Es war ein hitziger Abend in Chemnitz. Neben Applaus gab es auch Pfiffe und Buhrufe an die Adresse von Ministerpräsident Michael Kretschmer, CDU, und die sozialdemokratische Oberbürgermeisterin von Chemnitz Barbara Ludwig.
Im Mittelpunkt der Diskussion stand bei vielen Teilnehmern der Schock über den Tod eines 35-Jährigen und der Frust darüber, nach den Demonstrationen von Sonntag und Montag als Nazis bezeichnet zu werden.
"Natürlich ist die Demonstration von irgendwelchen Nazis missbraucht worden, aber wir können doch nicht so tun, als wären die ganzen Bürger, die ihren Unmut ausgedrückt haben, auch alle Nazis und Rassisten. Das ist das Problem."
Kretschmer: Chemnitzer dürfen nicht in die Opferrolle schlüpfen
Auf der Demonstration am Montag wurde mehrfach der Hitlergruß gezeigt, es gab zudem mehrere Verletzte sowohl bei der Demonstration von Pro Chemnitz als auch bei den Gegendemonstranten.
Ministerpräsident Kretschmer versuchte es mit einer Doppelstrategie. Er sagte in seinem Eingangsstatement, dass er sich dafür einsetzen werde, dass Chemnitz nicht pauschal als rechts oder braun dargestellt werde. Der Christdemokrat appellierte aber auch an die Chemnitzer Bürger, genau hinzuschauen, mit wem sie demonstrierten.
"Aber man muss auch sagen, wenn eine Kundgebung stattfindet, von denen dann die Bilder übermittelt werden, auch wenn es nur wenige sind, die den Hitlergruß zeigen, dann ist es schlecht, meine Damen und Herren, dort dabei zu sein. Dann ist es an der Zeit zu sagen, mit denen haben wir nichts zu tun, wir suchen einen anderen Ort und den wollen wir miteinander schaffen."
Die Chemnitzer dürften jetzt nicht in die Opferrolle schlüpfen, sondern müssten sich beteiligen, so die Aufforderung des Ministerpräsidenten.
Vor der Halle: rund 1.000 Demonstranten
Über 500 Bürgerinnen und Bürger waren der Einladung zum Dialog gefolgt, mit Kretschmer waren mehrere Kabinettsmitglieder in Chemnitz. Es ging viel, aber nicht nur um den Mord und die anschließenden Demonstrationen. Manchem brannte die schlechte Verkehrsanbindung der drittgrößten sächsischen Stadt unter den Nägeln oder die stockende Schulsanierung.
Eigentlich war es ein lang geplanter Termin, doch angesichts der aktuellen Entwicklungen in Chemnitz bekam das sogenannte "Sachsengespräch" besondere Brisanz.
Im Anschluss blieb ein gemischtes Fazit bei den Teilnehmern:
"Es wurde dann wieder alles schön geredet."
"Unmöglich, wir waren nur der Mob, die Chemnitzer waren nur der Mob, das geht doch nicht, die normalen Bürger"
"Also anfänglich muss ich sagen, in dieser Vorstellungsrunde, war es recht aggressiv im Publikum. Das fand ich ziemlich erschreckend. Da dachte ich, das wird niemals ein Dialog."
Vor der Halle demonstrierten knapp 1.000 Personen aus dem rechten Spektrum gegen den Bürgerdialog. Die Anmeldung erfolgte durch "Pro Chemnitz", die schon die Demonstration am Montag verantwortet hatten. Die Polizei registrierte acht Straftaten, darunter auch das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen.
Beamter wegen Haftbefehl-Leak suspendiert
Unterdessen gibt es Klarheit darüber, wer den Haftbefehl über einen der mutmaßlichen Täter von Sonntagnacht an rechte Internetseiten durchgestochen hat. Ein Justizvollzugsbeamter aus Dresden stellte sich der Polizei. In einem Statement, das er über seinen Anwalt verbreiten ließ, sagte der Beamte, dass er nicht wolle, dass die Medien Manipulationen über die Tat verbreiten könnten.
Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow: "Das ist das Handeln einer kriminellen Person, hier hat jemand eine Kopie gefertigt, er hat das abfotografiert und das der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Entgegen seiner Verpflichtung als Beamter sich loyal und rechtstreu zu verhalten."
Der Beamte wurde vom Dienst suspendiert. Heute kommt Familienministerin Franziska Giffey kurzfristig nach Chemnitz. Die Sozialdemokratin hat ihr Besuchsprogramm verändert und trifft sich mit Engagierten, außerdem legt sie Blumen am Ort der Messerstecherei nieder und spricht mit der Oberbürgermeisterin von Chemnitz, Barbara Ludwig.
Obwohl sich viele eine Mäßigung wünschen – das wurde an diesem Abend klar, kommt die Stadt nicht zur Ruhe. Für Samstag haben die AfD und Pegida zu einer neuerlichen Demonstration aufgerufen. Am Sonntag wollen die Kirchen ein Zeichen für ein friedliches Zusammenleben setzen.