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Büchner-Preisträger Clemens J. Setz
"Sprache ist mein Betriebssystem"

"Ziegen sind das Vorbild für mich", sagte Büchner-Preisträger Clemens J. Setz im Dlf. Er möge ihre Sturheit, ihre Keckheit und dass sie einfach herumstehen und schauen. Auch George Büchner fühlt er sich verbunden. Seine Werke hätten ihn schon in jungen Jahren stark erreicht.

Clemens J. Setz im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
Der Schriftsteller Clemens J. Setz mit mittellangen Haaren und zotteligem Bart
Clemens J. Setz ist mit dem Georg-Büchner-Preis 2021 ausgezeichnet worden. Er sagt: "Es gibt Menschen, die wahrscheinlich auch stark außersprachlich denken könne. Ich gehöre nicht dazu." (imago images / gezett)
Der österreichische Autor Clemens J. Setz bekommt den diesjährigen Georg-Büchner-Preis. Das hat die Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung bekannt gegeben. Die Preisverleihung soll am 6. November 2021 in Darmstadt stattfinden.
Clemens J. Setz sitzt auf einer Parkbank
Georg-Büchner-Preis geht an Clemens J. Setz
Der Schriftsteller Clemens J. Setz hat Romane und Erzählungen veröffentlicht, für die ihm Humanismus, Vielseitigkeit und sprachschöpferische Imagination bescheinigt werden.
Maja Ellmenreich: Clemens J. Setz, herzlichen Glückwunsch zum Georg-Büchner-Preis. Per Twitter haben Sie ja schon jede Menge Glückwünsche und Gratulationen bekommen heute. Aber abgesehen von einem kurzen Dank haben Sie die Auszeichnung noch nicht auf dem Kurznachrichtendienst kommentiert, oder?
Setz: Nein, es war ja so viel auf einmal, und ich musste dann auch so viel telefonieren. Ich habe allen einfach mal danken müssen, die mir da freundlicherweise Glückwünsche zuschicken. Aber sonst lebe ich schon den ganzen Tag auf Twitter, das stimmt.
Ellmenreich: Sie haben jetzt reagiert mit den Worten, vielen Dank an alle, dann folgt ein Smiley, dann eine Ziege, ein Hase und ein Bücherstapel. Was genau wollten Sie damit sagen?
Setz: Smiley ist das Glücksichsein, die Ziege ist mein Clan-Tier. Ich bin jemand, der sich von Ziegen stark inspirieren lässt. Das meine ich ganz ernst: Ziegen sind ein Vorbild für mich – die Sturheit, die Keckheit, das einfach Herumstehen und Schauen und so, das ist irgendwas Freches. Hase ist mein Nachname, Setz ist der Hase auf Slowenisch und auch auf Kroatisch. Ich war schon immer der Hase sozusagen, das war immer mein Kosename. Und Bücher, weil es um Bücher geht. So durchdacht sind Emojis manchmal. Aber das liest man ja auch so weg, das ist einfach so.

Überrascht und erschüttert

Ellmenreich: Man könnte auch fast zu dem Schluss kommen, dass ein paar Bilder mehr sagen als tausend Worte.
Setz: Ja, das stimmt. Ich bin ja etwas sprachlos natürlich. Das Problem ist, wenn man wirklich eine solche Ehrung erhält, da gibt es wenig gute Bahnen, in denen man das ausdrücken kann, ohne entweder sehr eitel oder zu cool, zu unbewegt zu sein. Es ist sehr schwer, was zu finden. Darum bin etwas verstockt und verkichert, und das zeigt sich dann auch selbst online durch so Bilder.
Ellmenreich: Dabei sind Sie das ja durchaus gewohnt, so eine Nachricht entgegenzunehmen. 2011 der Preis der Leipziger Buchmesse, 2015 hat sie der Deutschlandfunk mit dem Wilhelm-Raabe-Preis geehrt für Ihren Roman "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre", und jetzt also der Büchnerpreis. So eine Auszeichnung, vermute ich, ist so etwas wie eine Erschütterung, das spricht auch jetzt gerade aus Ihren Worten. Reißt Sie die aus dem Schreiben und dem sonstigen kreativen Prozess heraus?
Setz: Für einen Tag natürlich total, ja, das schon. Ich hätte es auch überhaupt nicht gedacht und finde es wirklich sehr überraschend. Sie haben recht, dass es viele Preise waren in den letzten Jahren, das stimmt. Ich habe wirklich Glück da, den Kritikerinnen und Kritiker, die in den Positionen waren für dies eine Jahr in den Jurys, denen haben meine Bücher wirklich gefallen, scheint’s. Und das ist sehr schön, weil viele von denen – das sag ich gar nicht als leichtfertige Formel – bewundere ich wirklich sehr und gebe auf ihre Meinung, selbst wenn sie nicht mich toll finden, sehr viel.
Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz. 
Eine ungewöhnliche Wahl
Der Georg-Büchner-Preis ist die angesehenste Auszeichnung der deutschen Literatur. Mit dem Österreicher Clemens J. Setz gewinnt dieses Jahr einer, der nicht in das übliche Schema passt.

Ein Überangebot an Sprache

Ellmenreich: Also Sie schreiben vornehmlich Gedichte, Erzählungen, lange Romane, kurze Twitter-Nachrichten, also noch keine Literaturkritiken, was ja noch kommen kann. Nach welchen Kriterien, Herr Setz, entscheiden Sie sich für die literarische Form? Gibt der Inhalt die Form manchmal vor?
Setz: Die Form ist das, was entstehen muss, sonst hat es keine Seele und keine Stimme und auch kein Herz. Es ist emotional, es ist wiedererkennbar als Menschliches, aber es entsteht nie als Erstes: Die Form kommt und dann lebt es. Aber die Formen sind das, was sich mitteilt: Wenn man einen Roman schreibt mit 500 Seiten, dann kann nicht nur eine Art von Form drin vorkommen, wie zum Beispiel der nüchterne Mitteilungssatz – das ist zu wenig, das stirbt dann. Es ist leichter, wenn man ein konkretes Werk anschaut.
Ellmenreich: Ein konkretes Werk, das ist ja Ihr jüngstes Buch, "Die Bienen und das Unsichtbare". Das ist deutlich mehr als nur ein Sachbuch. Darin geht es ja um die Faszination für die Sprache: um Sprachbesonderheiten, um sprachliche Einschränkungen, auch um sogenannten Plansprachen wie Esperanto zum Beispiel. Was ist Sprache für Sie, Herr Setz, ist das ein Rohstoff, ist das Kulturgut, welches Wort finden Sie dafür?
Setz: Es ist zuallererst und wahrscheinlich mein Betriebssystem. Es gibt Menschen, die wahrscheinlich auch stark außersprachlich denken können, also visuell oder konzeptionell. Ich gehöre nicht dazu. Ich denke wirklich, glaube ich, sehr stark sprachlich. Das kann auch mit meinem Neuro-Typ zusammenhängen. Man hat mir, als ich jung war, immer wieder so Asperger-Syndrom attestiert – ich weiß nicht, wie richtig oder wie sinnvoll das war – aber so jemand, der zu Partikularinteressen neigt, der auch Schwierigkeiten hat im Dekodieren mit sozialen Codes und so weiter.
Ich träume sprachlich, ich habe einen unentwegten Wortspiel-Tick, ich muss viele Wortspiele machen. Das ist der Hauptweg, wie ich in Kontakt trete mit der Welt, und auch der Hauptweg, wie ich zu den schönen Effekten komme, auch der telepathischen Übertragung von Gedanken. Also, das geht bei mir nur sprachlich.
Wenn ich zum Beispiel ein Buch aufschlage von irgendjemandem, der schon lange tot ist, dann sehe ich einen Platz darin, und er wird in mir wirklich wieder lebendig. Das sagt sich auch so kitschig dahin, aber es wird wirklich lebendig für einen Moment, das, was jemand gedacht hat und empfunden hat, in einer ungeheuren Komplexität. Das kann ich halt nur mit Sprache.
Es gibt sicher Menschen, die das irgendwie anders können, zwischenmenschlich vielleicht sogar. Möglicherweise habe ich da ein bisschen ein Handicap oder ein Defizit, und das füllt sich dann mit einem Überangebot an Sprache an.

Richtig besoffen durch Büchner

Ellmenreich: Lassen Sie uns noch kurz zum Namensgeber des Preises kommen, zu Georg Büchner: Der wurde lediglich 23 Jahre alt, ist knapp 170 Jahre vor Ihnen geboren, Herr Setz. Als Dichter, als Revolutionär, als politisch denkender Mensch besitzt Büchner so etwas wie Kult- oder auch Geniestatus. Haben Sie einen Draht zu Büchner, um es flapsig zu formulieren, also gibt’s da eine inhaltliche oder auch eine sprachliche Verbindung zu ihm?
Setz: Ja, ganz stark, das kann man wirklich sagen. Er war einer der frühesten, die sehr stark gezündet haben und die mich irgendwie stark erreicht haben, da bin ich richtig besoffen durch "Woyzeck" vor allem, und auch die Prosa im "Lenz". Auch die Schnelligkeit und die Art, wie er Dinge verwandelt hat. Ich habe vor vielen Jahren mal Germanistik studiert, da gab’s ein Seminar zu Büchner und wir haben uns wirklich diese Originaldokumente angesehen bei "Woyzeck". Also, es gibt die Gerichtsakten und so weiter über den realen Fall, irgendwelche psychologischen Gutachten. Man sieht, wie er das verwendet hat, man sieht, wo er sich inspiriert hat – und dann kann man aber nie sagen, wie er zu dem Endergebnis kommt. Es ist sehr transparent, sehr offen, sehr klar – zugleich ist es ein totales Mysterium, wie er da hinkommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.