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Bühnenmärchen mit Wunder-Bonus

Die Oper der Wagner-Stadt Leipzig startet mit Verdi in die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag der beiden Komponisten. Von Regisseur Dietrich W. Hilsdorf versprach man sich wohl eine besondere, heutige Sichtweise auf Verdis erste Meisteroper. Zu sehen ist davon auf der Bühne aber nur wenig.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Eng geht's zu anfangs auf der riesigen Leipziger Bühne. Auf handtuchschmalem Raum drängen sich die Hebräer unter Pulverdampf vorn an der Rampe, wogen hin und her, rein, raus. Dahinter, verdeckt von einem halbtransparenten Vorhang, eine Art Bühne auf der Bühne mit einem Gold schimmernden Theatersaal.

    Die Hebräer haben Fenena, die legitime Tochter des Babylonierkönigs Nabucco, gefangen als Geisel, um die Zerstörung des Tempels zu verhindern. Aber da taucht auch schon Abigaille, die illegitime Nabucco-Tochter aber eigentliche Scharfmacherin auf mit Soldateska, will die Halbschwester befreien – und muss mit an sehen, dass sie einen gemeinsamen Liebhaber haben.

    Eher unbeteiligt dann auch Nabucco. Die Gemengelage bleibt unübersichtlich.

    Mit Verdi beginnt die Oper der Wagner-Stadt Leipzig das bicentennare Feier-Jahr. Ein kleiner Kontrapunkt, Wagner kann warten. Und mit Dietrich W. Hilsdorf hat man für Verdis erste Meisteroper einen Regisseur gebeten, von dem man sich wohl eine besondere, heutige Sichtweise auf dies Stück von der Befreiung der Hebräer aus babylonischer Umklammerung versprach.

    Zu sehen ist davon auf der Bühne indes wenig. Bis zum Schluss rätselt man, worauf Hilsdorf wohl hinaus will. Vergeblich. Bühnen-Ort und -Zeit bleiben in der Ausstattung von Dieter Richter und Renate Schmitzer im Ungefähren. Der Raum mit seinen Kachelwänden deutet einen jüdischen Tempel an. Die Hebräer tragen Zylinder.

    Der Babylonier-Herrscher kommt anfangs mit Napoleon-Lorbeer auf dem Kopf, dann, wenn er zum Wahnsinn mutiert ist, wälzt er sich im Lear-Narren-Schmuddel-Kleid.

    Im Graben lässt Antony Bramall das Gewandhausorchester in kräftigen Farben Verdis frühe doch noch aus sehr unterschiedlichen Facetten gestückelte Partitur ertönen. Meist doch etwas laut. Die Sänger müssen forcieren. Und das bekommt dem Abend gar nicht gut.

    Zumal Amarilli Nizza als Abigaille hat kaum Möglichkeiten, die lyrische Seite ihrer Stimme zu präsentieren; ähnlich Jean Broekhuizen als ihre Halbschwester Fenena. Aber auch Arutjun Kotchinian als der zum Widerstand mahnende Hebräer-Oberpriester muss seine Anfeuerungen im Dauer-Forte-Fortissimo schleudern. Lediglich Markus Marquardt als Babylonier-König Nabucco bietet ein differenzierteres Bild.

    Ergreifend der Chor der Leipziger Oper mit dem berühmtesten Stück des Werks, dem später zur italienischen Befreiungshymne avancierten Gefangenenchor. Vom Publikum wurde denn auch vor allem der Chor gefeiert. Aber auch die Solisten wurden fast frenetisch beklatscht. Schüchterne Buhs gab es am Ende lediglich für das Inszenierungs-Team.

    Aber einen griffig-heutigen und doch im Verdi-Ton ankernden "Nabucco" zu inszenieren, wäre heikel. Welche Befreiung der Hebräer könnte da gemeint werden? Die von der eigenen lastenden Historie? Man muss das Stück wohl nehmen wie es ist: als eine Art Bühnen-Märchen mit Wunder-Bonus und kleiner Pointe am Schluss wie hier.

    Nur etwas spannender dürfte es dabei schon sein.