Dietrich Wersich hat Nehmerqualitäten. Und eine schier unerfüllbare Mission. Im dunkelblauen Mantel steht der Spitzenkandidat der CDU in der Fußgängerzone in Hamburg-Ottensen, einer Hochburg der Grünen. Viele Broschüren wird Dietrich Wersich hier nicht los. Trotzdem lässt er nicht locker, will den Abwärtstrend seiner Partei stoppen. Von 22 sanken die Umfragewerte für die CDU zuletzt auf nur noch 20 Prozent.
"Wir haben heute um neun Uhr auf dem Großneumarkt angefangen. Wir sind dann später hier nach Altona rübergegangen, Große Bergstraße. Und sind jetzt hier am Spritzenplatz in Ottensen. Im Anschluss gibt es noch ein Interview mit der Morgenpost. Und dann ist heute Nachmittag beim NDR das 'Rote Sofa' und heute Abend noch ein Hausabend in Blankenese. Also ein Tag von morgens acht bis abends zehn. Im Kampf um jede Stimme."
Nicht der Hauch einer Wechselstimmung
Natürlich weiß auch Wersich: Nicht ein Hauch von Wechselstimmung weht durch die Stadt. Alle Umfragen bestätigen: Olaf Scholz bleibt Bürgermeister. Und zuallererst will er die Grünen fragen, wenn seine SPD, so sieht es zurzeit aus, nicht noch einmal die absolute Mehrheit erringt. Aber natürlich, so Dietrich Wersich, stünde er auch für eine Große Koalition zur Verfügung:
"Wir können. Wir müssen aber nicht. Es macht dann Sinn, wenn man wirklich große Dinge bewegt. Wenn man sich gemeinsam vornimmt, zum Beispiel Richtung Berlin dafür zu sorgen, dass wir mehr Mittel für die norddeutsche Infrastruktur bekommen. Das könnte ein Thema sein, wo man sich wirklich für den Norden gemeinsam stark machen könnte."
Aber zu dieser Koalition wird es wohl aktuellen Umfragen zufolge nicht kommen. Fragt man Dietrich Wersich, warum die CDU in Hamburg so schwach ist wie die SPD im Bund und andersherum, weicht er aus. Lag es am Überdruss der Bürger an der CDU-Stadtregierung, die von 2001 bis 2011 den Bürgermeister stellte? Nein, nein. Es gelte nach vorn zu blicken. Dabei lohnt der Blick zurück: 2001 übernimmt Ole von Beust das Ruder, koaliert mit der Partei des Rechtspopulisten Ronald Barnabas Schill und der FDP. Später - Schill droht dem Bürgermeister, seine Homosexualität öffentlich zu machen - wirft Ole von Beust ihn raus. Und erringt danach die absolute Mehrheit für die CDU. Eine Legislatur später folgt die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene, die besser funktioniert als gedacht. Trotzdem tritt Ole von Beust 2010 zurück. Ohne Not. Und macht Platz für den wenig charismatischen Christoph Ahlhaus. Ein Heidelberger im Rathaus? Die Hamburger Wähler schenkten dann doch lieber wieder der SPD die absolute Mehrheit. Und die Konservativen an der Elbe, analysiert der Hamburger Politikwissenschaftler Kai-Uwe Schnapp, verloren ihren Kompass:
"Die CDU hat das Debakel am Ende von Schwarz-Grün immer noch nicht verkraftet. Sie hat insbesondere mit Dietrich Wersich jemanden nach vorne geschickt, der seinerseits sehr weit nach links für CDU-Verhältnisse geht - er war auch Sozialsenator. Ist ein sehr sympathischer, ich denke auch, sehr kompetenter Mann. Aber muss Kraft seiner eigenen Position der SPD in quasi ihrem ureigenen Territorium Boden versuchen streitig zu machen. Und bei der Solidität, mit der Olaf Scholz im Moment dasteht, ist das natürlich extrem schwer."
SPD macht CDU in Hamburg Themen streitig
Und noch schwerer wird es, wenn man bedenkt, mit welchem Gegner es der linke, auf laute, gar populistische Töne verzichtende CDUler Dietrich Wersich es zu tun hat:
"Die Hamburger SPD ist auch bekanntermaßen eine eher konservative SPD. Rückt sehr weit in die politische Mitte hinein. Macht also da auch der CDU auf Territorien ihr Recht streitig, wo in anderen Bundesländern da ganz klar schon CDU-Gebiet ist. Und dann kommt jetzt der Olaf Scholz dazu, der offenbar ein sehr solider Erster Bürgermeister ist, der von vielen Bürgerinnen und Bürgern auch so wahrgenommen wird."
Und der mit Michael Neumann einen Innensenator hat, der für einen klaren Law-and-Order-Kurs steht. Die zentralen Wahlkampfthemen der CDU verfangen denn auch nicht recht: "Sauberkeit und Sicherheit", "Stau stoppen", mehr Geld für Bildung, mehr Geld für den Hafen steht auf den Plakaten der Christdemokraten. In Hamburg steige die Einbruchskriminalität, moniert Dietrich Wersich. Und er hat recht: Heute gibt es sechs Prozent mehr Einbrüche als noch vor zehn Jahren. Das ist nicht schön. Aber es reicht nicht, um die Wähler davon zu überzeugen, am 15. Februar CDU zu wählen. Ein Lichtblick für Dietrich Wersich: Endlich flanieren auch ein paar treue CDU-Wähler durch die Fußgängerzone. Man kennt sich und Wersich wird eine seiner Broschüren mit seinem Konterfei los.
"Wir haben schon gewählt!"
- "Briefwahl gemacht?"
"Ja, kannst schon beruhigt sein!"
- "Sehr schön!"
"Wir haben schon gewählt. Und übrigens: Das finde ich sehr schön! Da bist Du gut getroffen!"
Dietrich Wersich schüttelt dem älteren Ehepaar die Hand, muss weiter zum nächsten Wahlkampftermin. Nicht um die Wahl zu gewinnen, sondern einzig um den Absturz der Partei im Rahmen zu halten.