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Bündnispartner
Belastetes Verhältnis zwischen NATO und der Türkei

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan drohte den USA zuletzt mit einer "osmanischen Ohrfeige", weil US-Truppen in Syrien die Kurdenmiliz YPG unterstützen. Das Verhältnis der NATO mit Bündnispartner Türkei ist inzwischen durch zahlreiche Themen belastet. Eine Entspannung ist nicht in Sicht.

Von Kai Küstner |
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem NATO-Treffen in Brüssel im Mai 2017.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem NATO-Treffen in Brüssel im Mai 2017. (AFP/ Thierry Charlier)
    Erst die Entlassungswelle in der türkischen Offiziers-Riege nach dem vereitelten Putsch, dann der offen ausgetragene Streit mit Berlin, zuletzt das Zerwürfnis mit den USA wegen der Offensive Ankaras gegen die Kurden in Nordsyrien – es gibt eigentlich auch so schon genug Themen, mit denen die Türkei die Nerven beim Militärbündnis NATO strapaziert. Eines, über das man im Brüsseler Hauptquartier aber ganz besonders ungerne redet, ist der S400-Raketen-Deal. Zwei Batterien von Luftabwehrraketen hat das NATO-Mitglied Türkei lieber in Moskau bestellt als bei westlichen Partnern. Eine Shopping-Tour mit Folgen:
    "Das bedeutet, dass sie dann 100 oder 200 russische Berater in türkischen Militärstützpunkten sitzen haben neben türkischen Luftwaffen-Offizieren, die für die NATO arbeiten. Das alleine ist schon unglaublich", erklärt der ehemalige Botschafter der EU in der Türkei, Marc Pierini.
    Eine absurde Situation
    Dass die russischen Raketen nicht mit NATO-Technologie gekoppelt werden können, versteht sich von selbst. Darüber hinaus aber stammen sämtliche Militärjets der Türkei aus den USA. Wollte die NATO also verhindern, dass wichtige Informationen, wie man Luftabwehrsysteme auszutricksen gedenkt, an Moskau gehen, müsste man theoretisch den Bündnis-Partner Türkei vom Informationsfluss abschneiden. Eine absurde Situation.
    Pierini: "Wenn der Verkauf aber besiegelt ist, wird der echte Test darin bestehen, ob US-Präsident Trump Sanktionen in Kraft setzt."
    Die USA, erklärt Pierini, könnten ja theoretisch Strafmaßnahmen gegen russische Exporte verhängen. Nichts scheint undenkbar angesichts des Zustands völliger Zerrüttung, in dem sich die Beziehungen Ankara-Washington befinden: Mit einer "osmanischen Ohrfeige" drohte diese Woche Präsident Erdogan den US-Truppen in Syrien, sollten die weiter ihre kurdischen Verbündeten unterstützen. NATO-Partner, die sich sozusagen Auge in Auge gegenüber stehen, seien ganz im Interesse Moskaus, meint Türkei-Kenner Pierini (bei der Denkfabrik Carnegie Europa):
    Pierini: "Die Türkei ist für Russlands Präsident Putin ein sehr interessantes Werkzeug, um die NATO zu untergraben."
    Stoltenberg hält sich mit scharfer Kritik zurück
    Mit beißender Kritik hält sich indes die Militär-Allianz an ihrem strategisch so extrem wichtigen Bündnis-Partner Türkei naturgemäß zurück: Gerade Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte sich in der Vergangenheit stets hinter den Kulissen als Vermittler betätigt, auch als die Türkei und die Deutschen aneinandergerieten – eine Rolle, die er offenbar nicht durch zu scharfe Rhetorik gefährden will. So forderte Stoltenberg zwar, Ankara möge die NATO-Partner über die Offensive auf dem Laufenden halten, griff aber ansonsten auf seine Standardsätze zu dem Thema zurück:
    Stoltenberg: "Die Türkei hat legitime Sicherheits-Sorgen. Kein NATO-Alliierter hat mehr unter Terror-Angriffen gelitten als die Türkei. Natürlich hat das Land das Recht, sich mit diesen Sicherheits-Bedenken zu befassen. Aber es sollte das in einer angemessenen und maßvollen Weise tun."
    In jedem Fall ist klar: Nicht nur, weil die Türkei in Syrien eine Art Zweckehe mit Russland eingegangen ist, wächst die Sorge um den schwierigen Verbündeten innerhalb der NATO. Verlieren will man ihn nicht, verbannen kann man ihn ohnehin nicht – das sehen die NATO-Regularien gar nicht vor. Also bleibt nur eins: der Versuch, irgendwie miteinander auszukommen. So unbefriedigend diese Beziehung auch derzeit sein mag.