Bei einem Rundgang durch die Hallen der Feria del Libro fällt es gleich auf: Viele Verlagsstände haben mindestens einen Tisch mit Büchern zu Feminismus- und Gender-Themen, nicht versteckt in einer Nische, sondern gut sichtbar. Werke von Judith Butler oder Virginie Despentes, und eine Vielzahl feministischer Essays, Prosa und Gesellschaftsanalysen aus Argentinien. Der Boom hat mit zwei gesellschaftlichen Phänomen der letzten Jahre zu tun: Dem Kampf für ein Abtreibungsgesetz und der "Ni una Menos"-Bewegung.
Dem Schmerz eine Stimme verleihen
"Ni una menos", "Nicht eine weniger" - unter diesem Motto begannen 2015 Demonstrationen gegen die häufigen Morde an Frauen. Im Durchschnitt wird in Argentinien alle 32 Stunden ein Femizid begangen. Durch die riesige Protestwelle, aber auch durch #MeToo, fühlen sich heute immer mehr Argentinierinnen ermutigt, über erlittene Gewalt, auch sexuelle Gewalt, zu sprechen oder zu schreiben. Die Autorin Belén López Peiró sagt:
"Mein Gefühl ist, dass wir unserem Schmerz nun eine Stimme verleihen können. Und dass unsere Geschichten gehört werden, was vorher nicht der Fall war."
Als Mädchen wurde Belén López Peiró von ihrem Onkel sexuell missbraucht. Mit Mitte zwanzig veröffentlichte sie einen Roman, in dem sie ihre traumatische Erfahrung verarbeitete. López Peiró nennt ihr Buch einen Akt der Selbstjustiz. Ihr Onkel, den sie vor Jahren anzeigte, ist nach wie vor auf freiem Fuß. Nicht nur zwischen Buchdeckeln verschaffen sich Frauen in Argentinien Gehör. Die Feria del Libro ist eine literarische Messe, aber auch ein Forum für politische Diskurse. Und sowohl in diesem als auch im letzten Jahr artikulierten die von der Messe eingeladenen Eröffnungsrednerinnen Forderungen der Frauenbewegung. Die feministische Anthropologin Rita Segato beschloss kämpferisch ihren Vortrag am vergangenen Donnerstag:
"Nieder mit dem Mandat der Männlichkeit! Ja zu einer legalen, sicheren und kostenlosen Abtreibung! Nicht eine Frau weniger!"
Grün als Farbe der Hoffnung
Ums Handgelenk gewickelt hatte Segado das grüne Tuch, das in Argentinien 2018, als das Parlament über ein Abtreibungsgesetz debattierte, zum Erkennungszeichen der Befürworterinnen wurde.
Während der Buchmessen-Eröffnung demonstrierte eine Frauengruppe im Saal, ebenfalls mit grünen Tüchern. Vor einem Jahr hatte die Schriftstellerin Claudia Piñeiro die Ansprache gehalten und auch sie hielt das grüne Tuch hoch und machte sich für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stark. Nach der Zustimmung des Abgeordnetenhauses und dem Scheitern in der Senatskammer liegt das Gesetz zurzeit auf Eis. Abgetrieben wird in Argentinien heimlich, dabei sterben immer wieder Frauen. Bestseller-Autorin Piñeiro hat das lange tabuisierte Thema in mehreren ihrer Bücher aufgegriffen. Die Schriftstellerin bei der diesjährigen Feria del Libro:
"In diesem Jahr sollte sich unser Parlament wenigstens eine Reform des Strafgesetzbuches vornehmen. Abtreibung ist in Argentinien nach wie vor strafbar. Diesen Artikel sollten die Abgeordneten und Senatoren ändern."
Kein Geld für Bücher
Eine andere Frau, die viel Applaus erhielt, war María Teresa Carbano, Präsidentin der Fundación El Libro. Die Stiftung veranstaltet die Buchmesse von Buenos Aires seit 45 Jahren. Mit Carbano steht erstmals eine Frau an der Spitze, sie hat das Amt in schweren Zeiten übernommen: Ein Drittel ihres Marktes hat Argentiniens Verlagsbranche in den vergangenen Jahren verloren. Carbano fand zum Messe-Auftakt klare Worte:
"Das Dramatische ist, dass dieser Rückgang bislang nicht zu bremsen ist. Unser Problem sind nicht in erster Linie neue Formen des Unterhaltungskonsums. Unser Hauptproblem ist, dass der Konsum in Argentinien generell zurückgeht."
Das sagte die Buchstiftungs-Präsidentin in Anspielung auf die Rezession, in die Argentinien unter Präsident Mauricio Macri gerutscht ist.