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Buchautor Harald Jähner
"Die 50er-Jahre waren wesentlich lebendiger, kritischer"

Die Nachkriegsjahre in der Bundesrepublik waren eine bleierne Zeit? Nein, eigentlich seien sie viel konfliktreicher gewesen als heute kolportiert, sagte der Publizist Harald Jähner im Dlf. Viele Menschen hätten versucht ihren "inneren Nazi" loszuwerden, das aber ihren Kindern gegenüber nicht zugegeben.

Harald Jähner im Gespräch mit Birgid Becker |
Das Rundfunkorchester Günter Fuhlisch spielt in der Sendung "Zum Tanztee", Deutschland 1950er-Jahre
Vergnügungslust, Sinnsuche, Entnazifizierung - Harald Jähner wirft in "Wolfszeit" einen differenzierten Blick auf die Bundesrepublik der Jahre 1945 bis 1955 (Siegfried Pilz/United Archives / picture alliance)
Nachgeborene stellen die Nachkriegszeit gern als piefig dar. Heile Familien im Opel Kapitän mit alleinverdienendem Familienoberhaupt am Steuer - sahen sie so aus, die frühen 1950er-Jahre in der jungen Bundesrepublik? Der Journalist Harald Jähner hat diesem Bild der Nachkriegszeit schon länger misstraut und hat sie für sein Buch "Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 - 1955" (Rowohlt) genauer recherchiert.
"In Wirklichkeit waren die 1950er-Jahre doch auch wesentlich lebendiger, auch wesentlich kritischer, als das die Nachwelt gemalt hat", sagt der Autor im Deutschlandfunk. "Denken Sie an dieses Design, an diese Nähe des Gebrauchsdesigns zur abstrakten Kunst. Dieser Nierentisch mit seinen spillerigen Beinen wirkt ja so ein bisschen fast wie so eine Travestie eines Tisches. Er steht ja auch noch in diesen Schühchen aus Messing. Das ist die Antwort auf den Reichskanzleistil, wie man ihn nannte, auf diesen wuchtigen NS-Stil."
Es sei eine konfliktreiche Zeit gewesen, in der auch die Demokratisierung der Bevölkerung in größerem Maße gelungen sei als gemeinhin angenommen - trotz hochmütiger, reaktionärer Beharrungskräfte. "Es gab viele Deutsche, die versuchten schon diesen inneren Nazi in sich loszuwerden." Das hätten sie aber "ihren Kindern gegenüber nicht so zugegeben".
"NS-Verbrechern einfach hinter sich gelassen"
Die alliierten Besatzer seien sehr verblüfft gewesen über den rasanten Sinneswandel vieler Deutscher nach der Kapitulation des NS-Regimes, sagt Jähner. "Die Deutschen hatten ja bis zum Schluss absolut fanatisch gekämpft, hatten noch ihre Greise und Kinder im Volkssturm opfern wollen. Und man hatte natürlich mit einem langen Partisanenkampf gerechnet. Nichts davon war zu spüren. Es war so, als hätten die Deutschen die Begeisterung für das NS-Regime mit einem Schlag von sich gestreift."
Dass das Regime in den letzten Kriegsjahren auch gegenüber der eigenen Bevölkerung "sein wahres Gesicht gezeigt" habe, habe anschließend vielen die Möglichkeit eröffnet, sich als Opfer zu fühlen. "Man stellt sich das Verdrängen immer so als einen verstockten, stummen Vorgang vor. So war es aber nicht. Es wurde ungeheuer viel geredet darüber, wie man auf Hitler reingefallen ist, wie man zum Opfer quasi wie von Drogen wurde. Und dafür hat man sich auch geschämt. Aber über die Juden wurde so gut wie nie geredet."
"Mischung aus Sensibilität und Abgebrühtheit"
Der Kapitulation Deutschlands folgten Jahre der verzweifelten Sinnsuche, in denen die Verwüstung Deutschlands etwa zum "Gottesurteil" verklärt wurde. Eine "Mischung aus Sensibilität und Abgebrühtheit", die Jähner immer schon irritiert habe:
"Da laufen Kunsthistoriker und kunstbegeisterte Menschen durch Köln und berauschen sich daran, dass diese ausgeglühten Kirchen nun im Grunde viel schöner wirken als vorher. Weil der ganze Zierat, so sagen sie, der sich da über die Jahrhunderte angehäuft hat. Dass dieser verschnörkelte Bewurf, das war ein typischer Ausdruck, jetzt weg ist und der ursprüngliche gotische Baugedanke so zum Ausdruck kommt in diesen rußgeschwärzten Kirchen mit diesen eingestürzten Dächern."
"Viele waren woanders gelandet und suchten neue Menschen"
Auch manische Amüsierlust sei weit verbreitet gewesen. Nachvollziehbar, findet Jähner: "Das Elend war eng verschwistert mit der Freude am Leben. Das lag einfach daran, dass man entronnen war dem Schrecken, dem Krieg, und dass man auch nicht wusste, ob man die nächsten zwei Wochen noch leben wird. Das war ja auch nach dem Krieg noch eine sehr, sehr unsichere Zeit. Umso mehr genoss man die Tage, in denen man am Leben war."
Die Bevölkerung sei versprengt gewesen. "Viele Menschen waren zumindest nicht dort, wo sie hingehörten, hatten alles verloren, waren ganz woanders gelandet und suchten nun neue Menschen. Man braucht einander sehr. Man braucht auch neue Partner. Man tat sich in wilden Wohngemeinschaften zusammen."
Ankommen in der selbstgewählten Spießigkeit
Ende der 1940er-Jahre habe es dann statistisch eine Heiratswelle gegeben, "die man als geradezu panisch bezeichnen muss", so Jähner. Die Diagnose "Frauenüberschuss" geisterte durch die Presse. Dass auf sechs Frauen ein Mann gekommen sei, sei "eine vollkommen übertriebene Zahl". Aber:
"Durch das ständige Reden über den Männermangel bekamen viele Frauen so eine regelrechte Torschlusspanik. Und dann kommt, wenn sie einen hatten, diese Abschottung der kleinen Familie, dieser extreme Rückzug ins Innere und ins Kleine, wonach beide sich sehnten. Dann begann das Abdrängen der Frauen aus den Berufen."