Stimmt das?
Politiker-Aussagen zum Bürgergeld - und was dahinter steckt

Über das Bürgergeld wird oft diskutiert. Politiker kritisieren etwa, dass Arbeit sich nicht mehr lohne. Tatsächlich stehen viele Empfänger dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung. Wir prüfen, was an den gängigsten Behauptungen dran ist.

    Das Wort "Bürgergeld" steht auf einer geöffneten Glastür
    Zum Thema Bürgergeld gibt es viele Debatten. (picture alliance / Zoonar / Smilla72!)
    Das Bürgergeld ersetzt seit 2023 Hartz IV und bietet besseren Schutz bei Arbeitslosigkeit. Ersparnisse und Wohnkosten sind länger abgesichert, und es gibt mehr Unterstützung für Weiterbildungen. Es unterstützt Menschen, die arbeitslos sind oder nicht genug verdienen. Man erhält es in der Regel nach einem Jahr Arbeitslosengeld. Die Regelsätze für das Bürgergeld wurden 2024 um zwölf Prozent erhöht.
    Seit der Einführung gibt es immer wieder Diskussion um die Höhe und den Anspruch auf die Sozialleistung, vor allem Politiker sorgen für Debatten. So erwog etwa FDP-Chef Christian Lindner, ukrainischen Geflüchteten den Bürgergeld-Anspruch zu entziehen. Und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprach sich dafür aus, das Bürgergeld für sogenannte Totalverweigerer zu streichen. Auch AfD und CSU üben Druck aus. Wir prüfen die Aussagen.

    Inhalt

    Behauptung: Bürgergeld-Beziehende wollen nicht arbeiten

    Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen.

    CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (Juli 2024, Funke-Mediengruppe)
    Die Fakten: In Deutschland erhalten etwa 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. 1,8 Millionen davon sind Kinder und Jugendliche. Über 2 Millionen sind aus anderen Gründen nicht für Arbeit verfügbar - wie gesundheitlichen Problemen oder fehlender Betreuung für Kinder. Etwa 800.000 Menschen davon arbeiten allerdins durchaus, brauchen aber zusätzliches Geld vom Staat, um ihren Lebensunterhalt zu sichern (Aufstocker).
    Rund 1,7 Millionen sind arbeitslos und könnten prinzipiell arbeiten. Die meisten von ihnen haben jedoch keine ausreichende Ausbildung oder gesundheitliche Probleme, die eine Arbeitsaufnahme erschweren. Arbeitgeber scheuen oft das Risiko, diese Menschen einzustellen, und wenn doch, endet die Beschäftigung häufig schnell wieder.
    Nur ein kleiner Teil missbraucht das System und verweigert die Arbeit: 16.000 Menschen, das sind gerade einmal 0,4 Prozent aller Bürgergeldbeziehenden.
    Das Bild zeigt ein Diagramm, das die Zusammensetzung der Bürgergeld-Empfänger in Deutschland darstellt.
    Wer in Deutschland Bürgergeld bezieht (Deutschlandradio/Andrea Kampmann)
    Die Reformen zum Bürgergeld zielen darauf ab, den Empfängern nicht nur irgendeine Arbeit, sondern eine Perspektive auf langfristige Beschäftigung zu bieten. Der Druck, sofort eine Stelle anzunehmen, wurde reduziert, um den Betroffenen mehr Zeit für Qualifizierung und die Suche nach passender Arbeit zu geben. Das soll sowohl den Menschen, den Unternehmen als auch dem Sozialstaat helfen, betont DIW-Präsident Marcel Fratscher in seinem Blog.

    Behauptung: Es lohnt sich eher Bürgergeld zu beziehen als zu arbeiten

    Das Bürgergeld ist so hoch, dass es sich kaum mehr lohnt zu arbeiten.

    Bayerns Ministerpräsident Marcus Söder, CSU (September 2023, ARD)
    Die Fakten: Bürgergeldbeziehende leben unter der Armutsgrenze. Ein alleinstehender Erwachsener erhält seit Anfang 2024 563 Euro im Monat.
    Ein einfacher Vergleich zeigt: Eine alleinstehende Person, die Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, hat deutlich mehr Geld (über 500 Euro mehr) zur Verfügung als jemand, der Bürgergeld bezieht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat errechnet, dass der Vollzeit-Arbeitnehmer bei einer 38-Stunden-Woche 1.515 Euro netto zur Verfügung hat, während der Bürgergeld-Empfänger 995 Euro erhält. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) bestätigt diese Zahlen.
    Bei Familien sind es in der Regel noch ein paar hundert Euro mehr - je nach Alter der Kinder, hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für das ARD-Magazin Monitor analysiert.
    „Die von manchen Politikern aufgestellte Behauptung, wer nur Sozialleistungen beziehe, bekomme netto mehr als ein Geringverdiener, ist schlicht falsch“, sagt Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Studien, darunter eine des ifo Instituts.
    Zu den weiteren Sozialleistungen zählen etwa Wohngeld, Kindergeld oder Kinderzuschlag. Demnach hat jemand, der arbeitet und alle Sozialleistungen in Anspruch nimmt, immer mehr verfügbares Einkommen als jemand, der nicht arbeitet und nur Sozialleistungen bekommt. Der Grund dafür: Erwerbstätige können Freibeträge bei der Anrechnung von Einkommen auf die Sozialleistungen nutzen. Wer arbeitet, erwirbt zudem auch Rentenansprüche.

    Behauptung: Bürgergeld zieht Migranten an

    62 Prozent der Familien im Bürgergeldbezug haben keinen deutschen Pass. Ihr Bürgergeld ... ist ein Migranten-Geld, ein Einwanderungsmagnet.

    Alice Weidel, Co-Parteichefin der AfD (November 2023 im Bundestag)
    Die Fakten: Die Zahl bezog sich auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Juni 2023. Darin heißt es, dass von den damals 3,93 Millionen Bürgergeld-Beziehern 2,46 Millionen einen Migrationshintergrund hatten - das sind die zitierten 62 Prozent. Darunter fallen allerdings auch Kinder, ältere Menschen oder kranke Menschen.
    Unter die Kategorie "Menschen mit Migrationshintergrund" definiert die Agentur für Arbeit aber auch deutsche Bürger, von denen der Geburtsort mindestens eines Elternteiles außerhalb Deutschlands liegt mit einer Zuwanderung nach 1949. Also auch Menschen mit deutschem Pass.
    Unstrittig ist, dass der Anteil der Bürgergeld-Empfänger bei Personen mit Migrationshintergrund höher ist als bei jenen ohne. Kritiker betonen das oft. Allerdings sind im letzten Jahrzehnt viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen - darunter über 1,1 Millionen ukrainische Geflüchtete, die ohne ein aufwändiges Asylverfahren sofort Bürgergeld beziehen dürfen. Asylbewerberinnen haben hingegen keinen Anspruch auf das Bürgergeld, sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und damit weniger als Bürgergeld-Empfänger.
    Im März 2024 waren 722.000 Ukrainer im Bürgergeld, davon allerdings 200.000 Kinder und 320.000 in Ausbildung oder Aufstockende. 186.000 waren arbeitslos. Diese Zahlen sind kleiner als oft behauptet und zeigen, dass die Mehrheit der Geflüchteten arbeiten und sich integrieren möchte.
    Es ist zudem nicht belegt, dass Sozialleistungen wie das Bürgergeld Menschen nach Deutschland locken. Experten betonen, dass Migration viele Ursachen hat. Die Gründe für Migration primär in ökonomischen Anreize zu suchen, sei zu simpel, schreibt auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Analyse.

    Behauptung: Schärfere Sanktionen bei Arbeits-Verweigerern sorgen für höhere Quote bei der Arbeitsvermittlung

    Wer arbeiten kann, Arbeitsangebote jedoch nicht annimmt, der muss hier in Deutschland stärker sanktioniert werden.

    Reiner Haseloff, Ministerpräsident Sachsen-Anhalt, CDU (Juni 2024, Volksstimme)
    Wer Bürgergeld bezieht, muss mit Sanktionen rechnen, wenn Arbeit abgelehnt oder Termine beim Jobcenter versäumt werden. Anfang Oktober 2024 hat sich die Bundesregierung auf schärfere Regeln geeinigt. Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahmen ohne triftigen Grund ablehnt, muss demnach künftig unmittelbar mit Leistungskürzungen von 30 Prozent für drei Monate rechnen. Für den Weg zur Arbeit gelten bis zu drei Stunden Pendeln als zumutbar.
    Mit Kürzungen von 30 Prozent, statt bisher zehn Prozent, für einen Monat muss zudem künftig rechnen, wer Termine im Jobcenter ohne einen wichtigen Grund nicht wahrnimmt. Auch Schwarzarbeit soll härter sanktioniert werden.
    Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung untersucht die Wirkung von Sanktionen auf die Arbeitsvermittlung, allerdings basierend auf Daten aus den Jahren 2012 bis 2015, also vor der Einführung des Bürgergeldes. Sie zeigt, dass gelegentliche Sanktionen die Vermittlungsquote verbessern können, während zu strenge Sanktionen oft zu schlechteren Arbeitsplätzen und sinkendem Einkommen führen. Daher wird ein moderater Ansatz empfohlen.

    ...dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden.

    CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (Juli 2024, Funke-Mediengruppe)
    Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 entschieden, dass härtere Sanktionen strengen Anforderungen entsprechen müssen. Es müssen verlässliche Prognosen vorhanden sein, um sicherzustellen, dass die Sanktionen auch den gewünschten Effekt haben. Das Existenzminimum in Deutschland müsse zu jeder Zeit gesichert sein. Eine hundertprozentige Streichung von Leistungen ist nicht mit der Verfassung vereinbar.

    Behauptung: Das Bürgergeld ist zu hoch und für den Staat zu teuer geworden

    Angesichts der Inflationsentwicklung fällt das Bürgergeld aktuell 14 bis 20 Euro im Monat zu hoch aus.

    Christian Dürr. FDP-Fraktionschef (August 2024, Bild-Zeitung)
    Die Fakten: Der Regelsatz für das Bürgergeld wurde im Januar 2024 um 12 Prozent erhöht. Das ist mehr als die aktuelle Inflationsrate von 2,2 Prozent. Trotzdem hält das Bürgergeld nicht immer mit der Inflation Schritt, da die Anpassungen verzögert erfolgen. Zwischen 2021 und 2023 hatten Bürgergeld-Empfänger starke Kaufkraftverluste - vor allem für die hohen Preise für Lebensmittel und Energie - die selbst durch die Erhöhungen in 2023 und 2024 nicht vollständig ausgeglichen wurden. Eine Analyse der Ökonomin Irene Becker im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbands kommt zu dem Schluss, dass die jüngste Erhöhung nur einen Teil der Verluste ausgleicht und nicht ausreicht, um Schulden abzubauen.
    Im Jahr 2023 gab die Bundesagentur für Arbeit rund 42,6 Milliarden Euro für das Bürgergeld aus. Das sind weniger als sieben Prozent des gesamten Bundeshaushalts von 613,9 Milliarden Euro.

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    Verglichen mit anderen Ländern gibt Deutschland insgesamt nicht besonders viel für Sozialleistungen aus und diese haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch nicht überdurchschnittlich entwickelt. Eine Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zeigt, dass der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt 2019 bei 26,7 Prozent lag, was im Mittelfeld liegt. Länder wie Frankreich und Italien geben mehr als 30 Prozent aus.

    og, Faktencheck-Unit