Peter Sawicki: In einem Waldstück zwischen Köln und Aachen stehen die Zeichen offenbar auf Sturm. Der Energiekonzern RWE möchte im Hambacher Forst ab Oktober Bäume roden - das Ziel ist, weitere Braunkohle zu gewinnen. Der Konzern sieht sich im Recht, auf der anderen Seite wollen Aktivisten und Bürgerinitiativen den Rest des Waldes bewahren. Seit gestern räumt die Polizei Barrikaden im Wald aus dem Weg, was die Stimmung noch mehr anheizt. Für heute ist der Einsatz beendet, und es stellt sich die Frage, welchen Ausweg kann es aus der Situation noch geben. Das fragen wir jetzt Andreas Büttgen. Er wohnt im Kerpener Ortsteil Buir in der Nähe des Hambacher Forstes, und er leitet die Initiative "Buirer für Buir" und ist dabei auch in Kontakt mit Aktivisten und Baumbesetzern im Wald. Guten Tag, Herr Büttgen!
Andreas Büttgen: Schönen guten Tag!
Sawicki: Nun ist vor einer Stunde ungefähr folgende Mitteilung eingegangen bei uns: Laut dem Oberverwaltungsgericht Münster hat RWE, der Konzern, eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben, und es heißt darin, die Entscheidung der Richter über die Rechtmäßigkeit der Rodungen werde abgewartet. Ist eine Eskalation also noch vermeidbar?
Büttgen: Es ist erst mal ein sehr gutes Signal, dass den Gerichten Zeit gegeben wird, dass sie in aller Ruhe den Sachverhalt prüfen können, auch sachgerecht prüfen können, und nicht jetzt stante pede eine Entscheidung treffen müssen. Eine Eskalation ist erst mal nicht abgewendet, denn die letzten Tage haben wir ja eine zunehmende Eskalation am Wald erlebt. Es wurde immer mehr geräumt, es wurde immer mehr der eigentliche Auftrag ausgeweitet, der zumindest via Polizei-Tweets gemeldet war.
"Wald sieht aus wie gefegt"
Sawicki: Können Sie das konkretisieren, inwieweit wurde der ausgeweitet?
Büttgen: Ja, also der ursprüngliche Auftrag der Polizei lautete ja, eine Säuberung von RWE zu schützen. Mit Säuberung ist gemeint, offensichtlicher Müll sollte auf dem Boden weggeräumt werden im Wald, also Sachen, die einfach nicht in den Wald reingehören. Und das hat gestern Morgen mit erheblich hohen Polizeikräften, mit Räumpanzern et cetera, begonnen, und gestern wurden dann schon die gesamten Unterstrukturen, die auf dem Boden sind, wie zum Beispiel Küchenhäuser, Kücheneinrichtungen, Schlafplätze et cetera, geräumt. Der Wald sieht also aus wie gefegt. Und heute ging das weiter, dass also heute nicht nur weiter Bodenstrukturen geräumt wurden, sondern heute sind tatsächlich auch Plattformen dann geräumt worden, die nicht mit dem Boden verbunden sind, sondern in einem Baum sind, und es sind Bäume gefällt worden.
Sawicki: Das heißt, aus Ihrer Sicht sind die Bäume heute schon gerodet worden, die ersten, also ist das unrechtmäßig aus Ihrer Sicht?
Büttgen: Definitiv. Zum einen ist Rodungsbeginn erst ganz offiziell ab 1. Oktober. Es gibt im Moment keine Veranlassung, aus irgendeiner Lage heraus Bäume zu fällen, und das ist heute passiert. Es ist ein Baum gefällt worden, es ist einer umgefahren worden, da sind Fakten geschaffen worden. Und das für mich Entscheidende ist ja: So eine Vereinbarung, dass beide Seiten still halten und dem Gericht die Zeit geben, diese Lage einzuschätzen, davon wird RWE ja nicht erst heute Mittag um elf oder zwölf gewusst haben. Sondern das ist ein Thema, was in so einem Konzern natürlich beraten werden muss, wo Entscheidungen herbeigeführt werden müssen. Ich behaupte jetzt mal einfach zu sagen, dass dieses Thema mit Sicherheit gestern schon bei RWE diskutiert wurde, und dann ist für mich völlig unverständlich, wie in diesen anderthalb Tagen diese Fakten, die ich eben geschildert habe, tatsächlich dann auch passieren durften.
"Ein größerer Baum gefällt, ein weiterer umgefahren"
Sawicki: Es gibt dann aber auch die Gegenstellungnahme der Polizei - wir haben vor der Sendung mit der Aachener Polizei gesprochen -, und die sagt Folgendes: Es sei ein Baum gefällt worden, das Ganze aber, um Fahrwege freizuhalten, also im Rahmen des Mandats sozusagen. Und die Aussage, dass Baumhäuser angegangen worden seien, die wurde zurückgewiesen. Was sagen Sie dazu?
Büttgen: Das mag eine Definition sein vielleicht, was ein Baumhaus ist. Wir werden gleich in der Pressekonferenz um 15 Uhr Bilder zeigen. Ja, es ist ein größerer Baum gefällt worden, es ist ein weiterer Baum umgefahren worden, und da muss man sich doch fragen, wenn tatsächlich jetzt dieses Stillhalteabkommen besiegelt worden ist, warum denn dann überhaupt heute noch der Einsatz war. Das ist doch die entscheidende Frage. Und dass da Fahrwege sichergestellt werden mussten: Gestern sind die Fahrzeuge ohne Probleme auch um diese Bäume drumrum gefahren.
Sawicki: Und haben Sie mit der Polizei schon gesprochen?
Büttgen: Wir sind im laufenden Kontakt mit den Kontaktbeamten. Das ist einfach für uns immer wichtig, weil wir einfach sehr bemüht sind, die Situation zu deeskalieren, und deswegen versuchen wir, alle Seiten immer miteinzubeziehen, genauso wie wir eben auch die Informationen von Menschen aus dem Wald auch bekommen. Und wir hatten heute Morgen den Eindruck, dass die Polizei in Aachen selber die Lage nicht mehr wirklich im Griff hatte, also dass im Zweifelsfall Dinge gehandelt wurden oder vielleicht auch eben nicht gehandelt wurden. Eine Polizei muss ja nicht nur RWE schützen, sondern auch Gesetze, wie zum Beispiel die Rodungssaison, dass die eingehalten wird und nicht heute schon gerodet wird. Und wir hatten ganz klar den Eindruck, dass dort eine große Unsicherheit ist und auch nicht wirklich die unterschiedlichen Bereiche miteinander gut koordiniert sind.
Attacken auf Polizisten "inakzeptabel"
Sawicki: Stichwort Deeskalation: Ist es hilfreich, hilft es zu deeskalieren, wenn man Polizisten mit Fäkalien bewirft, wie das gestern der Fall war?
Büttgen: Auf gar keinen Fall, also das geht gar nicht. Egal ob Polizisten mit Fäkalien beworfen werden oder mit Gegenständen, mit Zwillen beschossen werden, das ist für uns in keinster Weise akzeptabel. Es ist für uns aber genauso wenig akzeptabel …
Sawicki: Aber wie sprechen Sie dann darüber mit Aktivisten vor Ort, sprechen Sie das kritisch an?
Büttgen: Ja, natürlich. Natürlich. Wir haben immer wieder einmal auch, wo wir in größeren Runden uns auch treffen, nur man muss immer sehen, dass die Menschen im Wald nicht alle einen für sich übergreifenden Konsens haben, sondern jeder quasi für sich selbst entscheidet. Das habe ich als Bürger auch erst mal lernen müssen, dass das völlig anders ist, als wir das eigentlich in so bürgerlichen Strukturen, Vereinen oder Unternehmen kennen. Aber das ist eben so, und man kann also auch im Wald, der vielleicht mit vier, fünf Leuten dann vertreten ist, in einer Abstimmungsrunde nicht für die anderen sprechen.
Sawicki: Bei uns heute im Deutschlandfunk Andreas Büttgen von der Initiative "Buirer für Buir". Vielen Dank, dass Sie für uns Zeit hatten!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.