Pünktlich zu diesem "runden Datum" hat jetzt Werner Kilian, Botschafter im Ruhestand, ein spannendes Buch vorgelegt, das sich dieser Wegmarke in der Geschichte der frühen Bundesrepublik widmet: "Adenauers Reise nach Moskau", so der nüchtern gehaltene Titel. Die Arbeit überzeugt durch eine klare, sich an der Chronologie der Ereignisse orientierende Struktur: Vom sowjetischen Einladungsschreiben Anfang Juni 1955, über die Reaktionen bei den Parteien, die permanenten Bedenkenträger-Allüren an der Spitze von Brentanos Auswärtigem Amt, das austarierende Verhalten Adenauers im Vorfeld der Reise...; ein Bundeskanzler, der sich zwar plötzlich unter Zugzwang gesetzt fühlte, sich am Ende aber auch der Einsicht nicht verschloss, nach einem Jahrzehnt feindseliger Distanz zur vierten Siegermacht UdSSR deren jüngste Avancen konstruktiv zu prüfen. Denn mindestens in einer Frage - der Heimkehr der letzten, knapp 10.000 Kriegsgefangenen und der rund 20.000 so genannten Zivil-Internierten - hatte die Sowjetführung ein psychologisch äußerst wirksames Druckmittel in der Hand. Dass Chruschtschow und Bulganin zuvor schon längst beschlossen hatten, mindestens die Kriegsgefangenen - aus ihrer Sicht: Kriegsverbrecher - ohnehin bald zu entlassen, konnte die bundesdeutsche Öffentlichkeit, konnten Adenauer und seine Umgebung damals nicht wissen. Und es schmälert Adenauers Erfolg selbst in der Rückschau auch keineswegs, denn die diplomatische Anerkennung der DDR stand - zu Ostberlins Ärger -in Moskau damals nie zur Debatte. Und mit der Westbindung der Bundesrepublik - einem Kernelement der von Adenauer formulierten Staats-Raison - hatte sich Moskau wohl endgültig abgefunden. Folgen und Auswirkungen der Adenauer’schen Moskau-Reise vom Frühherbst 1955 untersucht das letzte Drittel des Bandes. Die so genannte "Rapallo"- Furcht bei manchen Vertretern der westlichen Verbündeten, also die Angst, die Bundesrepublik und die Sowjetunion könnten auf einmal wieder Sonderbeziehungen eingehen, wie schon einmal nach dem Ersten Weltkrieg, all das ist spannend nachzulesen. Die Reaktionen im In- und Ausland sowie die perspektivische Analyse auf der Basis neuester Akten- und Korrespondenzfunde sind fesselnd und flüssig geschrieben. Eine den Spannungsbogen mühelos haltende politische Reisereportage über jene ereignisreiche knappe Woche von Moskau ist Werner Kilian mit diesem Buch gelungen. Und: Bei aller Sympathie, die er für Adenauer empfindet, bewahrt er ihm gegenüber doch stets die erforderliche kritisch-analytische Distanz:
" Die Moskaureise war ein Balance-Akt.(...) Adenauer hatte nicht ohne sein Zutun westliche Befürchtungen heraufbeschworen, die er dann in einer Überreaktion zu kompensieren suchte. Das vollständig wiederhergestellte Vertrauen der Westmächte war es ihm wert, alle Vorteile der direkten Beziehungen zu Moskau, die er vorher als wichtig beschrieben hatte, auf dem Altar der westlichen Harmonie zu opfern. "
Werner Kilian: Adenauers Reise nach Moskau.
Herder Verlag, Freiburg 2005, 381 S., EUR 15,-