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Büchner mit allen Sinnen erleben

Naturwissenschaftler, Schriftsteller, Philosoph - trotz seines kurzen Wirkens sei Georg Büchner ungebrochen aktuell und modern, sagt Ralf Beil, Kurator der Ausstellung "Revolutionär mit Feder und Skalpell". Mit großem Realismus habe er versucht, die Welt zu erfassen.

Ralf Beil im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Einer, der dem Menschen und der Geschichte in die Seelen schauen wollte und konnte, das war Georg Büchner. Büchner dachte und erlebte alles oder vieles, jedenfalls eine Menge von dem, was den modernen Menschen bis heute umtreibt. Dabei war der Dichter des Vormärz nur 23 Jahre alt geworden.

    In Hessen, in Darmstadt, war er aufgewachsen. Früh ahnte er, wie der Mensch zum Spielball der Geschichte werden kann, zum "Schaum auf der Welle". "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" rief sein "Hessischer Landbote" den hungernden, elenden Bauern zu. Das Scheitern der Französischen Revolution verdichtete Büchner in seinem Stück "Dantons Tod". Typhus zerstörte sein eigenes Leben.

    Der 200. Geburtstags Büchners in diesem Jahr ist für die Mathildenhöhe in Darmstadt der äußere Anlass, diesem eine große Ausstellung zu widmen. Der innere Anlass: Büchners ungebrochene Aktualität, hieß es vorab, und Büchner sei eben Weltwissen. Das zeigt die Ausstellung? – habe ich den Kurator und Direktor der Mathildenhöhe gefragt, Ralf Beil.

    Ralf Beil: Ganz genau. Die Ausstellung, "Revolutionär mit Feder und Skalpell", will natürlich genau dies: Einfach den Kosmos darstellen von Büchner, der ja sich weit spannt, von Naturwissenschaft, Philosophie, Schriftstellerei, natürlich den Menschen Büchner auch noch mit inbegriffen. Und das, was man dort in Darmstadt erleben kann, ist wirklich ein ganz großes Panorama, man könnte auch manchmal fast denken, eine Wunderkammer, die sich dort ereignet.

    Denn ganz vieles von dem, was an Ideen und Bildern in den Texten und Schriften, in den Briefen von Büchner tatsächlich vorhanden ist, das wird dort quasi in Realität, in dreidimensionale Formen umgesetzt. Wir haben eine Guillotine-Druckerpresse, wir haben die Kreuze des Blut-Messias, die Naturwissenschaft ist mit einem Film vertreten, wir haben extra eine Sezierung der Barben mit historischen Instrumenten eigens anfertigen lassen, ein wunderbarer Film, wo man die Schädelknochen wirklich knacken hört, so wie Büchner sie einst gehört hat. Das ist ganz, ganz wesentlich für mich, dass man Büchner mit allen Sinnen erleben kann, und wie gesagt in diesem panoramatischen Überblick.

    Schmitz: Also Sie meinen mit weltwissendem Büchner nicht einen Universalgelehrten, sondern das Spektrum seiner literarischen, politischen und naturwissenschaftlichen Arbeiten?

    Beil: Doch, durchaus auch den Universalgelehrten, und Weltwissen heißt einfach diese, für einen dann am Ende ja mit 23 Jahren ganz jung, früh verstorbenen Literaten, Naturwissenschaftler, Revolutionär eigentlich doch ungeheuere Einsicht in das, was ihn ausmacht. Ich meine, allein ein Zitat vom Barbier, "Wir sind alle nur Knochen, Staub, Dreck" – das Wasser hat er weggelassen, die 80 Prozent -, da ist ganz viel drin in ganz vielen quasi epigrammatischen Sätzen von Büchner, wo man einfach immer noch spürt, dass er nahe dran ist, einander kennen, wir müssen die Schädeldecken aufbrechen. All diese Sätze, was ist das, was in uns hurt, lügt, mordet, stiehlt, das sind wirklich fast wie in Stein gemeißelte Fragen. Das ist gesättigt mit einem Blick auf die Welt, der mit einem großen Realismus einfach natürlich versucht, das ganze zu fassen. Das meine ich so ein bisschen mit Weltwissen.

    Schmitz: Sie zeigen also den absolut modernen Büchner, was ihn ja ausmacht, dass er auch in unserer Sprache schon Dinge formuliert in Fragen, die uns bis heute beschäftigen.

    Beil: Das ist mir ganz wesentlich. Wir brauchen Büchner gar nicht aktualisieren, denn er ist aktuell.

    Auch als Naturwissenschaftler auf der Höhe der Zeit
    Schmitz: "Revolutionär mit Feder und Skalpell" – Sie haben den Titel der Ausstellung schon genannt. Dass Büchner mit der Feder ein Revolutionär war, das wissen wir. Inwiefern ist Büchner aber ein Revolutionär mit dem Skalpell in der Hand? Oder hatten Sie das gar nicht so eng verzahnt miteinander?

    Beil: Doch, doch. Er ist natürlich als Naturwissenschaftler damals wirklich auf der Höhe der Zeit. Sie müssen daran denken, dass Charles Darwin gerade erst auf seiner Weltreise ist, während Büchner sozusagen imaginär an seinen Studienorten Straßburg, Gießen und dann natürlich seinem Dozentenort in Zürich wirklich forscht, sich mit Spinoza auseinandersetzt, quasi die neuesten Strömungen rezipiert. Und auch wenn das, was er dann am Ende dort herausgefunden hat, in Teilen heute überholt ist, ist es doch so, dass gerade diese Anatomie der Schädel, Nerven und diese Beschäftigung mit den Nerven ungeheuer vorausweist.

    Schmitz: Sie zeigen Original-Manuskripte, Multimedia-Installationen, zeithistorische Objekte, Gemälde, Filme, das haben Sie vorhin schon gesagt, Hörstationen gibt es auch, um wirklich hineinzutauchen in Werk und Leben. Sie haben aber auch eine besondere Medientechnik entwickelt, um zu zeigen, wie Büchners Texte entstanden sind. Vielleicht könnten Sie die noch erläutern?

    Beil: Das sind Computer-Animationen, die Ihnen tatsächlich vor Augen führen können, wie das Großmutter-Märchen im Woyzeck beispielsweise aus drei Märchen entsteht der Gebrüder Grimm und gleichzeitig aber total umgewertet wird in diesen fatalen Schlusssätzen nachher, es greint und ist ganz allein und sitzt dort. Das heißt, man kann wirklich dem Dichter, dem Schriftsteller bei der Arbeit über die Schulter schauen, indem man einerseits sieht, was Büchner schreibt und wo er es her hat. Man hat sozusagen dann verschiedene Farben, die anzeigen, was direkte Übernahmen sind, was tatsächlich dann paraphrasiert wird. Und man sieht ganz genau, was er anders macht. Man sieht diesen Meister-Collageur, den Paraphrasierer und den Monteur, und da ist Büchner nicht nur Vorreiter, sondern nach wie vor einer der ganz großen Heroen, sage ich mal, der das wirklich geschafft hat, das meisterhaft zu verbinden.

    Schmitz: Ralf Beil, Leiter der Ausstellung "Georg Büchner" im Wissenschaftszentrum Darmstadtium, ab Sonntag zu sehen dort.


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