Ob Sozialhilfe, Hartz IV oder Bürgergeld. Der Wille zum politischen Streit setzt sich immer weiter fort. Diesmal sind es gleich zwei Faktoren, die für Aufregung sorgen. Da ist zum einen die ab Januar vorgesehene Anhebung der Regelsätze, die um zwölf Prozent steigen werden.
Darin sehen einige schon den Anreiz zur Arbeitsverweigerung, weil zusammen mit den übernommenen Kosten für Wohnung und Heizung, Langzeitarbeitslose fast genau so viel Leistungen erhalten wie andere Menschen im Niedriglohnbereich, die 38 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten müssen.
Das stelle das Lohnabstandsgebot infrage, weshalb etwa die Union eine mindestens gemeinnützige Arbeitspflicht fordert und das im neuen Grundsatzprogramm verankern will.
Niedriglohnsektor ohne Lohnabstandsgebot
Auf der anderen Seite stellen die Verfassungsrichter in Karlsruhe immer wieder unmissverständlich klar, dass der existenznotwendige Bedarf stets gedeckt sein muss. Das Bürgergeld oder die Sozialhilfe muss demnach die allgemeinen Preissteigerungen immer wieder nachvollziehen, um das auch zu gewährleisten. Die Anhebung ab dem kommenden Jahr vollzieht das faktisch nur nach.
Der politische Streit über die Leistungen und das Lohnabstandsgebot ist also müßig und deutet eher darauf hin, dass man hierzulande in dem zurückbleibenden Jahrzehnt mit der geringen Inflation auch sehr gut mit einem Niedriglohnsektor zurechtgekommen ist, der das Lohnabstandsgebot auch nicht infrage gestellt hat.
Fehlende Kinderbetreuung verhindert Arbeitsaufnahme
Jetzt hinkt die Lohnentwicklung aber der Preisentwicklung hinterher, sodass selbst der höhere Mindestlohn keine Garantie für das Abstandsgebot mehr bietet, weil die Kosten für Wohnen und Heizen vielerorts explodiert sind.
Dadurch steigen auch die Ausgaben für das Bürgergeld im laufenden Jahr erheblich an, weshalb die Haushälter über drei Milliarden Euro mehr auf den Tisch legen müssen, ohne dem politisch irgendwie begegnen zu können.
Die Flüchtlinge aus der Ukraine mit dem unmittelbaren Anspruch auf das Bürgergeld verschärfen das Problem zusätzlich. Aber neben der Sprache bilden hier einmal mehr die langwierige Anerkennung der Berufe und die fehlende Kinderbetreuung die größte Hürde für die Arbeitsaufnahme.
Aber alle, die wieder einmal von der Arbeitspflicht träumen, unterschlagen dabei das größte Problem, das mit der Reform des Bürgergeldes eigentlich erstmals konkret angegangen werden sollte.
Hauptproblem: Versagen bei Bildung
Zwei Drittel der arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen haben keinen Berufsabschluss. Und da ist das Bürgergeld mit den neu eingeführten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten ganz nüchtern betrachtet nur der Reparaturbetrieb für das Versagen an anderer Stelle.
Wer pro Jahr über 50.000 Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss ins Erwachsenenleben entlässt, darf sich nicht wundern, wenn danach mit steigenden Kosten, deren Existenzminimum finanziert werden muss.
Kürzungen von Leistungen und der Zwang zur gemeinnützigen Arbeit lösen dieses Problem nicht. Das aber scheint die Union nicht zu stören.