerade erschienenen Buches "Das geht ins Auge. Geschichten der Karikatur". Guten Tag, Andreas Platthaus!
Andreas Platthaus: Schönen guten Tag!
Runow: Herr Platthaus, würde es dieses Buch geben ohne den Streit über die Mohammed-Karikaturen der letzten Jahre?
Platthaus: Ohne diesen Streit ja, aber nicht ohne das Attentat auf Charlie Hebdo. Denn die Mohammed-Karikaturen und der Streit darum war für mich zwar sehr interessant zu beobachten, aber hat für meinen Geschmack auch sehr viel auf der Seite für die Karikatur geleistet, was ich nicht so ganz gerne gesehen habe. Es wurde da sehr stark polarisiert. Das heißt dafür ein Buch zu schreiben, womit ich diese Kunstform verteidigen möchte, hätte sich wahrscheinlich nicht angeboten. Aber das Attentat auf Charlie Hebdo war nun ein ganz anderer Fall. Das war für mich sehr eindeutig, dass da ein eklatanter Anschlag auf all das, was ich mit unserer Art zu leben, zu zeichnen, zu spotten, auch Kunst überhaupt zu empfinden, zusammenbringe. Und ich habe mich sehr gewundert über die Reaktionen, die das teilweise hervorgebracht hat, dass im Endeffekt doch der Karikatur wieder ein Großteil der Schuld zugeschoben wurde an diesen Attentaten. Und da schien mir doch ein Anlass gegeben, diese Form einmal vorzustellen und daran zu erinnern, was sie bedeutet und sie gegen ihre Verächter zu verteidigen.
Auseinandersetzung mit Religion als Leitmotiv der Karikaturgeschichte
Runow: Eine Beobachtung, die ich Ihrem Buch entnehme, ist, dass diese Auseinandersetzung mit der Religion, wie wir sie eben auch jetzt erleben, im Prinzip eins der Leitmotive der Karikaturgeschichte ist.
Platthaus: Das war für mich selber sehr verblüffend. Natürlich haben wir das in den letzten Jahren extrem so empfunden, seit den Mohammed-Karikaturen besonders, mit dem Attentat auf Charlie Hebdo noch einmal speziell. Aber als ich dann schaute, was hat mich an Karikaturen eigentlich immer wieder beeindruckt, und dann versuchte, mehr zu diesen Karikaturen herauszubekommen als das, was man auf den ersten Blick sieht, merkt man, dass sehr viele dieser Zeichnungen, zurückgehend bis zur römischen Antike, bereits in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Religion entstanden sind. Natürlich auch ganz stark mit der Politik, aber ich war erstaunt, wie häufig Religion als wesentliches Angriffsziel von Karikatur gedient hat.
Runow: Und waren diese religionskritischen Bilder auch schon die größten Aufreger unter den Karikaturen?
Platthaus: Nein, es gab natürlich auch welche, die ähnlich Furore gemacht haben. Und wenn man einfach sieht, wie beispielsweise im Ende des 18. Jahrhunderts in Großbritannien gegen das britische Königshaus gezeichnet wurde, dann war das mindestens so unerhört, wie Karikaturen gegen den Papst zu zeichnen oder gegen Mohammed.
Konfrontation mit dem Publikum
Runow: Ich stelle mir vor, dass es doch konsensfähiger ist, wenn alle Untertanen über einen König oder über einen Kaiser lachen, von dem alle unterdrückt werden, als dass eine Volksgruppe über die andere lacht, oder?
Platthaus: Das ist richtig. Nun müssen wir auch sagen, dass das Phänomen, dass wir gemischte Religionsgruppen und dann meinethalben das, was Sie Volksgruppen nennen, haben, ja auch ein neueres ist. Das gab es ja, zumindest seit der Reformation, gar nicht mehr richtig, seit beispielsweise in Deutschland die Landesherren bestimmen konnten, welche Religion in ihren jeweiligen Gebieten zu herrschen hatte. Dementsprechend würde ich sagen, dass die unmittelbare Konfrontation, die es mit Teilen des Zielpublikums gibt, das ist ein Phänomen, wo wir vielleicht eher seit der großen Durchmischung der Völkerschaften und so etwas im 20. Jahrhundert, mit all den verschiedenen Vertreibungen, Fluchtbewegungen und ähnlichen Dingen, sprechen können. Vorher war Europa doch weitgehend christlich dominiert und eben der Orient weitgehend muslimisch und da stellten die Probleme sich nicht so drastisch, wie sie es heute tun.
"In der Verurteilung dessen, was Charlie Hebdo karikaturesk geleistet hat, besteht ein eklatantes Missverständnis"
Runow: Jetzt sind es ja gerade keine einfachen Fahrwasser, in denen sich die Karikatur bewegt. Das haben wir schon erwähnt. Die Medienlandschaft verändert sich, Zeichner werden bedroht, einige sind umgebracht worden. Mein Eindruck war, dass Sie auch gerade in dieser Situation die Karikatur als künstlerische Gattung würdigen wollen und die Zeichner würdigen wollen. Glauben Sie, da gibt es noch einen gewissen Aufklärungsbedarf in der Öffentlichkeit?
Platthaus: Ja, das glaube ich ganz deutlich, weil ich das Gefühl habe, dass gerade in der Verurteilung dessen, was Charlie Hebdo karikaturesk geleistet hat, ein eklatantes Missverständnis besteht. Es wurde immer wieder gerne betont, dass es doch im Endeffekt auch eine Riesenprovokation gewesen sei, dass man sich doch nicht wundern müsse, wenn man so kritisch gegenüber Islamisten zeichnet, dass man dann auch irgendwann die Mörder im eigenen Haus hat. Das ist grotesk, diese Einstellung! Man könnte das, wenn man das überträgt, sagen, ja, wenn ich irgendeine Kleinigkeit oder so versuche anzuprangern, dann muss ich prinzipiell erwarten, dass mich die allerschwersten Reaktionen diesbezüglich treffen. Und da schien mir tatsächlich einmal wichtig zu sagen, aus welcher künstlerischen, aber auch aufklärerischen Tradition Karikaturen entstanden sind, was sie geleistet haben, was sie, glaube ich, heute immer noch zu leisten imstande sind. Und dass wir damit, wenn wir es uns so einfach machen und sagen, ja, seid doch einfach harmloser, dann passiert euch schon nichts, etwas ganz Wichtiges für unser Selbstverständnis aufgeben.
Gegenseitige Auseinandersetzung von Kunst und Karikatur
Runow: Was ich aber auch gelernt habe durch Ihr Buch, ist, die Bilder stärker im Kontext zu betrachten, muss ich sagen, also im politischen, aber auch im ästhetischen Kontext. Sie zeigen ja, wie viele Zeichner sich aufeinander beziehen, aber auch auf die Kunstgeschichte beziehen, auf die Malerei eines Goya zum Beispiel. So ein Bildwissen, das viele der Zeichner sicher haben, das muss man sich als Betrachter erst einmal erarbeiten.
Platthaus: Ja, und das ist natürlich auch das extrem Reizvolle für mich beim Schreiben gewesen. Es ist ja nicht so, dass ich das vorher gewusst hätte, sondern das hat sich für mich auch erst ganz erstaunlich herauskristallisiert. Dass Zeichner, ob das nun bewusst oder unbewusst ist, ob die über ein Bildgedächtnis verfügen, was einfach viel umfassender ist als meines oder das der meisten anderen Leute, oder ob es eine sehr bewusste Bezugnahme auf bestimmte Vorbilder, auf bestimmte Ideale darstellt. Dass da etwas geleistet wird, was tatsächlich die Rede von Karikatur als Kunst absolut insofern legitimiert, als dass die Karikatur sich immer ganz intensiv mit der klassischen Kunst auseinandergesetzt hat - und übrigens auch umgekehrt. Dass man diese Dinge nicht einfach trennen kann, nur weil man sagt, die eine hat ein spezifisches Anliegen. Sie will, so würde ich das zumindest sagen, aufklären. Die Kunst will vor allem erst mal gefallen, wobei wir auch da natürlich viel kritischeres Potenzial drin haben, als man es einfach in diese Formulierung würde kleiden können. Nein, es ist sich sehr, sehr ähnlich in den jeweiligen Ansprüchen und vor allem auch in dem Interesse füreinander.
"Unserem Leben ist eine gewisse Tragik immer eingeschrieben"
Runow: Sie haben 2000 Jahre zurückgeschaut mit Ihrem Buch, auf viele Länder, nicht nur die USA, Deutschland, auch Japan und Indien haben Sie berücksichtigt. Da sind Ihnen wahrscheinlich schon viele Blüten und Niedergänge der Karikatur begegnet, oder? Wovon hängt das ab?
Platthaus: Es hängt natürlich einmal davon ab - da reden wir jetzt über die Blüten -, wie liberal Gesellschaften sind. Es ist kein Zufall, dass sich in Europa, in England zuallererst wirklich Karikatur weiterentwickeln können, dass wir davon reden können, dass sie eine ganz neue Ebene erreicht, dass sie tatsächlich mit allen Autoritäten bereit ist, den Kampf aufzunehmen. Und das Ganze ist in der Französischen Revolution weiter forciert worden, dann irgendwann mit dem Vormärz auch in Deutschland und natürlich auch nach der Reichsgründung, als alles etwas einfacher hier wurde. Und genauso gibt es dann die Niedergänge, wenn es wieder repressiver wird. Nichts verträgt Macht schlechter, als dass sie lächerlich gemacht werden soll, als dass man über sie lachte.
Runow: Aber zu viel Harmonie ist wahrscheinlich auch nicht gut für die Karikatur.
Platthaus: Exakt, das ist natürlich extrem traurig. Zu viel Harmonie ist aber sowieso etwas, das in unserem Leben nicht so richtig vorgesehen ist. Unserem Leben ist eine gewisse Tragik - und sei es nur durch den Tod - immer eingeschrieben und ich würde nie von einem wirklich harmonischen Leben sprechen wollen. Dementsprechend ist Karikatur, glaube ich, etwas wie ein Abbild unserer "conditio humana". Zwischen himmelhoch jauchzend und lachend und tieftraurig und tiefernst gibt es einfach nicht so wahnsinnig viel, was ganz einseitig hineinpasst. Wir schlagen immer zur einen oder zur anderen Richtung aus. Und das tut die Karikatur genauso. Und das Problem ist, dass wir zurzeit eine doppelte Bedrohung dieser Gattung haben: Einerseits gibt es die wirkliche Lebensbedrohung durch radikale Kräfte, die überhaupt nicht dulden wollen, dass Kritik an ihnen geübt wird. Zum anderen gibt es das Problem, was Sie ganz am Anfang schon einmal angesprochen haben, dass der Platz für Karikatur geringer wird, dass deshalb der Nachwuchs fehlt.
Mangel an gutem Nachwuchs
Runow: Mhh, wo wird denn Karikatur künftig stattfinden?
Platthaus: Hoffentlich weiter in Zeitungen, denn es ist natürlich eine klassische Form, und ich hatte natürlich bislang immer stark auf das Internet gesetzt. Aber Sie haben das Verschwinden von SPAM bereits angesprochen. Wenn in der Tat ein Medium wie Spiegel Online, das nun wirklich über sehr viel Platz erst mal verfügt, sich das nicht mehr leisten möchte, welche ökonomischen oder was weiß ich für ästhetischen Erörterungen auch immer dahinter stehen, dann sieht es kritisch für die Gattung aus. Denn ich vermute, es ist weniger der Wille von Spiegel Online, keine Satire oder Karikatur mehr zu produzieren, als der Mangel an gutem Nachwuchs, der ihnen wirklich noch neue Sachen liefert. Und das ist das grundlegende Problem, was sich gegenseitig immer weiter verstärkt. Und es müsste eigentlich in irgendeiner Weise darüber aufgeklärt werden, wie reizvoll diese Form ist. Und wenn ich mit dem Buch ein bisschen dazu beitragen kann, dann ist schon viel erreicht.
Runow: Ja, Sie haben die Debatte angestoßen. Sie haben es gesagt. Andreas Platthaus war das, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Autor des Buches "Das geht ins Auge. Geschichten der Karikatur". Es ist gerade erschienen in der Anderen Bibliothek und beleuchtet die ästhetische und politische Entwicklung der Karikatur anhand von 50 Zeichnungen aus - ja, das dürfen wir glaube ich so dramatisch sagen - 2000 Jahren. Herzlichen Dank, Herr Platthaus!
Platthaus: Ich danke Ihnen!
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