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Bürgerbühne Rostock
Reproduktion! - und Reinstallation?

Die Bürgerbühne ist en vogue in der deutschen Theaterszene. Auch der neue – und inzwischen entlassene - Intendant des Rostocker Volkstheaters, Sewan Latchinian, stand der Idee offen gegenüber. Seit Herbst vergangenen Jahres gibt es die Bürgerbühne in der Stadt, jetzt feiert sie Premiere – mit einem Stück, das auch den unrühmlichen Rauswurf Latchinians aufgreifen soll.

Von Silke Hasselmann |
    Volkstheater Rostock. Probe für "ReProduktion". Es ist eine ideenreiche Collage aus nachgestellten Interviews und Behandlungsprotokollen. Jeder der acht Laiendarsteller erzählt eine eigene Geschichte, und jeder schlüpft einmal singend in eine andere Rolle - als biologische Uhr, Mutterpass, als tiefgekühlter Embryo oder Supermutter.
    "Ich bin die Supermutter. Ich habe Kraft. Ich habe Energie. Ich bin die Supermutter. Je mehr, desto besser. Multitasking ist kein Problem."
    "Ich bin Tobias Rausch und habe hier die Bürgerbühne initiiert. Wir wollten mit dem ersten Projekt ein Zeichen setzen, dass die Bürgerbühne tatsächlich ein Projekt ist, das quasi für die ganze Stadt gedacht ist. Das Thema Reproduktion, Fortpflanzung, Kinderkriegen, Elternsein - das ist ein Thema, mit dem sich jeder irgendwann in irgendeiner Form beschäftigt, und sei es, dass er sich entscheidet, dass er keine Kinder haben will. Das fanden wir interessant einmal zu untersuchen."
    Köstlich die Samenspender-Szene: Zwei Darsteller betreten wiegenden Schrittes die Bühne. Cowboystiefel, Cowboyhut und zwei riesige, dunkelrosa Bällen vor dem Unterleib. Der Typ hat Eier. Voller Spermien. Begehrt bei Lesben, die schwanger werden wollen.
    "Ich habe mich gefragt: Was sind meine Spermien wert? Äh, mit Sex oder ohne Sex? Äh, man hatte Gewissensbisse, man hatte Bedenken, ob das richtig ist, was man tut. Vielleicht braucht das Kind mich später."
    "Ich bin Christoph Krause aus Rostock. Eigentlich bin ich Projektentwickler bei einem Bauträger. Ich bin an der Entwicklung von Wohngebäuden beteiligt."
    Christoph Krause ist auch alleinerziehender Vater; davon erzählt er in seiner persönlichen Solo-Szene. An anderer Stelle mimt er einen weißbekittelten Anbieter von Fortpflanzung durch künstliche Befruchtung. "ReProduktion": das sind gut zwei Stunden lang wenig Aktion, dafür viel Text, oft synchron gesprochen - und das gelingt überraschend gut. Überhaupt kommt weder ein Gefühl von Langeweile auf noch von Ablenkung, weil man mit den Laiendarstellern durch den Text fiebern müsste.
    Dabei ist die Stimmung am Haus gedrückt, denn der Hauptausschuss der Rostocker Stadtvertretung hatte kürzlich entschieden, Intendant Sewan Latchinian nach sieben Amtsmonaten zu feuern. Latchinian, der einst die Bürgerbühnen-Idee von Tobias Rausch aufgegriffen hatte, darf nun wegen des Hausverbotes weder Proben noch Premiere sehen. Dazu die 20-jährige Studentin Anne Specht:
    "Vor allem weil er der Initiator war, dass Rostock eine Bürgerbühne bekommt – deswegen ist es schwierig und sehr traurig, dass er ´ne Woche vor der Premiere gegangen ist."
    Latchinian hofft auf Wiedereinstellung
    Sewan Latchinian sitzt in einem Restaurant am Warnow-Ufer und sagt, er sei mit sich im Reinen. Seine Gegner seien stets einer gemeinsamen Strukturdebatte um Mecklenburg-Vorpommerns Theaterlandschaft aus dem Weg gegangen. Vor allem der Landeskultusminister und der Rostocker Oberbürgermeister hätten ihn, den wehrhaften Intendanten, schnell wieder loswerden wollen.
    Doch warum lieferte er ihnen dafür die Vorlage? Noch nie um dramatische Bilder und Übertreibungen verlegen, hatte Sewan Latchinian Anfang März öffentlich "die Zerstörung funktionierender Theaterstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern" verglichen mit der Zerstörung jahrtausendealter Weltkulturstätten durch die Terrormiliz Islamischer Staat.
    "Wie das so ist mit Vorwänden: Wenn es der eine Vorwand nicht gewesen wäre, wäre es ein anderer geworden. Aber ich freue mich, dass die Diskussion in Gang gekommen ist und möglicherweise die zwei Sparten in Rostock nicht abgeschafft, sondern gerettet werden können. Und der Fakt, dass die Bürgerschaft eine Sondersitzung erzwingt, mit der die Entscheidung über die Entlassung des Intendanten noch einmal rückgängig gemacht werden soll, ist an sich schon Ausdruck dieser Diskussion."
    Unterstützt fühlt sich Sewan Latchinian durch viele wohlwollende Leserbriefe in der Regionalpresse, durch Solidaritätsbekundungen auf der Straße und aus der bundesdeutschen Theaterszene. Vor allem hofft er, dass sich kommenden Dienstag eine Mehrheit im gesamten Stadtparlament findet, die seine Wiedereinstellung erzwingt.
    Er würde die Arbeit als Intendant, Regisseur und Schauspieler am Rostocker Volkstheater jedenfalls sofort wieder aufnehmen, und auch die Akteure der Bürgerbühne fänden das gut. Werden sie bei der Premiere von "ReProduktion" am Samstag Bezüge zum aktuellen Geschehen herstellen? Erik Raab von der Pressestelle sagt:
    "Also, das ist eine spannende, ´ne schwierige Frage, denn ist Teil des Konzepts, dass sehr viel gesprochen wird miteinander. Ich weiß, dass die Bürgerbühnler, also die Perfomer - die möchten es. Die wollen das thematisieren, und wir schauen jetzt, wie wir das künstlerisch auf den letzten Metern noch unterbringen."