Büchners "Leonce und Lena" für Kinder – wie soll das gehen? Fragt man sich unwillkürlich beim Blick auf das zauberhafte Umschlagbild von Lisbeth Zwerger. Da sitzen Leonce und Lena auf einer Art marmornem Felsen. Einander zu-geneigt, er als Rückenfigur, sie im zarten Halbprofil. Über ihnen schwebt glutrot-gelb der Mond, die Szene wirkt chinesisch und ist in ein gedämpftes Blau getaucht – die Farbe der Treue. Und schon die Haltung von Prinz und Prinzessin signalisiert: Es ist Liebe auf den ersten Blick!
(Leonce tritt auf)
O Nacht, balsamisch wie die erste, die auf das Paradies herabsank!
Lena: Wer spricht da?
Leonce: Ein Traum.
Lena: Träume sind selig.
Leonce: So träume dich selig und lass mich dein seliger Traum sein.
Erich Kästner zählte "Leonce und Lena" zu den sechs wichtigsten klassischen Komödien deutscher Sprache. Wolfgang Hildesheimer bezeichnete das Schauspiel in seiner Büchner-Preis-Rede 1966 als "Tragikomödie des Leerlaufs und der Enttäuschung". Und Wilhelm Genazino sang ein Loblied auf "Leonce und Lena", auf die Langeweile als Zustand seligen Stillstands und kreativer Kraft.
Was ist das für eine Geschichte, von der große Schriftsteller schwärmen, die beim Publikum aber nicht wirklich ankommt? Weil sie so surreal, verrückt und hintergründig ist. Büchner schrieb das Lustspiel im Frühjahr 1836 - mit 22 Jahren. Die Uraufführung fand allerdings erst 60 Jahre später statt – auch dies ein Hinweis auf seine Modernität.
Dies ist die wundersame Geschichte von Prinz Leonce aus dem Reiche Popo und Prinzessin Lena vom Reich Pipi, die verheiratet werden sollen, ohne dass sie sich kennen und ohne dass sie es wollen; darum voreinander fliehen, mit ihren Begleitern; deren Flucht voreinander aber auf märchenhafte Weise zur Flucht zueinander wird; so dass sie zum Erstaunen aller am Ende doch glücklich verheiratet sind.
Schon dieser Prolog – er stammt aus Jürg Amanns Feder – deutet die Dimensionen des Stücks an: Die recht konstruierte Handlung vermischt Märchen und Politsatire – die Königreiche heißen schließlich Popo und Pipi. Sie kombiniert karnevaleske Spielfreude mit philosophischen Reflexionen, Verwechslungskomödie und existenzielle Verunsicherung. Das zentrale Thema lautet – komisch verzerrt – "Wer bin ich?".
(Leonce allein, halb liegend auf einer Bank:)
Bin ich ein Müßiggänger? Habe ich eine Beschäftigung? … Warum muss ich es gerade wissen? Warum kann ich mir nicht wichtig werden…? O, wer einmal jemand anders sein könnte!
Dass Büchners Lustspiel für jüngere Zuschauer durchaus geeignet ist, zeigten in den vergangenen Jahren viele Aufführungen in Jugendtheatern, Workshops und Laienklubs. Sie schrieben den Text um, entlarvten die Protagonisten als coolen Lümmel oder kokettes Girlie und aktualisierten die Komödie durch verrückte Kostüme und eine überdrehte Inszenierung.
Ganz anders Jürg Amann! Er nimmt Büchner beim Wort. Sein Text - jede einzelne Zeile - entstammt dem Original! Zum Beispiel Valerios – des Dieners - Vorstellung des verkleideten Brautpaars.
Geben Sie Acht, meine Herren und Damen, sie sind jetzt in einem interessanten Stadium … Beide haben schon mehrmals geflüstert: Glaube, Liebe, Hoffnung! Beide sehen bereits ganz akkordiert aus, es fehlt nur noch das winzige Wörtchen: Amen.
Jürg Amann biedert sich Büchner nicht an – und seinen Lesern genauso wenig! Sein Text kommt aus dem 18. Jahrhundert, es gibt keinerlei Zugeständnisse an Aktualität, leichtere Lesbarkeit oder kindliche Betrachter. Amann konzentriert Büchners Szenen und Dialoge jeweils auf einer Seite, manchmal zieht er sogar mehrere Szenen zusammen. Wir lesen Büchner im Extrakt. Keinen Text für Kinder, sondern ein auch Erwachsene herausforderndes Textkondensat.
Und das hat den Effekt, dass wir auch als Erwachsene vor Büchners traumtänzerischem Schauspiel sitzen wie ein Kind. Fragend, staunend, verunsichert, verwundert. Dass wir seine Sprache – gerade weil sie stilisiert, ja ziseliert ist, auf uns wirken lassen wie einen Zauberspruch. Und da schält sich dann das von selbst heraus, was Kindern Spaß macht: das Märchen bzw. die Komödie. Da werden Büchners leicht verrückte Figuren lebendig wie auf einer Bühne, rasant und rührend zugleich.
König Peter: Ich bin der glücklichste Mann! – Ich lege hiermit feierlichst die Regierung in Deine Hände, mein Sohn, und werde sogleich ungestört zu denken anfangen.
Zu denken hat natürlich auch der Leser und Betrachter dieses Bilderbuchs genug. Aber noch mehr hat er zu sehen: Das klare, mittig ausgerichtete Text-Layout wirkt modern und klassisch zugleich, das edel marmorierte Vorsatzpapier erinnert an ledergebundene alte Bücher. Und Lisbeths Zwergers zarte Aquarelle und Collagen in gedämpften Blau-, Grün- und Brauntönen sind einfach märchenhaft! Sie stellen Büchners Protagonisten zwischen Vorhang und Kulissen auf eine Theaterbühne: Wir sehen eine Familie von hinten mit zwei Kindern im Zuschauerraum in der ersten Reihe sitzen, vor ihnen auf der Bühne wird das Stück gespielt. Und sofort wird deutlich, dass es sich hier bei "Leonce und Lena" einerseits um ein Bilderbuch, andererseits aber um ein Lust-Spiel dreht. Um Lust und Spiel, um eine Fiktion. Um Literatur eben!
Lena: Er war so alt unter seinen blonden Locken. Den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen! Das ist traurig.
Ironisch brechen Zwergers Bühnen-Bilder das märchenhafte Geschehen auf. Mal komisch übertrieben, dann wieder surreal ist jedes für sich ein kleines Kunstwerk. Wie ein Leitmotiv kehren einzelne grafische Effekte immer wieder, die zarte Marmorierung z.B.: auf Vorhang und Säulen, Sonne und Mond, Blumen und Blättern. Sie setzt die blumige Sprache des Stücks mit spielerischen Mitteln ins Bild um.
Jürg Amanns und Lisbeths Zwergers "Leonce und Lena" holt ein fast 200 Jahre altes Schauspiel in unsere Gegenwart. Das Bilderbuch für Kinder und Erwachsene zeugt vom tiefen Respekt gegenüber dem Original und übersetzt es zugleich in eine moderne, vielschichtige und berückende Bildsprache. Nicht ins Kinderzimmer gehört dieses Kunst-Werk, sondern ins Wohnzimmer!
Georg Büchner: Leonce und Lena.
Mit Bildern von Lisbeth Zwerger. Textfassung von Jürg Amann.
Nord/Süd Verlag, Zürich 2013. 64 Seiten, 19,95 Euro, ab 4 Jahren, ISBN-13: 978-3314101816
(Leonce tritt auf)
O Nacht, balsamisch wie die erste, die auf das Paradies herabsank!
Lena: Wer spricht da?
Leonce: Ein Traum.
Lena: Träume sind selig.
Leonce: So träume dich selig und lass mich dein seliger Traum sein.
Erich Kästner zählte "Leonce und Lena" zu den sechs wichtigsten klassischen Komödien deutscher Sprache. Wolfgang Hildesheimer bezeichnete das Schauspiel in seiner Büchner-Preis-Rede 1966 als "Tragikomödie des Leerlaufs und der Enttäuschung". Und Wilhelm Genazino sang ein Loblied auf "Leonce und Lena", auf die Langeweile als Zustand seligen Stillstands und kreativer Kraft.
Was ist das für eine Geschichte, von der große Schriftsteller schwärmen, die beim Publikum aber nicht wirklich ankommt? Weil sie so surreal, verrückt und hintergründig ist. Büchner schrieb das Lustspiel im Frühjahr 1836 - mit 22 Jahren. Die Uraufführung fand allerdings erst 60 Jahre später statt – auch dies ein Hinweis auf seine Modernität.
Dies ist die wundersame Geschichte von Prinz Leonce aus dem Reiche Popo und Prinzessin Lena vom Reich Pipi, die verheiratet werden sollen, ohne dass sie sich kennen und ohne dass sie es wollen; darum voreinander fliehen, mit ihren Begleitern; deren Flucht voreinander aber auf märchenhafte Weise zur Flucht zueinander wird; so dass sie zum Erstaunen aller am Ende doch glücklich verheiratet sind.
Schon dieser Prolog – er stammt aus Jürg Amanns Feder – deutet die Dimensionen des Stücks an: Die recht konstruierte Handlung vermischt Märchen und Politsatire – die Königreiche heißen schließlich Popo und Pipi. Sie kombiniert karnevaleske Spielfreude mit philosophischen Reflexionen, Verwechslungskomödie und existenzielle Verunsicherung. Das zentrale Thema lautet – komisch verzerrt – "Wer bin ich?".
(Leonce allein, halb liegend auf einer Bank:)
Bin ich ein Müßiggänger? Habe ich eine Beschäftigung? … Warum muss ich es gerade wissen? Warum kann ich mir nicht wichtig werden…? O, wer einmal jemand anders sein könnte!
Dass Büchners Lustspiel für jüngere Zuschauer durchaus geeignet ist, zeigten in den vergangenen Jahren viele Aufführungen in Jugendtheatern, Workshops und Laienklubs. Sie schrieben den Text um, entlarvten die Protagonisten als coolen Lümmel oder kokettes Girlie und aktualisierten die Komödie durch verrückte Kostüme und eine überdrehte Inszenierung.
Ganz anders Jürg Amann! Er nimmt Büchner beim Wort. Sein Text - jede einzelne Zeile - entstammt dem Original! Zum Beispiel Valerios – des Dieners - Vorstellung des verkleideten Brautpaars.
Geben Sie Acht, meine Herren und Damen, sie sind jetzt in einem interessanten Stadium … Beide haben schon mehrmals geflüstert: Glaube, Liebe, Hoffnung! Beide sehen bereits ganz akkordiert aus, es fehlt nur noch das winzige Wörtchen: Amen.
Jürg Amann biedert sich Büchner nicht an – und seinen Lesern genauso wenig! Sein Text kommt aus dem 18. Jahrhundert, es gibt keinerlei Zugeständnisse an Aktualität, leichtere Lesbarkeit oder kindliche Betrachter. Amann konzentriert Büchners Szenen und Dialoge jeweils auf einer Seite, manchmal zieht er sogar mehrere Szenen zusammen. Wir lesen Büchner im Extrakt. Keinen Text für Kinder, sondern ein auch Erwachsene herausforderndes Textkondensat.
Und das hat den Effekt, dass wir auch als Erwachsene vor Büchners traumtänzerischem Schauspiel sitzen wie ein Kind. Fragend, staunend, verunsichert, verwundert. Dass wir seine Sprache – gerade weil sie stilisiert, ja ziseliert ist, auf uns wirken lassen wie einen Zauberspruch. Und da schält sich dann das von selbst heraus, was Kindern Spaß macht: das Märchen bzw. die Komödie. Da werden Büchners leicht verrückte Figuren lebendig wie auf einer Bühne, rasant und rührend zugleich.
König Peter: Ich bin der glücklichste Mann! – Ich lege hiermit feierlichst die Regierung in Deine Hände, mein Sohn, und werde sogleich ungestört zu denken anfangen.
Zu denken hat natürlich auch der Leser und Betrachter dieses Bilderbuchs genug. Aber noch mehr hat er zu sehen: Das klare, mittig ausgerichtete Text-Layout wirkt modern und klassisch zugleich, das edel marmorierte Vorsatzpapier erinnert an ledergebundene alte Bücher. Und Lisbeths Zwergers zarte Aquarelle und Collagen in gedämpften Blau-, Grün- und Brauntönen sind einfach märchenhaft! Sie stellen Büchners Protagonisten zwischen Vorhang und Kulissen auf eine Theaterbühne: Wir sehen eine Familie von hinten mit zwei Kindern im Zuschauerraum in der ersten Reihe sitzen, vor ihnen auf der Bühne wird das Stück gespielt. Und sofort wird deutlich, dass es sich hier bei "Leonce und Lena" einerseits um ein Bilderbuch, andererseits aber um ein Lust-Spiel dreht. Um Lust und Spiel, um eine Fiktion. Um Literatur eben!
Lena: Er war so alt unter seinen blonden Locken. Den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen! Das ist traurig.
Ironisch brechen Zwergers Bühnen-Bilder das märchenhafte Geschehen auf. Mal komisch übertrieben, dann wieder surreal ist jedes für sich ein kleines Kunstwerk. Wie ein Leitmotiv kehren einzelne grafische Effekte immer wieder, die zarte Marmorierung z.B.: auf Vorhang und Säulen, Sonne und Mond, Blumen und Blättern. Sie setzt die blumige Sprache des Stücks mit spielerischen Mitteln ins Bild um.
Jürg Amanns und Lisbeths Zwergers "Leonce und Lena" holt ein fast 200 Jahre altes Schauspiel in unsere Gegenwart. Das Bilderbuch für Kinder und Erwachsene zeugt vom tiefen Respekt gegenüber dem Original und übersetzt es zugleich in eine moderne, vielschichtige und berückende Bildsprache. Nicht ins Kinderzimmer gehört dieses Kunst-Werk, sondern ins Wohnzimmer!
Georg Büchner: Leonce und Lena.
Mit Bildern von Lisbeth Zwerger. Textfassung von Jürg Amann.
Nord/Süd Verlag, Zürich 2013. 64 Seiten, 19,95 Euro, ab 4 Jahren, ISBN-13: 978-3314101816