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Bücher machen, die bleiben

Der Berliner Verbrecher Verlag hat nichts mit kriminellen Machenschaften zu tun. Wohl aber mit ambitionierten Werkschauen und literarischen Entdeckungen. Das Kleinunternehmen, ursprünglich von zwei Literaturstudenten gegründet, wird nun von Jörg Sundermeier geleitet.

Von Holger Heimann |
    Mehr Berlin geht kaum. Die Mehringhöfe in Kreuzberg – das ist alte linke Alternativkultur, schräges Metropolenflair. Die brüchigen Backsteinwände sind voll mit Plakaten und Graffiti. Es gibt ein Café, ein Fahrradgeschäft. Einen Buchladen mit dem Namen Schwarze Risse – so ungewöhnlich der Name auch ist, hier passt er. Die Polizei war schon mehrmals da, konfiszierte etwa eine Zeitschrift, in der stand, wie man Autos anzündet.

    Womöglich sind den Ordnungshütern auch die Bücher mit dem kriminellen Piktogramm aufgefallen: Wenige Striche nur, zwei Menschen, der eine hat eine Pistole in der Hand, der andere die Hände erhoben. Das ist das Logo des Verbrecher Verlags, der wirklich so heißt und von dessen Büro aus man die beste Sicht auf den Schwarze Risse-Buchladen hat. Zu Straftaten will der 1995 begründete Verlag indes nicht anstiften. Der ungewöhnliche Name verdankt sich der Laune zweier Literaturstudenten. Jörg Sundermeier, der den Verbrecher Verlag heute alleine leitet, erinnert sich:

    "Werner Labisch, mein damaliger Verlagspartner und ich, wir hatten in verschiedenen Zeitungen, Magazinen, in Interviews oder Reportagen gelesen von Buchmanuskripten, die – aus welchen Gründen auch immer – in absehbarer Zeit nicht erscheinen. Und wir waren sehr begierige Leser und haben gedacht, wir kommen an diese Texte heran, indem wir uns als Verlag ausgeben, diese Texte als Verlag einfordern, der Autor schickt sie uns dann im besten Fall. Wir kopieren sie zweimal, für Werners und für meine Privatbibliothek und schreiben dann eine Ablehnung. Das ist natürlich ein moralisch fragwürdiges Unterfangen. Ich weiß nicht, ich glaube, es ist nicht strafbar. Da haben wir gedacht, wenn wir uns Verbrecher Verlag nennen und dann schickt uns jemand was – und es haben uns doch einige was geschickt –, dann ist er schon selbst schuld."

    Einen Romananfang schickte auch der seinerzeit noch unbekannte Dietmar Dath. Als Sundermeier und Labisch sich später mit dem Autor trafen, hatte dieser das komplette, erst in der Nacht zuvor fertiggestellte Manuskript dabei. Die beiden fühlten sich in der Pflicht und publizierten das Buch mit dem eigenwilligen Titel: "Cordula killt dich! Oder: Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini". Danach legten die beiden Möchtegern-Verleger jedoch erst einmal eine längere Schaffenspause ein, vier Jahre dauerte es, bis weitere Bücher erschienen:

    "Erst ab 1999 wussten wir, wie es geht. Und seit dem Jahr 2000 arbeitet der Verlag wirklich professionell. Wir sind einerseits 18 Jahre alt und andererseits vielleicht doch erst 13."

    Seitdem haben Sundermeier und Labisch – letzterer schied 2011 aus, um selbst zu schreiben – jedoch gezeigt, dass sie nicht nur das Handwerk beherrschen. Intelligente Debattenbücher, klug komponierte Anthologien, vor allem aber bemerkenswerte literarische Titel bestimmen heute das Programm. Immer wieder ist es gelungen, neue Autoren bekannt zu machen. Eine dieser Entdeckungen ist die junge Lisa Kränzler, die 2012 mit dem Coming-of-Age-Roman "Export A" debütierte. Mit ihrem zweiten Roman "Nachhinein", der temporeich die Geschichte einer ungleichen Mädchenfreundschaft erzählt, war Kränzler im März für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Es ist neben der Auszeichnung für die Autorin beim letztjährigen Bachmann-Wettbewerb wohl bislang der größte Triumph für den Verlag. Jörg Sundermeier, der mit mächtiger Statur, Vollbart und lockigem Haar so wirkt, als könne ihn nicht vieles aus der Ruhe bringen, muss jedoch damit zurande kommen, dass der Aufschwung auch Begehrlichkeiten weckt. Er nimmt es gelassen:

    "Es ist schon so, dass wenn die Autoren erfolgreicher sind, dass sich dann die größeren Verlage melden. Das ist auch ihr Job. Da bin ich dann relativ neutral. Und es ist so, dass Autoren, die in größeren Häusern publizieren, wie beispielsweise Dietmar Dath oder Kolja Mensing oder David Wagner, immer wieder auch mit einem Buch zu uns kommen, zu uns zurückkommen, weil es Bücher von ihnen gibt, die sich die großen Verlagen nicht direkt zutrauen oder die sie den größeren Verlagen auch gar nicht angeboten haben, weil sie sagen, mit dem Buch möchte ich ein bisschen experimentieren. "Ein Traum von mir wäre, dass der Verbrecher Verlag irgendwann ein derart großer Verlag ist, dass ich all diese Autoren anrufen kann und sagen kann: ‚So, jetzt ist es soweit, ich kann große Vorschüsse bezahlen. Komm nach Hause!’ Aber soweit ist es noch nicht."

    Der 42-jährige Verleger hat Verständnis dafür, wenn Autoren sich von der Aussicht auf höhere Vorschüsse und eine geballte Marketingkraft verlocken lassen. Denn er weiß darum, dass die eigenen Möglichkeiten – zumindest derzeit noch – begrenzt sind.

    "Es gibt Auflagehöhen, Verkaufserfolge etc., die der Verbrecher Verlag in der Form noch nicht zustande bringen kann. Das ändert sich zum Teil. Aber der Buchmarkt ist ein schwieriger Markt. Er wird nicht einfacher werden. Und ein Verlag wie der unsrige, der letztlich ein Nischenverlag ist, kann zwar hie und da die Nische verlassen, wird aber nie ein großes und erfolgreiches Vertriebsmodell wie beispielsweise der Rowohlt Verlag aufbauen können."

    Umso erstaunlicher, dass Jörg Sundermeier mehr als ein Großprojekt angepackt hat und umfangreiche Werkschauen von nahezu vergessenen Autoren publiziert. Auf 15 Bände ist die Edition der Tagebücher des Anarchisten Erich Mühsam angelegt, der vierte Band über das Kriegsjahr 1915 ist gerade erschienen. Mühsams Aufzeichnungen, die zwischen 1910 und 1924 entstanden, erzählen vom politischen Kampf und halten zugleich amüsante Einblicke in das Leben der Münchner Boheme bereit. Und sie sind ein verlegerisches Experiment: Parallel zu den hochwertigen, in Leinen gebundenen Büchern erscheinen die Notate auch digital im Internet, begleitet zudem von einem umfangreichen Anmerkungsapparat.

    "Gerade bei den Werkausgaben – Gisela Elsner, Rudolf Lorenzen, Giwi Margwelaschwili, jetzt neu Christian Geissler – gibt es eine Mischung aus Begeisterung für die Werke dieser Autoren und sicherlich auch ein pädagogisches Moment. Wir machen das im Rahmen einer Werkausgabe, um zu sagen: ‚Hallo, hier droht euch etwas durch die Lappen zu gehen, was ganz eminent wichtig ist. Was, wie ich glaube, ganz große Literatur ist.’"

    Jörg Sundermeiers Ziel ist es, Bücher zu machen, die bleiben, Titel, die älter werden als er selbst. Vielleicht gelingt das sogar, doch vorerst muss der Verleger die Mühen des Alltagsgeschäfts auf sich nehmen. 5000 Exemplare – das ist bislang die magische Grenze, mehr wurden noch von keinem Buch, das im Verbrecher Verlag erschienen ist, verkauft. Für ein komfortables Einkommen reicht dies nicht. Seit je arbeitet Jörg Sundermeier auch als Journalist, schreibt für die "taz" und die "Jungle World" – aus Lust und Notwendigkeit. Und manchmal wird die Nebenbeschäftigung zur Haupteinnahmequelle.

    "Wir sind alle zu einer gewissen Sparsamkeit gezwungen, und wir sind leider auch alle ein bisschen zur Selbstausbeutung gezwungen. Aber dass man sich diese Selbstausbeutung auferlegt, zeigt ja schon, dass man einen Grund hat. Es klingt so klischeehaft und so abgegriffen, aber man hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Wer sonst kann von sich sagen, der gerne liest, dass er für das Lesen auch noch bezahlt wird. Und es gibt etwas ganz Wunderbares, dass einem Niemand nehmen kann und das in Geldwert nicht auszudrücken ist und das ist Entdeckerstolz. Man freut sich so sehr, wenn man ein neues Buch von jemandem liest, den die anderen vielleicht noch gar nicht kennen, den man vor allen Dingen selbst nicht kennt, dessen Sprache man so großartig findet, dessen Thema man so toll findet. Da ist man tatsächlich total aufgeregt, das ist ein ganz kleines bisschen wie frisch verliebt sein. Man läuft mit einer ganz großen Begeisterung durch die Welt und ist zwei drei Tage so hin und weg von diesem Buch. Das ist dann der Gotteslohn, von dem man zwar nicht leben kann und mit dem man nicht einkaufen kann, aber das ist das Wunderbare und das ist das, was uns alle bei der Stange hält."