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Buchrezension "Schlagmann"

"Sind Leistungssportler krank?" Diese Frage stellt sich irgendwann Paco Müller, Sportjournalist, 65-Jähriger Haudegen der Branche, eine der Hauptfiguren im Roman "Schlagmann". Ein Buch, das manchmal richtig weh tut beim Lesen. So intensiv, so dicht, so eindringlich wird hier das trostlose Schicksal des Ruderers Arne Hansen erzählt, Olympiasieger im Deutschland-Achter. Der Schlagmann.

Von Erik Eggers | 07.07.2012
    "Sind Leistungssportler krank?" Um diese Frage dreht sich eigentlich alles in diesem famosen Erstling der Journalistin Evi Simeoni. Um die Frage, ob man als Mensch überhaupt ein solches Leben als Maschine führen kann. Um die Frage, was der Leistungssport mit den Athleten veranstaltet. Um die Unbarmherzigkeit eines Systems, das nur Sieger und keine Verlierer kennt.

    Der Roman erzählt den Aufstieg und Fall des Olympiasiegers aus der Retrospektive. Der Sportjournalist Müller interviewt Hansens Freundin Anja und Wolfgang "Ali" Alt, den Kollege aus dem Olympiasiegerboot, um zu verstehen, warum Hansen sich nach dem Ende seiner Karriere zu Tode hungerte, mit der gleichen maschinenhaften und brutalen Konsequenz, mit der er sich zuvor im Training gegeißelt hatte. Und sie wollen klären, ob sie Hansen hätten helfen können, als er schrittweise aus dem Leben verschwand.

    Hansen, norddeutsch, wortkarg, blond und groß, das Klischee eines Leistungsruderer, war in jungen Jahren nach Dortmund gekommen, zum Ruder-Stützpunkt. "Ich will Olympiasieger werden", hatte er gesagt. Hansen war der Herr des Ergometers, heißt es im Roman, dem "Rudern in seiner reinsten, in seiner schrecklichsten Form". Er leistete so viel Watt wie niemand anders. Aber er redete nie.

    Und er zeigte seine Freude nicht. Nicht einmal nach dem Olympiasieg. Als seine Mannschaftskameraden den Triumph ihres Lebens laut feierten und soffen im olympischen Dorf, stand er irgendwann und rannte mit dem Kopf gegen die Wand. Und noch einmal. Um sich zu spüren.

    Als ihn der Trainer aussortierte, als er ein Rennen gegen Ali vor den nächsten Olympischen Spielen verlor, als er nicht mehr Schlagmann sein durfte, brach eine Welt zusammen für Arne Hansen. Irgendwann fing er an zu rauchen und zu trinken. Er sprach immer noch nicht, sondern saß stumm vor seinem Computer und zählte irgendwann die Kalorien, die er zu sich nahm. Er hatte Körperfett schon als Sportler gehasst. Nun wurde er magersüchtig. Die Freundin und die Ruderer sehen dem Hungern und Sterben Arne Hansen letztlich machtlos zu.

    Simeoni macht kein Geheimnis daraus, dass der Roman durch das Schicksal des Bahne Rabe inspiriert wurde, Schlagmann des Deutschland-Achters von 1988, der sich 2001 zu Tode gehungerte hatte und bis heute die Szene des Leistungsrudern bewegt und beschäftigt. Die Frage nach dem Warum kann auch der Roman nicht beantworten. Aber er ist ein großartiges Stück Sportliteratur.

    Besprochenes Buch:
    Evi Simeoni, Schlagmann. Roman. Frankfurt 2012, Klett-Cotta, 276 Seiten, 19,95 Euro.