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Buchmarkt in Corona-Zeiten
"Eine Zeit von Licht und Schatten"

Die Buchhandlungen waren lange geschlossen, gleichzeitig haben vor allem junge Leserinnen und Leser Bücher stark nachgefragt, sagte Alexander Skipis vom Börsenverband des Deutschen Buchhandels im Dlf. Trotz der angespannten Lage sieht er viele Chancen für die Branche, zum Beispiel im Online-Handel.

Alexander Skipis im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, lächelt in Richtung des Betrachters.
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels: "Das ist jetzt die Aufgabe, die Kombination aus physischem Verkauf und Online-Verkauf mehr miteinander zu verbinden" (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt )
Am 11. März 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch des Coronavirus offiziell zu einer Pandemie erklärt. Der Börsenverein des Buchhandels – der Dachverband von Buchhandlungen, Verlagen, der ganzen Branche – hat nun eine vorsichtige Zwischenbilanz gezogen: Wie geht es der Branche nach Schließungen und Öffnungen? Was wurde veröffentlicht, was verschoben, was ganz gelassen? Ist das Buch eher ein Gewinner der Krise oder ein Verlierer? Einerseits kann die Isolation ein guter Grund sein, mehr zu lesen. Andererseits waren die Buchhandlungen aber lange geschlossen.
So einfach sei die Sache auch nicht, hat Alexander Skipis, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, heute bei einer Pressekonferenz in Frankfurt gesagt. Es gebe Licht und Schatten, so Skipis.

Stefan Koldehoff: Was meinen Sie genau damit?
Alexander Skipis: Die Zeit war in der Tat eine Zeit von Licht und Schatten insofern, als wir auf der Lichtseite gesehen haben, dass wir vom Umsatz her immerhin 0,1 Prozent im letzten Jahr Plus gemacht haben, dass wir eine hohe Anerkennung in der Politik erreicht haben, weil wir als eine Branche eingestuft worden sind, die Dinge für den täglichen Bedarf macht. Das hat uns sehr, sehr gefreut. Aber vor allen Dingen war natürlich das Erlebnis, in dieser Pandemie-Zeit zu sehen, wie stark die Menschen nach dem Buch nachfragen, wie tief das Buch in der Gesellschaft verankert ist. Und das drückt sich beispielsweise darin aus, dass von den Leserinnen und Lesern 25 Prozent angegeben haben, dass sie mehr oder vielmehr in dieser Zeit gelesen haben. Und wenn man da ein bisschen genauer hinschaut, sieht man, dass das vor allen Dingen bei den jungen Lesern der Fall war, also von den 10- bis 29-Jährigen. Da haben wir über 30 Prozent Zuspruch. Das zeigt uns, dass wir mit dem, was wir machen, dieses Kulturgut Buch zu den Menschen zu bringen, vieles richtig machen.

Buchhandlungen investierten in neue Verbreitungswege

Stefan Koldehoff: Nun haben sie gerade von Umsatz gesprochen, Herr Skipis. Das ist noch nicht der Gewinn. Wie geht es den Buchhandlungen in Deutschland nach fast anderthalb Jahren Auf und Ab, Schließung, Öffnung...?
Alexander Skipis: Ja, das ist der Teil der Schattenseiten. Aber diese Schattenseiten sind alle unserer Meinung nach einfach situationsbedingt mit der Pandemie. Und das bedeutet, dass wir, wenn die Pandemie überstanden ist, darunter nicht mehr leiden, sondern im Gegenteil, sehr viele positive Dinge ziehen werden. In der Tat ist der Umsatz kein Ergebnis und dieser Umsatz ist zum Teil sehr, sehr mühsam und teuer erworben worden. Das heißt also, die Buchhändlerinnen und Buchhändler haben viele zusätzliche Investitionen machen müssen, um das Buch zu den Menschen zu bringen. Wir haben Boten beauftragt, Fahrradkurieren haben Lastenräder gekauft, haben ihre Buchhandlung für das Click & Collect vorbereitet, das heißt auch baulich vorbereitet, mussten Tische angeschafft werden et cetera. Und dazu kommt, dass der Online-Handel, der in der Tat stark in die Höhe gegangen ist, über 27 Prozent, viel weniger Marge hat als der Handel mit dem physischen Buch. Und das bedeutet für die Buchhändler, sie haben zwar den Umsatz einigermaßen gehalten - also minus neun Prozent, um genau zu sein-, aber das Ergebnis ist halt geringer.

"Intensive Kundenbindung entstanden"

Stefan Koldehoff: "Support your local book dealer" - "Unterstütz deinen örtlichen Buchhändler", hieß die Forderungen als geschlossen war, als man eben nur Click & Collect machen konnte. Das scheint aber demnach schon gewirkt zu haben? Es scheint funktioniert zu haben, die Leute sind weiterhin wenigstens zu den Buchhandlungen gegangen, wenn sie schon nicht in die Buchhandlungen gehen konnten?
Alexander Skipis: Ja, das hat sehr, sehr stark gewirkt. Und daraus ist auch eine sehr intensive Kundenbindung entstanden, zum Teil von Menschen, die erstmals zu der Buchhandlung gekommen sind und gesagt haben, ach, ihr seid ja da! Und genau das ist meiner Meinung nach auch der Aspekt der Chance, der in dieser ganzen Situation steckt, weil wir gemerkt haben, dass dieses Persönliche, dieses Beratende, diese Nähe, dieser Austausch in Kombination mit dem Online-Handel sehr, sehr gut funktioniert. Und ich glaube, da werden wir intensiv daran arbeiten und das hat Zukunft.

Branche profitierte stark vom Online-Handel

Stefan Koldehoff: Da sprechen wir gleich noch drüber. Ich möchte zunächst noch einmal darauf eingehen, Sie haben vom Online-Buchhandel auch gesprochen, dass der groß zugelegt habe. Das ist nicht nur der eine große Anbieter, an den wir dann wahrscheinlich alle sofort denken, oder?
Alexander Skipis: Ja, genau. Und zwar kann man das sehr differenziert betrachten, also der Online-Handel des Buchhandels vor Ort ist um 27,2 Prozent gestiegen. Der von diesem großen Händler, der ungefähr 50 Prozent des Online-Handels mit Büchern ausmacht, nur um 7,2 Prozent. Und ich kann mir das jetzt auch nicht verkneifen zu sagen, das ist auch kein Wunder, denn Amazon hat halt gezeigt, was für ihn ganz besonders wichtig ist, nämlich nachdem die Pandemie begonnen hat, wurde die Priorität für das Ausliefern von Büchern auf Stufe drei zurückgesetzt, weil man einfach mehr Klopapier verkaufen wollte. Und das ist nicht unsere Vorstellung eines Buchhändlers. Und das haben die Menschen, glaube ich, sehr, sehr stark gewürdigt.

"Die Menschen haben die Buchhandlung quasi gestürmt"

Stefan Koldehoff: Im ersten Halbjahr 2021, Herr Skipis, waren die Buchhandlungen doppelt so lange geschlossen wie im gesamten Jahr 2020. Was für Erfahrungen gab es denn, als sie dann endlich wieder öffnen durften?
Alexander Skipis: Das war so wie im letzten Jahr auch, erstaunlich: Die Menschen haben die Buchhandlung quasi gestürmt. Und das ist auch ein Zeichen dafür, dass sie, obwohl sie online bestellen konnten, aber diese Nähe gesucht haben. Und das ist eben der Aspekt, der für uns bedeutet: Zuversicht und Optimismus für die Zukunft.
Stefan Koldehoff: Lassen Sie uns auch noch über Verlage sprechen. Der Buchhandel ist ja im Grunde genommen - in Anführungsstrichen - nur die Institution, die in Aktion tritt, wenn das Buch schon entstanden ist, die Entscheidung dafür gefallen ist, der Autor honoriert ist, das Buch gedruckt und ausgeliefert wurde. Wie ist es den Verlagen gegangen? Es sind ja wesentliche Aspekte auch da weggebrochen: Leseförderung konnte nur noch sehr begrenzt statt finden. Die großen Buchmessen haben nicht stattgefunden. Hat das Auswirkungen gehabt?
Alexander Skipis: Ja, das hat Auswirkungen gehabt, das hat die Verlage sehr unterschiedlich betroffen. Deswegen ist die Situation bei denen sehr durchwachsen. Wir haben auf der einen Seite keine Buchmessen, keine Lesungen, wie Sie sagten, das ist schon ein erheblicher Einbruch. Und dann gab es natürlich Rückgänge bei den jeweiligen Verkäufen von Büchern. Und Verlage haben dann natürlich auch die Entscheidung getroffen, bestimmte Erscheinungen, also Neuerscheinungen zu schieben oder gar darauf zu verzichten, weil die Zukunft und die Situation sehr ungewiss war. Und das hat halt dieses ganze Verlagsgeschehen sehr unterschiedlich getroffen. Auf der einen Seite hat das Kinder- und Jugendbuch erheblich zugelegt - und das legt es auch noch in diesem Halbjahr zu. Das heißt, auf dieser Seite ist es sehr, sehr gut gelaufen. Auf der anderen Seite haben wir beispielsweise den Reisebuchmarkt, der extreme Verluste hinnehmen musste, weil, wenn man nicht reisen kann, dann braucht man auch keine Reiseführer et cetera.
Die Illustration zeigt einen Mann im schwarzen Anzug, der die Hände auf dem Rücken  hat, darin ein gelbes Eurozeichen trägt und über ein aufgeschlagenes Buch springt. 
Vielfalt auf dem Büchermarkt gefährdet So heißt es in einer neuen Studie. Eine Staatsförderung für kleine und mittlere Verlage soll helfen. Der Literaturkritiker Jörg Plath findet das sinnvoll, auch wenn die Summen wohl nicht üppig sein werden.
Stefan Koldehoff: Was folgert denn jetzt der Buchhandel aus alldem, Herr Skipis? Bekommen Sie da schon Rückmeldungen, die ja lauten könnten, prima, dass die Leute auch online so viel bei uns bestellen, das behalten wir mal bei in Zukunft?
Alexander Skipis: Genau, das ist jetzt die Aufgabe, die Kombination aus physischem Verkauf und Online-Verkauf mehr miteinander zu verbinden, die Kundenbeziehungen zu intensivieren und genau diese Strategie weiterzuverfolgen. Denn das ist ein Unique Selling Point für die Buchhandlungen, dass sie eben beides können, online und physisch. Das schätzen die Menschen sehr.
Stefan Koldehoff: Gibt es da eigentlich so etwas wie eine zentrale Plattform? Oder bestelle ich tatsächlich direkt bei meinem Buchhändler um die Ecke? Der gibt es dann an den Grossisten weiter, bekommt das Buch, verkauft es an mich? Oder ist das Ganze auch zentralisiert?
Alexander Skipis: Nein, das ist tatsächlich sehr individuell, wenngleich es White-Label-Shops gibt von großen Zwischenbuchhändlern, die Buchhandlungen nutzen können. Aber im Grunde genommen ist das der Online-Shop der jeweiligen Buchhandlung. Und jeder, der dort eine Bestellung aufgibt, lässt sozusagen das Geschäft direkt bei diesem örtlichen Buchhändler.

Große Nachfrage bei jungen Lesern stimmt optimistisch

Stefan Koldehoff: Sie gehen, Herr Skipis, demnächst in den wohlverdienten Ruhestand. Ich traue mich jetzt nicht nach einer Bilanz zu fragen, ich frage ein bisschen andersrum: 25 Prozent der Leser*innen, haben Sie gesagt, haben gesagt, wir haben mehr gelesen als früher. Sie sagen, im Bereich der eher jungen Leserinnen und Leser gibt es erstaunliche Zuwächse. Das sind ja eigentlich Entwicklungen, die Sie ganz glücklich machen müssten zum Ende ihrer Amtszeit?
Alexander Skipis: Ja, das stimmt. Im Übrigen gehe ich niemals in Ruhestand, sondern werde nur meine Tätigkeit hier beenden. Aber in der Tat, das stimmt mich sehr froh und zwar auch die ganze Branche, denn wir sind ja alle motiviert, einen wesentlichen Beitrag in dieser Gesellschaft für Freiheit, für Vielfalt und Demokratie zu leisten. Das ist unser Ansinnen. Und deshalb freut uns das besonders, dass das Buch mit dem, was es den Menschen bietet, nach wie vor enorm tief in der Gesellschaft verankert wird. Und gerade, wie gesagt, bei den Jungen, sodass man sich darüber dann in Zukunft überhaupt keine Gedanken machen muss.
Stefan Koldehoff: Also, trotz aller Unkenrufe, die es in den vergangenen Jahren ja auch gegeben hat, das Buch ist nicht tot?
Alexander Skipis: Nein, auf keinen Fall. Das Buch ist übrigens schon seit dem Ende des vorvorigen Jahrhundert totgesagt worden. Spätestens als der Tonfilm eingeführt worden ist, gab es, wenn man da mal die ganze Literatur nachliest, praktisch unisono die Befürchtung oder die Prognose, dass das Buch verschwinden wird, weil ja jetzt mit dem Tonfilm sozusagen alles getan ist. Und das ist eben mitnichten so. Das Buch ist ein Kulturprodukt, das in einer großen Intimität mit dem Leser verschmilzt, in das man sich versenken kann, seinen Rhythmus selbst bestimmen kann, wie man liest. Das sind eigentlich alles Vorzüge, die eigentlich kein anderes Medium bieten kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.