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Buchhandel hofft auf leichtes Wachstum für 2004

Lange: Ab heute Abend ist Frankfurt wieder für eine Woche die Stadt der Bücher. Zum 55. Mal wird in der hessischen Metropole die Buchmesse eröffnet. Über 6.400 Aussteller aus 104 Ländern haben sich angemeldet. Rund eine viertel Million Besucher werden erwartet, die sich in etwa 350.000 Bücher ansehen dürfen. In den beiden letzten Jahren litt die Buchmesse unter rückläufigen Ausstellerzahlen, dieses Mal sind es wieder mehr geworden, was die Veranstalter als das Ende eines gefährlichen Abwärtstrends bewerten. Wie geht es der Branche? - diese Frage richten wir an Dieter Schormann, er ist Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Herr Schormann, zwei Jahr haben die Verlage unter einer schlechten Ertragslage zu knapsen gehabt, kommt mit dieser Buchmesse die Wende zum Besseren?

07.10.2003
    Schormann: Das ist erstmal eine große Hoffnung, die wir mit dieser Buchmesse verbinden dürfen. Wir haben bisher in diesem Jahr ein aufgelaufenes Minus von 4,9 Prozent bis zum August auf ein schlechtes Ergebnis vom vergangenen Jahr. Also große Hoffnung mit der Frankfurter Buchmesse, aber auch große Überzeugung, Sie haben ja gerade schon ein paar stolze Zahlen genannt. Wir sind eine der wenigen Messen in der Welt, in der keine Rückläufigkeit in diesem Jahr in der Ausstellerfläche zu sehen ist und wir haben ein hervorragendes literarisches und Ratgeberprogramm und wunderbare Gäste, nämlich das Themenland Russland.

    Lange: Was an der Entwicklung der letzten beiden Jahre ist als übliche konjunkturelle Schwankung zu betrachten und was sehen Sie als längerfristigere und tiefere Tendenzen?

    Schormann: Wir sind leider eingebunden in die gesamtwirtschaftliche Lage, aber ich denke, wir haben große Chancen, in diesem Herbst und auch noch mit dem Höhepunkt am 8. November - Harry Potter erscheint in Band Fünf auf deutsch - das wird sicherlich nochmal ein großes Signal sein, dass wir mit diesem Weihnachtsgeschäft etwa bei einem Minus von zwei Prozent landen. Das wäre etwa das gleiche Ergebnis wie im vergangenen Jahr. Wenn wir den konjunkturellen Daten für das nächste Jahr trauen dürfen, gehe ich davon aus, dass wir dann ein leichtes Wachstum von ein bis zwei Prozent haben werden.

    Lange: Auffällig ist ja, dass sich viele ausländische Verlage in letzter Zeit in Deutschland eingekauft haben. Was sagt das über die Branche aus? Dass von außen hier viel mehr Chancen wahrgenommen werden, als die Verlage hier selbst sehen?

    Schormann: Das ist ein Konzentrationsprozess, der ist nicht aufzuhalten. Sie spreche wahrscheinlich die Bonnier-Gruppe an, die im Moment Ullstein und Liste erwerben wird und denen noch eine Reihe anderer Verlage gehören. Das zeigt aber auch die Globalisierung auch in der Medienlandschaft, dass das eben nicht auf ein Land beschränkt ist. Nehmen Sie umgekehrt wieder Random House, Bertelsmann, die sich sehr stark in Amerika eingekauft haben. Das ist in einer medialisierten und globalisierten Welt einfach nicht anders zu erwarten.

    Lange: Es hat in diesem Jahr eine Vielzahl von kommerziell sehr erfolgreichen Publikationen gegeben, bei denen einem manchmal nicht viel mehr einfällt, als der berühmte Satz von Max Liebermann. Wie sehen Sie denn diesen Trend, ist für Sie Buch immer gleich Buch?

    Schormann: Nein. Sie sprechen natürlich in diesem Fall die Promibücher an und alles, was da an Lendengeschichten und sonstwo unterwegs ist. Es scheint dafür ein Publikum zu geben und die Bücher sind deshalb erfolgreich, weil diese Lichtgestalten in den Medien ständig herumgereicht werden und sie die Chance haben, über ihre Bücher zu sprechen. Durch ständige Präsenz in den Medien haben sie eben auch eine entsprechende Aufmerksamkeit in der Bevölkerung gefunden. Das könnten Sie mit einem reinen Verlags- oder Buchhandelsmarketing gar nicht erreichen.

    Lange: Früher haben ja die Verleger den Profit dieses Trivialen zur Quersubventionierung der "guten Literatur" eingesetzt, die aber nicht so gut geht. Leistet man sich das heute auch noch?

    Schormann: Ja. Ein gutes Beispiel ist das Effenberg-Buch, im Verlag Rütten & Loening erschienen. Dieser Verlag zur Aufbaugruppe und der Verleger Lunkewitz wird das dann sicherlich nutzen, um seine große Erzählreihe weiterhin voranzubringen. Das gilt aber auch für große Häuser wie Random House oder für den Carlsen-Verlag, in dem Harry Potter erscheint. Da ist jetzt eine Reihe von anderen Titeln erschienen, die möglicherweise ohne diesen Ertrag der sehr erfolgreichen Bücher gar nicht denkbar wäre.

    Lange: Es ist nun wieder das Übliche zu hören, gerade dieser Tage, die jungen Leute lesen immer weniger. Ist das der übliche Kulturpessimismus oder ist es mehr?

    Schormann: Nein. Erstmal stimmt es so auch gar nicht. Wir können im Gegenteil feststellen, das haben wir auch durch Untersuchungen erarbeitet, dass der 15- bis 29-Jährige zwar ein sehr starker User im Bereich vom Computern und neuen Medien ist, aber im gleichen Maße eben ein informationsbedürftiger Mensch ist, das heißt, er liest. Was wir immer wieder zu beklagen haben - und das ist richtig - dass die Leseförderung noch viel stärker in der Bevölkerung und das Bewusstsein positioniert werden muss, dass Lesetechniken eine wesentliche Lebenstechnik darstellen. Aber wir können hier nicht nach Pisa nun einfach mal sagen, die deutsche Jugend, der Heranwachsende liest nicht oder weniger als vergangene Generationen. Das Verhältnis zum Buch hat sich ein wenig verändert, das Buch steht in einer Freizeitgesellschaft und diese hat viele Ablenkungsmöglichkeiten.

    Lange: Wenn Sie jetzt ad hoc einen Buchtip loswerden wollten, was ist zurzeit Ihr Lieblingsbuch?

    Schormann: Ich habe gerade heute Nacht angefangen, von Imre Kertész, dem letztjährigen Nobelpreispreisträger für Literatur, "Liquidation" zu lesen, ein wunderbarer kleiner Erzählband oder kleiner Roman. Dann kann ich natürlich nur den Nobelpreisträger diesen Jahres, den Südafrikaner Jean Marie Coetzee, empfehlen, da habe ich auch gestern Abend angefangen, "Die Schande" zu lesen. Sie sehen also, es gibt auf hoher Literatur eben auch hervorragende Ausprägungen.

    Lange: Das war das Dieter Schormann, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, vielen Dank für das Gespräch.