Kommentar zur Buchmesse
Deutsche Literatur ist unkritisch und staatsklüngelnd

Italien zeigt, wie Schriftsteller die ausgestreckte Hand der Politik ausschlagen können. Davon sollte der deutsche Kulturbetrieb lernen: Gute Literatur funktioniert nur, wenn sie sich jeglicher Einmischung verweigert.

Von Nils Schniederjann |
Eine große goldene Hand im Pavillon des Gastlandes Italien bei der Frankfurter Buchmesse 2024
Symbolträchtig: Die goldene Hand im offiziellen Italien-Pavillon der Frankfurter Buchmesse 2024. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
Der Platz im Zentrum des italienischen Pavillons auf der Frankfurter Buchmesse ist von Säulen und Arkaden gesäumt. Die italienische Piazza soll Offenheit ausstrahlen, äußerlich zum Diskutieren und zum Streiten einladen. Im Mittelpunkt steht die Skulptur einer goldenen Hand. Ihre Symbolik ist nicht besonders subtil: Gastland Italien reicht der Welt die Hand. Viele italienische Schriftsteller haben der Politik die ausgestreckte Hand ausgeschlagen. Ein Schritt, den man sich auch von deutschen Autoren häufiger wünschen würde.
Das Verhältnis der italienischen Schriftsteller zur Politik ihres Landes ist schon länger angespannt. Unter fadenscheinigen Gründen wurde der Mafia-Experte Roberto Saviano nicht in die italienische Delegation eingeladen. Es hagelte Proteste, eine spätere Einladung lehnte der Autor ab. Zum Glück. Es ist ein gutes Zeichen, dass viele italienische Autorinnen und Autoren nicht so staatsklüngelnd sind wie ihre deutschen Kollegen.
Statt sich von der Politik einlullen zu lassen, pochten die Italiener auf die Autonomie der Literatur - und bieten jetzt auf der Messe ein Alternativprogramm unter dem Titel „Das andere Italien“. Brisante Themen, die das offizielle italienische Programm ausspart, wie die Kriege in der Ukraine und in Gaza, die Gefahr eines neuerlichen Faschismus oder die zunehmende Zensur der öffentlich-rechtlichen Sender in Italien finden so ihren Weg ins Programm der Buchmesse.

Braver Betrieb, kaum Widerspruch

Eine so kritische Literaturszene ist bewundernswert - und weit entfernt vom deutschen Literaturbetrieb. Der gibt sich seit Jahren ausgesprochen brav. Obwohl gerade er der Ort der freien Diskussion sein sollte, klingen Autorenrunden auf Literaturmessen und -festivals oft nicht anders als die abendliche Lanz-Sendung. Immer öfter sind es eher ausländische Autoren oder Zwischenrufe aus dem Publikum, die für Kritik und Widerspruch sorgen.
Bücher, die das gerade herrschende politische Klima grundsätzlich infrage stellen, sind hingegen selten. Entsprechend lassen sich deutsche Autorinnen und Autoren gern einladen, wenn die Politik ruft. Kein Wunder: Gleichzeitig werden die Rufe von Verlegern und Autoren nach höheren staatlichen Subventionen angesichts sinkender Gewinne immer lauter.
Wer auf den Staat als Retter der Literatur hofft, dem sei in diesen Tagen der Buchmesse ein besonderer Blick auf das alternative italienische Programm empfohlen. Abseits der Piazza, wo angeblich frei und offen diskutiert wird, könnte man entdecken, dass gute Literatur nur funktioniert, wenn sie sich jeglichen Einmischungen aus der Politik verweigert. Dann kann sie auch ohne deren Hilfe überleben.