Die Bühne ist leer. Nur ein großer, runder, blasser Vollmond ist zu sehen. Davor ein Flügel. Nicht irgendeiner, sondern einer von der Firma Grotrian, baugleich dem, den Clara Schumann in ihren letzten Lebensjahren besessen hat. Das besondere Instrument konnte Ragna Schirmer vor einigen Jahren erwerben. Er ist das haptische Bindeglied zwischen Clara und ihr.
Kein rein biografisches Bühnenstück
"Ich habe vor circa 25 Jahren bestimmt angefangen, ihre Kompositionen zu spielen, mich mit dem Leben von Robert und Clara zu beschäftigen, habe meine Diplomarbeit über dieses Thema geschrieben, bin mittlerweile sogar Lektorin beim Bärenreiter-Verlag für die Fingersätze von Clara Schumann."
"Es ist einfach so: Ragna ist eine Berufspianistin, eine erfolgreiche. Und Clara Schumann war eine Berufspianistin, eine erfolgreiche. Und das ist natürlich interessant für mich," sagt Christoph Werner, der als Autor das Stück gemeinsam mit Ragna Schirmer entwickelt hat.
"Wir haben eigentlich erstmal überlegt: Wie kann man sich abheben von den sehr vielen biografischen Theaterstücken, die es ja schon gibt zu dem Thema. Wir wollen jetzt nicht das ganze Leben von Clara abbilden, wollen auch kein belehrendes Theater machen, sondern es soll eher auf bestimmte Aspekte Wert gelegt werden."
"Nach langem Hin- und Herüberlegen haben wir uns entschieden, Clara Schumann am Abend ihres letzten öffentlichen Konzertes zu zeigen und natürlich ist das so ein Brennglasmoment für jemanden, der mit neun sein erstes Konzert gibt und mit 71 das letzte. Das ist ihr ganzes Leben, von dem sie hier Abschied nehmen muss in diesem Moment."
Clara Schumanns letztes Konzert
Dieses letzte Konzert fand am 12. März 1891 im Saal von Dr. Hochs Konservatorium in Frankfurt am Main statt - dort wo Clara Schumann seit 13 Jahren als eine der ersten Klavierprofessorinnen der Musikgeschichte angestellt war. Über den äußeren Ablauf wissen wir wenig. Aber, so betont Ragna Schirmer, der Programmzettel ist erhalten. Und der enthält einige spannende Details.
"Interessant, dass sie zum Beispiel nur die sechste der Haydn-Variationen von Brahms gespielt hat, die ja nur anderthalb Minuten dauert. Auf dem Programmzettel steht dann eben nur 'Nummer 6'. Und da haben wir uns natürlich jetzt Gedanken drüber gemacht: Wie könnte sowas entstanden sein? Man weiß, sie hat Schmerzen in den Händen gehabt. Man weiß, sie hat vorher auch immer schon über die schwächer werdenden körperlichen Kräfte geklagt."
"Ich bin auf die Welt gekommen, um Klavier zu spielen, mehr kann ich nicht!"
So hadert die betagte Clara auf der Bühne mit ihrem Schicksal, verkörpert durch eine lebensecht gestaltete Puppe, die von der Schauspielerin Ines Heinrich-Frank hervorragend geführt und mit Stimme versehen wird. Langsam entsteht so ein fesselndes Psychogramm einer Frau, die mit dem nahen Tod kämpft, so wie sie auch ihr Leben lang immer kämpfen musste.
"Das Puppenspiel erfordert ja vom Zuschauer ein sehr aktives Sehen," sagt Ragna Schirmer.
"Das heißt, die Puppe hat keine Mimik, aber sie bewegt sich. Und der Zuschauer ergänzt das, was er fühlt durch bestimmte Hirnaktivitäten – das ist ja sogar erforscht."
Kino im Kopf und Scherenschnitt
Das Kino im Kopf wird durch Projektionen an der Rückwand der Bühne weiter angeregt. Claras Reisen durch Europa erscheinen da, mittels einer in Scherenschnitt-Technik gestalteten Pferdekutsche, die sich schnell und gleichförmig bewegt. Eine Reminiszenz an die Laterna Magica, das beliebteste Spielzeug in den Wohn- und Kinderstuben der Biedermeierzeit. Im Gespräch mit ihrer Tochter Marie, die sie im Alter ständig begleitet hat, und mit dem Veranstalter des Konzerts, dem heute vergessenen Pianisten James Kwast berichtet Clara Schumann über ihr Leben. Unterdessen erscheinen zwei für Clara prägende Männergestalten: der Vater Friedrich Wieck und natürlich der Ehemann Robert Schumann.
Der Schauspieler Lars Frank verkörpert beide in der klassischen Form der Pantomime. Mit der jeweiligen Maske vorm Gesicht – gestaltet von Louise Nowitzki, die auch die Puppe Clara entworfen hat - bewegt er sich selbst tapsig wie eine Puppe. Das hat etwas Burleskes, das die Szenerie ungemein lebendig macht. Friedrich Wieck erscheint mit dem typischen hölzernen Werkzeugkoffer des Klavierbauers. Ab und an geht er zum Flügel und schraubt daran herum, aber nicht ohne Pianistin Ragna Schirmer abwechselnd ins Genick und auf den Rücken einen Klaps zu geben, nach dem Motto: "Haltung, mein Kind". Robert Schumann dagegen entsteigt als grausiges Phantom seinem Grab, und zwar immer in den Momenten, in denen Clara mit ihrem Schicksal hadert. Das Ganze erinnert an Schaueropern der Romantik, etwa an den "Vampyr" vom Schumann-Zeitgenossen Heinrich Marschner. Clara Schumanns Tochter Marie versucht, den Spuk zu bannen - erfolglos.
Marie schreit: "Papa ist tot! Tot, tot, tot!" – Clara: "Er ist nicht tot, er wird immer lebendiger!" – Marie: "Unsinn!"
Ragna Schirmer zeigt viel Spielfreude
Harmlos und zugleich diabolisch blickt das Phantom Robert Clara an, als wollte es sagen: Du bist mir noch etwas schuldig. Und Pianist und Konzertimpresario Kwast verstärkt dieses Schuldgefühl, in dem er Clara, die kurz davor ist, das Konzert abzusagen, Vorwürfe macht.
Kwast: "Kümmern sie sich nicht um uns. Genauso wie sie sich nicht um das Genie ihres Mannes gekümmert haben, als er zwei Jahre lang in der Nervenheilanstalt in Endenich verrottet ist!" Marie: "Das ist doch die Höhe!" Clara: "Raus!"
Pianistin Ragna Schirmer ist mit ihrem brillanten und überaus nuancierten Klavierspiel ganz Teil der Bühne, wird immer wieder in die Szenerie eingebunden und zeigt auch hier absolute Spielfreude. Das Stück endet damit, dass Clara auf die Bühne gerufen wird und ihr letztes Konzert beginnt. Damit endet diese knapp anderthalb Stunden lange kurzweilige und intelligente Produktion. Ein Mann kommt - das mag überraschen – übrigens nicht leibhaftig darin vor: Johannes Brahms.
"Brahms war für Clara eine ganz wichtige Stütze, als Robert Schumann in Endenich war", betont Ragna Schirmer.
"Danach – als Robert gestorben war – hat sie sich entschieden, Witwe zu sein. Und darunter muss Brahms auch sehr gelitten haben. Was die jetzt wirklich miteinander hatten und wie weit das gegangen ist – das, ehrlich gesagt, interessiert mich nicht. Man soll ihr da ihre private Sphäre lassen, sie hat bewusst die Briefe vernichtet und ihn auch gebeten, die Briefe zu vernichten, dafür wird sie Gründe gehabt haben."
"Sie scheint ja jemand gewesen zu sein, der komplizierte Beziehungen mochte", sagt der Autor des Stücks Christoph Werner und erklärt anhand einer realen Begebenheit, warum er Brahms nicht auftreten ließ:
"Als sie im Sterben liegt, steigt Brahms in den Zug und fährt in die falsche Richtung! Weil er so aufgeregt ist, steigt er in den falschen Zug und dann merkt er es und fährt zurück und dann ist es zu spät."
Die berühmteste Witwe des 19. Jahrhunderts – im Stück von Christoph Werner und Ragna Schirmer wird sie zu dem, was sie wirklich war: eine enorm beeindruckende Persönlichkeit, die Musikgeschichte geschrieben hat.