"Wertes Mitglied, wir beehren uns, Sie davon in Kenntnis zu setzen: Der 1. FC Nürnberg streicht die ihm angehörenden jüdischen Mitglieder mit Wirkung vom 1. Mai 1933 aus seiner Mitgliederliste."
Im Frühjahr 1933 erhielten fast alle der schätzungsweise 20.000 jüdischen Fußballer, die bis dahin in deutschen Klubs aktiv waren, einen solchen Brief. Kaum hatte Hitler in Berlin die Macht erobert, wurden die jüdischen Kicker von ihren bisherigen Vereinskameraden fallengelassen, berichtet der Hannoveraner Sporthistoriker Lorenz Peiffer.
"Es gibt eine Entschließung, die sogenannte Stuttgarter Entschließung von 14 Fußballvereinen aus dem Süden und Südwesten Deutschlands, die die neue nationale Erhebung, so nannte man es ja damals, begrüßen und sich insbesondere dazu bereithalten und dazu aufrufen, die jüdischen Mitglieder aus ihren Vereinen auszuschließen."
Der jüdische Nationalspieler Julius Hirsch las im April 1933 in der Zeitung, dass sich dieser Stuttgarter Entschließung auch sein Karlsruher Fußball Verein KFV angeschlossen hatte, den er mit seinen vielen Toren 1910 zur Deutscher Meisterschaft geschossen hatte. Hirsch kam seinem Ausschluss zuvor und verlies empört von sich aus den Verein.
"Es gab vonseiten der nationalsozialistischen Regierung zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Anordnung, noch keinerlei Erlass, der die Vereine oder Verbände verpflichtet hätte, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen, sondern das kam wirklich in Eigeninitiative von ihnen, weil man sich dem neuen Regime schon mal anpassen wollte und zeigen, man steht für sie gesehen auf der richtigen Seite."
200 jüdische Vereine gründeten sich
Damit, ergänzt der Historiker Henry Wahlig vom Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, hatten Juden im Sommer 1933 in Deutschland praktisch keine Chance mehr, Fußball zu spielen. Es sei denn, sie gehörten einem der etwa 40 jüdischen Vereine an, die es damals im gesamten Reich gab. Denen aber fehlten nun Spielfelder, weil nur der Makkabi-Club in Berlin einen eigenen Platz besaß und Juden auf öffentlichen Sportanlagen nicht mehr geduldet wurden. Vor allem aber fehlten ihnen Gegner, weil sie nicht mehr gegen sogenannte Volksdeutsche antreten durften. Aus der Not heraus gründeten sich deshalb 1933 in Deutschland fast 200 neue jüdische Fußballvereine.
Lorenz Peiffer: "Wobei man da ja noch schauen muss, dass es zwei große jüdische Organisationen gegeben hat. Auf der einen Seite den Sportbund Schild, national-deutsch-jüdisch ausgerichtet, und auf der anderen Seite die zionistischen Vereine, die sich dem Makkabi-Bund angeschlossen hatten."
Henry Wahlig: "Es zeigt die wirklich starke Heterogenität, die Zerrissenheit im jüdischen Leben. Und das zeigt, welche Bedeutung der Sport im jüdischen Leben hatte, weil alle jüdischen Funktionäre verstanden hatten, wer die Oberhoheit über den Sport hatte, der hatte die Oberhoheit über die Jugend, über die Zukunft des jüdischen Lebens."
Der Schild- und der Makkabi-Bund ließen deshalb getrennt von einander zwei jüdische deutsche Meisterschaften ausspielen. Beide Verbände erlebten zwischen 1933 und 1936 eine kurze Blüte, weil die Nazis im Vorfeld der Olympischen Spiele taktische Zugeständnisse an die internationale Sportwelt machten. Aus Angst, Berlin könnten die Austragungsrechte entzogen werden, spielten sie der Weltöffentlichkeit vor, es gebe im deutschen Sport keinen Antisemitismus und erlaubten den jüdischen Vereinen, ihre Spiele auf kommunalen Sportplätzen auszutragen. Kaum war die Olympiade vorbei, wurden diese Genehmigungen sukzessive wieder zurückgenommen. Der Fußballbegeisterung der deutschen Juden tat das aber zunächst keinen Abbruch.
"Betrachtet man die Leistungen der Sportgruppen, so kann selbst der Voreingenommene nur die Feststellung treffen, dass das Niveau der Leistungen sich beträchtlich gehoben hat, trotzdem die sportliche Konjunktur sich eigentlich zwangsläufig auf absteigender Linie bewegen müsste."
Geschäftsbericht des Schild-Verbands Oberschlesien vom 7. Juli 1938.
Henry Wahlig: "Es ist aus heutiger Sicht beeindruckend, mit welchem Engagement und mit welchem Herzblut trotz aller Widerstände diese jüdischen Vereine immer noch es weiter schaffen, ihren Sportbetrieb zu organisieren."
Nach dem 9. November 1938 wurden die jüdischen Klubs verboten
Nach den Pogromen vom 9. November 1938 wurde allen jüdischen Fußballklubs ein Betätigungsverbot auferlegt. Das führte dazu, dass sie sich im Laufe der nächsten Monate selbst auflösen mussten. Sie wurden aus den Registern der Amtsgerichte gelöscht und ihre Mitglieder später in Konzentrationslagern ermordet, falls ihnen nicht noch in letzter Minute die Flucht gelang. So erinnerte jahrzehntelang nichts und niemand mehr in Deutschland an die Geschichte der jüdischen Fußballer. Von einer Entschädigung oder Wiedergutmachung war nie die Rede.
Lorenz Peiffer: "Ich kenne bislang eine Entschuldigung seitens des HSV, des Hamburger Sportvereins, der sich bei seinen jüdischen Mitgliedern im Nachhinein entschuldigt hat für den Ausschluss der jüdischen Mitglieder und auch für das Leid, was diesen Mitgliedern dann angetan worden ist."
Lorenz Peiffer und Henry Wahlig nennen ihre Studie eine Spurensuche, weil es kaum Quellen gibt. Die wichtigsten Belege fanden sie in den Archiven der Jüdischen Gemeindeblätter, die damals ausführlich über die Schild- und Makkabi-Meisterschaften berichtet hatten. Hinweise auf Hilfe oder Solidarität seitens der ehemaligen christlichen Mitspieler gab es nur in einigen wenigen Ausnahmefällen.
Henry Wahlig: "Konkret kann man zum Beispiel anführen Eintracht Frankfurt, wo es sichere Belege dafür gibt, dass dort bis ins Jahr 1937 einzelne jüdische Mitglieder gedeckt worden sind. Das heißt, es gab einzelne Vereinsführer, die zumindest für gewisse verdienstvolle Mitglieder gesagt haben, nein, die bleiben bei uns. Und das war möglich, die Vereine wurden dafür nicht sanktioniert."
Henry Wahlig und Lorenz Peiffer haben ihre Studie in dem kleinen Göttinger Sportbuchverlag "Die Werkstatt" veröffentlicht. Sie verstehen sie als Anregung an Fangruppen, vor den eigenen Stadiontoren weiter zu recherchieren. So wie die Münchener Initiative "Schickeria". Ihrer Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass sich der FC Bayern heute wieder an seinen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer erinnert, der den Klub 1932 zu seiner ersten deutschen Meisterschaft geführt hatte. Obwohl die beiden Historiker acht Jahre in ihre Untersuchung investiert haben, sind sie sicher: Es gibt immer noch viele Geschichten jüdischer Vereine und Funktionäre, Spieler und Trainer in Deutschland, die bisher niemand erzählt hat.
Buchinfos:
Lorenz Peiffer, Henry Wahlig: "Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland – Eine Spurensuche", Verlag Die Werkstatt (Göttingen), 576 Seiten, Preis: 44,90 Euro
Lorenz Peiffer, Henry Wahlig: "Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland – Eine Spurensuche", Verlag Die Werkstatt (Göttingen), 576 Seiten, Preis: 44,90 Euro