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Buchvorstellung
Sanierer für "das Haus des Islam" gesucht

Er sei islamkritisch, aber nicht islamfeindlich, sagt der Soziologe Ruud Koopmans. Dass sein neues Buch "Das verfallene Haus des Islam" Widerspruch provoziert, überrascht nicht. Die Buchvorstellung in Berlin geriet kontrovers.

Von Matthias Bertsch | 26.02.2020
Prof. Dr. Ruud Koopmans (Professor für Soziologie und Migrationsforschung) in der ZDF-Talkshow maybrit illner am 16.03.2017
Ruud Koopmans, Professor für Soziologie und Migrationsforschung, analysiert in seinem neuen Buch den Aufstieg und Verbreitung des islamischen Fundamentalismus (imago images / Müller-Stauffenberg)
Der Islam war in seiner Entstehungszeit eine durchaus fortschrittliche Religion, schreibt Ruud Koopmans in seinem neuen Buch, doch in den letzten Jahrzehnten hat sich weltweit eine fundamentalistische Interpretation des Koran durchgesetzt. Ausgangspunkt dafür, so der Soziologe, war der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkrieges:
"Das hat eine Sinnkrise in der islamischen Welt ausgelöst, weil man hat jahrhundertelang gedacht, die islamische Welt sei superieur gegenüber die westliche Kultur. Und da gab es schon damals zwei Antworten, das eine war, den Westen zu imitieren, das war die Antwort von Atatürk z.B., von dem damaligen Schah von Persien, aber auch damals gab es schon eine Bewegung, die dafür plädierte, zurückzugehen zu den Wurzeln des Islam.
Also die Idee war: Früher hatten wir doch so eine blühende Vergangenheit, wenn wir nun mal wieder buchstäblich den Koran interpretieren und genau das Beispiel des Propheten Mohammed nachfolgen, dann wird auch unsere alte Glorie wieder zurückkehren."
1979 und die Folgen
Das zweite wichtige Datum im Aufstieg des Fundamentalismus ist das Jahr 1979. Koopmans erwähnt drei Ereignisse: die islamische Revolution im Iran, den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und schließlich die Besetzung der großen Moschee in Mekka durch islamistische Terroristen. Um sie mit Hilfe westlicher Spezialkräfte zu stürmen, brauchte das saudische Regime die Unterstützung der Schriftgelehrten. Und die wiederum gaben ihre Zustimmung nur unter der Bedingung, dass das Königshaus den saudischen Islam exportieren würde.
"Saudi-Arabien und danach auch andere Golfstaaten wie Katar, Kuwait, haben seit 1979 Dutzende von Milliarden Dollar, die sie natürlich mit den Öleinnahmen verdient haben, benutzt, um Moscheen, um die Sendung von Imamen in andere Ländern zu finanzieren, und sie haben damit die traditionell arabische, wahabitische, salafistische Variante des Islam über die ganze islamische Welt verbreitet, von Westafrika bis Indonesien, und das hat das Gesicht des Islam im negativen Sinne verändert."
Grünen-Politiker zur Imamausbildung in Deutschland
Auch unter Muslimen in Europa ist dieser Islam heute weit verbreitet, wurde bei der Vorstellung des Buches in Berlin deutlich. Und daran sei auch die Politik Schuld, räumte Cem Özdemir ein. Viel zu lange habe man die Finanzierung der hier tätigen Imame Saudi-Arabien oder dem Türkischen Religionsverband DITIB überlassen, so der Grünen-Politiker. Aber dafür zahle man einen Preis.
Özedemir: "Wir bezahlen nämlich damit, dass sie sich damit auch Einfluss kaufen, dass die damit auch das nutzen, um damit eine Ideologie, was uns nicht recht sein kann, zu transportieren."
Umso wichtiger sei die Ausbildung von Religionslehrern und Imamen in Deutschland. Doch bei der Suche nach Kooperationspartnern sei Vorsicht geboten, warnte Koopmans mit Blick auf die Islamverbände:
"Ich nenne jetzt mal den Zentralrat der Muslime in Deutschland. Wenn dieser sich nicht abgrenzt von Mitgliedsorganisationen wie z.B. dem islamischen Verband in Hamburg, der direkt vom iranischen Regime kontrolliert wird, oder von Mitgliedsverbänden türkisch-nationalistischer Natur wie ATIB, so lange ist dieser Zentralrat eigentlich kein glaubwürdiger Gesprächspartner."
Und doch sei es mit der klaren Haltung nicht so einfach, gab Özdemir zu. Die gleichen Islamverbände, die einen fragwürdigen bis fundamentalistischen Islam verträten, nähmen sich der alltäglichen Sorgen vieler Muslime an – auch der säkularen.
Özdemir erzählte: "Als mein Vater gestorben ist, wusste ich, dass er sich sicherlich auch ne Beerdigung gewünscht hat, die ich selbst nicht organisieren kann. Wie denn auch, ich bin nicht praktizierend, also ne religiöse. Also wo hab ich die gemacht? Genau in einer Gemeinde von dem Verband, den ich gerade eben so heftig kritisiert hab. Und ich war sehr dankbar, dass sie es mir abgenommen haben."
Die Rolle des Kolonialismus
Doch wer ist Schuld am Aufstieg des Fundamentalismus? Während viele Muslime, aber auch viele Sozialwissenschaftler im Kolonialismus eine der wesentlichen Ursachen für die Rückständigkeit in der islamischen Welt sehen, erteilt Koopmans dieser Sicht in seinem Buch eine klare Absage. Der Iran, heute einer der fundamentalistischsten Staaten, sei zum Beispiel nie eine Kolonie gewesen. Dem widersprach die Migrationsforscherin Naika Foroutan:
"In Wahrheit war Iran in einem Agreement zwischen Russland und Großbritannien aufgeteilt. Der Norden, den konnte Russland abschöpfen, und den Süden, den konnte England abschöpfen und der erste Versuch einer demokratischen Regierung durch den Sturz des damaligen Vaters des Schahs, wurde ja auch durch einen Putsch der CIA wieder rückgängig gemacht, wo man den ersten demokratischen Ministerpräsidenten wieder beseitigt hat. Das heißt gerade dieses Kolonialismus-Kapitel, das muss ich sagen, das ist mir schwer gefallen, das zu lesen."
Wer saniert das "verfallene Haus"?
Ruud Koopmans belegt in seinem Buch mit vielen Statistiken, dass islamische Gesellschaften heute fast immer schlechter abschneiden als nicht-islamische - egal ob es um wirtschaftliche Entwicklung, Demokratie, Toleranz oder die Emanzipation von Frauen geht. Um das zu ändern, sieht er nur eine Chance: der fundamentalistische Islam müsse überwunden werden – durch eine innerislamische Reformbewegung, die sich den religionskritischen Fragen der Aufklärung nicht verschließt. Doch woher diese kommen soll, blieb bei der Buchvorstellung offen. Darauf verwies auch der Soziologe Wolfgang Lauterbach. Er erinnerte an frühere empirische Untersuchungen Koopmans, die zeigten, dass in muslimisch geprägten Gesellschaften die Religion eine größere Deutungshoheit habe als das rationale Argument:
"Den rationalen Diskurs, den wir in der Wissenschaft haben, den nehmen wir als Grundlage, den nehmen wir heute Abend auch als Grundlage, um ein gesellschaftliches Phänomen zu erkunden. Das passiert dort weniger in diesen Bevölkerungsgruppen, und das muss ja einen Grund haben, warum der Glaube an das Rationale, das Argument basiert auf unseren Daten, warum dieser Diskurs nicht stattgefunden hat."
Diese Frage ließ auch so manchen Besucher der Buchvorstellung unbefriedigt zurück.
"Was ja unklar blieb, war, wo denn die Linie zwischen gemäßigtem und radikalem Islam verläuft und wieweit die Toleranzfeindlichkeit bis in das Innere der islamischen Gemeinden geht. Und da hätte man vielleicht noch mal nachfragen können, ob das wirklich nur eine von außen gesteuerte Randgruppe ist oder wie weit der Islam aus sich selber heraus liberale Positionen entwickeln kann."
So scheint die Diagnose, dass das verfallene Haus des Islam einer Renovierung bedarf, deutlich leichter zu sein, als eine Antwort auf die Frage zu geben, wer das Haus denn sanieren soll. Und offen blieb auch, wie sich angesichts der Tatsache, dass Muslime von Rechtsextremen zu Feinden erklärt werden, Islamkritiker von Islamfeinden abgrenzen.
Ruud Koopmans: "Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt"
C.H. Beck, 2020, 288 Seiten, 22 Euro.