Viele Leute glauben, unsere Vorfahren in der Steinzeit hätten den Wolf einst gezielt domestiziert. Das stimmt aber wohl nicht, schreibt der ehemalige Zoologie-Professor Josef Reichholf in seinem neuesten Buch "Evolution". Stellen wir uns den günstigsten Fall vor: Ein Clan von Frühmenschen kann ein junges Wolfsweibchen an seine Nähe gewöhnen und es bekommt Nachwuchs.
"Geht alles weiterhin gut, hat die Menschengruppe im nächsten Winter gleich ein ganzes Wolfsrudel. Und jede Menge Probleme. Denn was die Wölfin geboren hat, sind Wölfe, keine Hunde."
Sobald sie ausgewachsen sind, suchen sich die jungen Wölfe ein Revier. Und die Menschen stehen ohne Tiere zum Züchten da. Josef Reichholf hält es zudem für ausgeschlossen, dass jemand am Anfang dieses Prozesses geahnt haben könnte, wie nützlich die Nachfahren der Wölfe einmal werden könnten. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich Wolfsrudel den Steinzeitsippen über Jahrtausende immer weiter annäherten und ihre Selbstständigkeit Stück für Stück aufgaben.
Kein Plan der Evolution
Dieses Beispiel zeigt ein wichtiges Prinzip der Evolution: Andauernd verändert sie die Lebewesen, aber ohne dabei einen Plan zu verfolgen "Die Natur hat keine Absichten", schreibt Josef Reichholf.
Er war früher Professor an der TU München und beschreibt sehr gut nachvollziehbar und spannend. Kurz, prägnant und mit anschaulichen Beispielen schreitet er rückwärts die Meilensteine der Evolution ab. Es geht von der Gegenwart bis zur Entstehung des Lebens vor vier Milliarden Jahren. Besonders machen das Buch seine Überlegungen zum Menschen: Unsere Entstehung könnte man glatt für einen Irrweg der Evolution halten.
"An der Natur des Menschen zu verzweifeln, wäre durchaus verständlich bei all dem Töten und Morden von Artgenossen, bei der Unmenschlichkeit, mit der die Menschen einander behandeln."
Das sei in der Natur einmalig, schreibt der Autor, und zieht zur Veranschaulichung erneut den Hund heran:
"Was wir beim Hundespaziergang erleben, sollte uns sehr nachdenklich stimmen. Sie meiden eine andere Rasse nicht, weil diese anders aussieht. In ihren sozialen Verhaltensweisen sind die allermeisten Hunde viel sicherer und zuverlässiger als wir Menschen."
Natürlich verträgt sich nicht jeder Hund mit jedem anderen. Oft sind es aber auch die Herrchen, die ihre Hunde aggressiv machen, weil sie selbst so sind. Solches Verhalten mag den Menschen vor langer Zeit genützt haben, heute schadet es.
"Dass diese destruktiven Eigenheiten auf natürliche Weisen entstanden, besagt überhaupt nicht, dass sie weiter existieren müssen. Besseres kann daraus werden."
Religionen und Ideologien als Hindernisse
Inzwischen seien menschengemachte kulturelle Evolutionen die größten Hindernisse für ein gutes Miteinander, vor allem Religionen und Ideologien. Doch Josef Reichholf hat Hoffnung, dass sich das ändert.
"Das setzt aber voraus, dass alle menschlich miteinander umgehen und dass wir auf die Menschheit ausdehnen, was innerhalb kleiner Gruppen von jeher selbstverständlich war: Kooperation zu aller Vorteil. Die Computer-Generation hat die Mittel dazu."
Zielgruppe:
Menschen, die einen schnellen, aber profunden Einstieg ins Thema Evolution suchen. Ausdrücklich auch junge Leser.
Menschen, die einen schnellen, aber profunden Einstieg ins Thema Evolution suchen. Ausdrücklich auch junge Leser.
Erkenntnisgewinn:
Evolution ist immer und unaufhaltsam. Doch es zählt nicht so sehr, wie wir geworden sind, sondern was wir draus machen.
Evolution ist immer und unaufhaltsam. Doch es zählt nicht so sehr, wie wir geworden sind, sondern was wir draus machen.
Spaßfaktor:
Ausgerechnet ein Buch über die vier Milliarden Jahre alte Geschichte des Lebens macht Hoffnung, drängende Fragen der Gegenwart zu beantworten.
Ausgerechnet ein Buch über die vier Milliarden Jahre alte Geschichte des Lebens macht Hoffnung, drängende Fragen der Gegenwart zu beantworten.
"Evolution – Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur". Von Josef H. Reichholf. Hanser-Verlag. 240 Seiten. 19,90 €.