",Niemand darf die Kabine betreten!'
Sharif presst sich mit dem Rücken gegen die Tür. Er reißt die Augen auf. Eines ist braun.
,Was ist denn da drin?', fragt Kevin.
Kevin ist der Neue. Anfang des Schuljahrs ist er mit seiner Mama in die Stadt gekommen. Einen Papa gibt’s nicht. Dennoch hat Kevin immer gute Laune. Er ist aber auch ein bisschen naiv. Man kann ihm viel erzählen. Besonders, wenn man darin so gut ist wie Sharif.
,Da drin ist eine exotische Spinne', keucht Sharif. ,Soooo groß!'"
Sharif presst sich mit dem Rücken gegen die Tür. Er reißt die Augen auf. Eines ist braun.
,Was ist denn da drin?', fragt Kevin.
Kevin ist der Neue. Anfang des Schuljahrs ist er mit seiner Mama in die Stadt gekommen. Einen Papa gibt’s nicht. Dennoch hat Kevin immer gute Laune. Er ist aber auch ein bisschen naiv. Man kann ihm viel erzählen. Besonders, wenn man darin so gut ist wie Sharif.
,Da drin ist eine exotische Spinne', keucht Sharif. ,Soooo groß!'"
"Super Lesbar"
Ein Ausschnitt aus dem Roman "Meer geht nicht". Darin machen sich vier Freunde gemeinsam auf den Weg, damit einer von ihnen endlich zum ersten Mal das Meer sehen kann. Oliver Uschmann und Sylvia Witt haben diesen Roman geschrieben. Die Verlagsangabe lautet: "ab 11 Jahre" und: "Leseniveau 9 Jahre". Also eine Geschichte, die Elfjährige packt, die aber auch mit der Lesekompetenz eines Viertklässlers zu bewältigen ist. Elisabeth Gayer, Lektorin im Gulliver Verlag und zuständig für die Reihe "Super Lesbar":
"Die Vorgabe war, dass die Geschichte die Kinder in ihrer Lebenswelt abholen soll und Spaß machen soll. Und darüber hinaus haben wir aber noch sogenannte Leitplanken im Lektorat erarbeitet, die den Autorinnen und Autoren als Orientierung dienen sollen. Zum Beispiel, dass ein Satz in der Regel nicht mehr als maximal 15 Wörter und ein Komma enthalten sollte. Wichtig ist uns aber dabei, dass diese Leitplanken nicht als starre Regeln verstanden werden und dann die Autoren zum Beispiel anfangen, beim Schreiben jedes Wort in jedem Satz zu zählen, sondern dass die Leitplanken eher als handwerkliche Herausforderung gesehen werden. Und die Geschichte hat Vorrang, in die die Kinder eintauchen können sollen."
Das Autorenduo, so erzählt Oliver Uschmann, nahm diese Herausforderung gern an:
"Dass man einen Sound findet, der absolut griffig ist und niederschwellig, und gleichzeitig in dem Sound aber eine Geschichte erzählt, die jeder würdevoll lesen kann und sich nicht unterfordert fühlt inhaltlich. Da hat sie, glaube ich, genau die richtigen Autoren angerufen. Eine gewisse reduzierte, entschlackte und lakonische Sprache war immer schon unser Ding. Unsere bekannteste Reihe, die Hartmut-und-ich-Serie, die ist eigentlich in ihren Ursprüngen beeinflusst von dem sogenannten Hamburger Dogma - das war ein Manifest einfacherer Sprache für Erwachsene Ende der Neunzigerjahre von einigen ganz spannenden Autoren und Autorinnen in Hamburg."
Der Zielgruppe gerecht
Tatsächlich gelingt es dem Kinderroman "Meer geht nicht", trotz der formalen Einschränkungen Spannung und Witz aufzubauen und damit der Zielgruppe gerecht zu werden.
"Wir laufen los. Am Horizont stehen Lenkdrachen in der Luft. Da muss der Strand sein. Wir erreichen Kevin. Starr steht er auf der Böschung. Klar, er ist sicher gerührt. Das erste Mal am Meer.
Wir stellen uns neben ihn. Es dauert eine Weile, bis wir begreifen.
Kevin fragt: ,Ist das normal, dass man das andere Ufer sehen kann?'
Die Männer erreichen uns. Sie pfeifen fröhlich, als wenn nichts wäre. ,Was ist?' fragt Poki
Ich zeige aufs Wasser: ,Ihr habt uns gesagt, ihr würdet ans Meer surfen fahren!' – ,Ja sicher, ans Zwischenahner Meer, wo ist das Problem? Niemand hat davon gesprochen, dass es ein Meer-Meer sein muss.'
Ich flippe aus: ,Es gibt kein Meer-Meer! Es gibt nur ein Meer!'"
Wir stellen uns neben ihn. Es dauert eine Weile, bis wir begreifen.
Kevin fragt: ,Ist das normal, dass man das andere Ufer sehen kann?'
Die Männer erreichen uns. Sie pfeifen fröhlich, als wenn nichts wäre. ,Was ist?' fragt Poki
Ich zeige aufs Wasser: ,Ihr habt uns gesagt, ihr würdet ans Meer surfen fahren!' – ,Ja sicher, ans Zwischenahner Meer, wo ist das Problem? Niemand hat davon gesprochen, dass es ein Meer-Meer sein muss.'
Ich flippe aus: ,Es gibt kein Meer-Meer! Es gibt nur ein Meer!'"
Das Freundesquartett stolpert in einige Fallen, wird mehrfach übers Ohr gehauen, diskutiert jede Etappe seines Trips lebhaft und wortreich. Die reduzierte Sprache in den Super Lesbar-Büchern führt also nicht zwangsläufig zu Wort-Armut oder allzu simpler Erzählweise. Elisabeth Gayer:
"Die Kunst ist quasi, die Texte zu verdichten und auf die Zielgruppe zuzuschneiden, ohne dass es platt wird."
Die Kunst des lakonischen Schreibens
Das Verdienst der Super Lesbar-Reihe ist, dass sie ihrer Zielgruppe das Lesen zwar leichter macht, das aber auf eine Weise tut, die gar nicht besonders auffällt. Zwar sind die Bücher weniger umfangreich, die größere Schrift und das übersichtliche Layout erleichtern das Lesen. Das Papier ist matt und blickdicht, so dass Bilder oder Text auf der Rückseite nicht durchschimmern. Aber all diese Hilfsmittel geraten in Vergessenheit, sobald die Geschichte losgeht. Zum Beispiel "Das Schoko-Geheimnis" von Anna van Lanen. Auch sie beherrscht die Kunst des lakonischen Schreibens.
"Theodora Augusta Maria Baum hatte einen langen Namen. Aber sie war kurz. Kurz und dünn. Deshalb nannte sie jeder Theo. Sie war zwar klein, konnte dafür aber zeichnen wie ein Weltmeister. Niemand hätte geglaubt, dass ihre Zeichnungen von einem 10 Jahre alten Mädchen stammten.
Mo war auch 10 Jahre alt. Aber weil Mo eine Katze war, waren das 10 Katzenjahre. Und 10 Katzenjahre zählen mehr als 10 Menschenjahre."
Mo war auch 10 Jahre alt. Aber weil Mo eine Katze war, waren das 10 Katzenjahre. Und 10 Katzenjahre zählen mehr als 10 Menschenjahre."
Acht Bücher der Reihe sind in diesem Jahr herausgekommen, darunter auch Übersetzungen. Der Aufkleber mit dem Schriftzug "Super lesbar" kann vom Buch abgelöst werden, so dass Kinder nicht als leseschwach stigmatisiert werden.
"Einfache Sprache"
Neben den Super Lesbar-Büchern bietet der Gulliver Verlag eine Reihe mit dem Lable "Einfache Sprache". Hier werden Romane, die in Schulen bereits als Lektüre erfolgreich sind, gekürzt, sprachlich vereinfacht und mit einem Glossar versehen. Elisabeth Gayer:
"Die Iglu Studie von 2016 hat zum Beispiel ergeben, dass fast jeder fünfte Zehnjährige in Deutschland nicht sinnentnehmend lesen kann beim Verlassen der Grundschule. Wir haben uns die Frage gestellt, welche Bücher diese Kinder brauchen, damit sie gar nicht erst verloren gehen in Anführungsstrichen, sondern mitgenommen werden können und die Freude am Lesen wiederentdecken können."
Auch andere Verlage werben mit Büchern für leseschwächere Kinder. Ravensburger bietet in der Reihe "Leichter Lesen", auf dem Cover sichtbar markiert mit einem grinsenden Smiley, vereinfachte Lektüre für Kinder der dritten und vierten Klasse. Die thematische Auswahl reicht von Mädchenbande über Action bis zu Fantasy. Hier fällt die Divergenz zwischen Zielgruppe und Erscheinungsbild allerdings stark ins Auge. Die Schrift ist so groß und locker gesetzt, dass das Angebot sich kaum von ausgewiesenen Erstlesebüchern unterscheidet. Ein Kind aus der vierten Klasse wird mit dem Erscheinungsbild von Schrift und Illustration möglicherweise schon rein ästhetisch unterfordert.
Vom Handy zum Buch bringen
Der Loewe Verlag mit seiner Reihe "Loewe wow" lockt weniger starke Lesekinder auf wiederum andere Weise: Die Bücher dieser Reihe haben eine sehr spezielle, comicartige Optik mit manchmal seitenfüllenden Illustrationen und wechselnden Schrifttypen. Mit diesem Konzept möchte der Verlag auch die digitalen Sehgewohnheiten der Kinder aufgreifen, sie also vom Handy zum Buch bringen. Das Tempo, mit dem Text und Bilder die Geschichte voranbringen, wird der Zielgruppe sicherlich gefallen. Ob mit diesem Konzept auch die Leselust für längere Texte geweckt wird, ist allerdings fraglich.
Der Carlsen Verlag bringt mit seinen "Carlsen Clips" schon seit 2016 Romane in Kurzform für Jugendliche der siebten bis neunten Klasse heraus, als preiswerte und optisch wie thematisch ganz klar an Jugendliche gerichtete Taschenbücher. Bisher sind dort elf Titel erschienen, weitere folgen. Therese Hochhuth ist im Carlsen Verlag für die Reihe zuständig:
"Das Problem ist eben häufig, dass Jugendliche zum Teil dann auch in der Buchhandlung zu den Erstlesern geschickt werden, die sich aber an Kinder im Alterssegment ab sieben, acht Jahre richten, und das ist natürlich nicht das Richtige. Nur weil das einfach geschrieben ist, interessiert das natürlich keinen 13-Jährigen, und wir schauen eben, dass wir diese Lücke füllen und interessante Themen aus der Lebenswelt der Jugendlichen aufgreifen und die in den Clips verarbeiten."
"Ich war absichtlich etwas früher in der Halle, um mich fürs Training aufzuwärmen. Während ich schon mal ein paar Flickflacks übte, landete plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Ich fuhr herum, da stand Timo. In stylischer Jogginghose und mit gestutztem Bart. Er sah richtig nice aus. Irgendwie älter als sonst.
,Heute bist du fällig, Zoe!', er grinste. ,Ich möchte, dass du bei der Achter-Pyramide den Flieger machst. Mal schauen, vielleicht schaffst du sogar einen gegrätschten Handstand.'"
,Heute bist du fällig, Zoe!', er grinste. ,Ich möchte, dass du bei der Achter-Pyramide den Flieger machst. Mal schauen, vielleicht schaffst du sogar einen gegrätschten Handstand.'"
Bekannte Autorennamen
In Susanne Fülschers Roman "Ich will das nicht" erfährt ein Mädchen sexuelle Übergriffe durch ihren Trainer. Es ist ein Buch in bester Jugend-Taschenbuch-Manier. Keine große Literatur, aber ein spannend erzählter Roman, der einfach, aber nicht übertrieben simpel erzählt ist. Das gleiche gilt für Romane beispielsweise von Dorit Linke und Daniel Höra, bekannte Namen auf dem Jugendbuchmarkt. Die Autoren und Autorinnen, die für die Reihe schreiben, bekommen auch bei Carlsen klare Anweisungen: keine Nebenschauplätze, möglichst viele Hauptsätze, nicht mehr als 112 Buchseiten, usw.
Ob für Carlsen Clips oder andere Buchreihen in einfacher Sprache: Es ist offenbar kein Problem, Autoren zu finden, die gern – trotz aller Einschränkungen – den Auftrag annehmen, Kindern und Jugendlichen mit ihren Büchern Lesehemmungen zu nehmen. Therese Hochhuth:
"Die Hoffnung ist natürlich immer, dass das Erfolgserlebnis, was ja am Ende stehen soll: Mensch, ich hab selber ein Buch ganz durchgelesen, und es hat mich eben nicht so erschreckt und war eine Bleiwüste und ein dicker Wälzer, wie ich dachte, - dass man dann so ein bisschen die Scheu verliert und möglicherweise dann eben sich so weiter durchliest. Die Hoffnung besteht immer."
Einen Samen setzen
Der Autor Oliver Uschmann formuliert es so:
"Kinder, die aus irgendwelchen Gründen wenig lesen, wieder fürs Buch zu begeistern, ist viel befriedigender als einen geübten Leser, der im Jahr 100 Bücher liest, das 101. Buch zu liefern. Aber einen Zwölfjährigen dazu zu kriegen, überhaupt das erste Buch im Jahr zu lesen statt null, ist viel bedeutsamer. Da setzen Sie einen Samen."
Oliver Uschmann, Sylvia Witt: "Meer geht nicht"
Gulliver Super Lesbar, Weinheim. 142 Seiten, 11,95 Euro, ab 11 Jahren, Leseniveau ab 9 Jahren.
Gulliver Super Lesbar, Weinheim. 142 Seiten, 11,95 Euro, ab 11 Jahren, Leseniveau ab 9 Jahren.
Anna van Lanen: "Das Schoko-Geheimnis"
Mit Illustrationen von Regina Kehn
Gulliver Super Lesbar, Weinheim. 78 Seiten, 9,95 Euro, ab 9 Jahren, Leseniveau ab 7 Jahren.
Mit Illustrationen von Regina Kehn
Gulliver Super Lesbar, Weinheim. 78 Seiten, 9,95 Euro, ab 9 Jahren, Leseniveau ab 7 Jahren.
Susanne Fülscher: "Ich will das nicht"
Carlsen Clips, Hamburg. 108 Seiten, 4,99 Euro, ab 13 Jahren.
Carlsen Clips, Hamburg. 108 Seiten, 4,99 Euro, ab 13 Jahren.
Außerdem Bücher aus den Verlagen Loewe "Loewe Wow" und Ravensburger "Leichter Lesen".