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Buchtipp: Adenauers Reise nach Moskau

Vor 50 Jahren in diesen Tagen, zwischen dem 8. und 14. September 1955 kam es in Moskau zu einer denkwürdigen, zu einer historischen Zusammenkunft. Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich Konrad Adenauer entschlossen, die Einladung der Sowjetführung anzunehmen und in die Hauptstadt der UdSSR zu reisen. Der unter großen Zweifeln und auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen gefällte Entschluss, sich mit Nikita Chruschtschow, dem Ersten Parteisekretär der KPdSU, und dem Ministerpräsidenten Nikolaj Bulganin zu treffen, endete für Adenauer mit einer triumphalen Rückkehr, hatte er doch eines der emotional drängendsten Probleme Nachkriegsdeutschlands lösen können, die Kriegsgefangenen-Frage. Auf diese Mitteilung - noch auf dem Köln-Bonner Flughafen - hatten damals tausende Familien gewartet:

Von Robert Baag |
    " Heute möchte ich hier - weil ich weiß, dass viele hier sind, deren Verwandte, deren Väter, deren Gatten, deren Sohn in Russland in Gefangenschaft ist - folgendes sagen: Der sowjetrussische Premierminister hat mir gestern Abend erklärt, ehe ich in Bonn sein werde, werde die Aktion der Rückgabe in Russland schon anlaufen. - ("Bravo"-Rufe) "

    Pünktlich zu diesem "runden Datum" hat jetzt Werner Kilian, Botschafter im Ruhestand, ein spannendes Buch vorgelegt, das sich dieser Wegmarke in der Geschichte der frühen Bundesrepublik widmet: "Adenauers Reise nach Moskau", so der nüchtern gehaltene Titel. Die Arbeit überzeugt durch eine klare, sich an der Chronologie der Ereignisse orientierende Struktur: Vom sowjetischen Einladungsschreiben Anfang Juni 1955, über die Reaktionen bei den Parteien, die permanenten Bedenkenträger-Allüren an der Spitze von Brentanos Auswärtigem Amt, das austarierende Verhalten Adenauers im Vorfeld der Reise...; ein Bundeskanzler, der sich zwar plötzlich unter Zugzwang gesetzt fühlte, sich am Ende aber auch der Einsicht nicht verschloss, nach einem Jahrzehnt feindseliger Distanz zur vierten Siegermacht UdSSR deren jüngste Avancen konstruktiv zu prüfen. Denn mindestens in einer Frage - der Heimkehr der letzten, knapp 10.000 Kriegsgefangenen und der rund 20.000 so genannten Zivil-Internierten - hatte die Sowjetführung ein psychologisch äußerst wirksames Druckmittel in der Hand. Dass Chruschtschow und Bulganin zuvor schon längst beschlossen hatten, mindestens die Kriegsgefangenen - aus ihrer Sicht: Kriegsverbrecher - ohnehin bald zu entlassen, konnte die bundesdeutsche Öffentlichkeit, konnten Adenauer und seine Umgebung damals nicht wissen. Und es schmälert Adenauers Erfolg selbst in der Rückschau auch keineswegs, denn die diplomatische Anerkennung der DDR stand - zu Ostberlins Ärger -in Moskau damals nie zur Debatte. Und mit der Westbindung der Bundesrepublik - einem Kernelement der von Adenauer formulierten Staats-Raison - hatte sich Moskau wohl endgültig abgefunden. Folgen und Auswirkungen der Adenauer’schen Moskau-Reise vom Frühherbst 1955 untersucht das letzte Drittel des Bandes. Die so genannte "Rapallo"- Furcht bei manchen Vertretern der westlichen Verbündeten, also die Angst, die Bundesrepublik und die Sowjetunion könnten auf einmal wieder Sonderbeziehungen eingehen, wie schon einmal nach dem Ersten Weltkrieg, all das ist spannend nachzulesen. Die Reaktionen im In- und Ausland sowie die perspektivische Analyse auf der Basis neuester Akten- und Korrespondenzfunde sind fesselnd und flüssig geschrieben. Eine den Spannungsbogen mühelos haltende politische Reisereportage über jene ereignisreiche knappe Woche von Moskau ist Werner Kilian mit diesem Buch gelungen. Und: Bei aller Sympathie, die er für Adenauer empfindet, bewahrt er ihm gegenüber doch stets die erforderliche kritisch-analytische Distanz:

    " Die Moskaureise war ein Balance-Akt.(...) Adenauer hatte nicht ohne sein Zutun westliche Befürchtungen heraufbeschworen, die er dann in einer Überreaktion zu kompensieren suchte. Das vollständig wiederhergestellte Vertrauen der Westmächte war es ihm wert, alle Vorteile der direkten Beziehungen zu Moskau, die er vorher als wichtig beschrieben hatte, auf dem Altar der westlichen Harmonie zu opfern. "

    Werner Kilian: Adenauers Reise nach Moskau.
    Herder Verlag, Freiburg 2005, 381 S., EUR 15,-