"Dass ihr alle gekommen seid, um uns in einer solchen Situation so toll zu unterstützen, weil wir eine große liberale Familie sind – toll, toll, toll, dass ihr alle da seid!"
Samstagmittag am Jungfernstieg: Während die Hamburger mit Einkaufstüten der nahen Luxusgeschäfte vorbeischlendern, kämpft FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels auf einer Bühne am Alsterufer um die Zukunft ihrer Partei.
Zum Wahlkampfendspurt sind mehrere hundert Freiwillige aus ganz Deutschland gekommen. Mit blau-gelben Luftballons stehen sie vor der kleinen Bühne. Linda Teuteberg, die Generalsekretärin der Bundespartei, will anspornen: Es ist noch nichts verloren – trotz Thüringen!
"Liberale zeichnet auch aus, zur Selbstkorrektur fähig zu sein und Konsequenzen zu ziehen. Und wir stehen heute hier zusammen, um gleichzeitig zu zeigen: Wir sind mehr, als das, was da vor einer Woche passiert ist. Wir haben ein Angebot für die Mitte in unserem Land, liebe Freunde."
Ursprüngliche Wahlziele eingedampft
"Die Mitte lebt" – dieser Wahlkampfslogan der Hamburger FDP klingt nach Zombiefilm – angesichts der Ereignisse in Thüringen mehr denn je. Ursprüngliches Wahlziel: Ein zweistelliges Ergebnis, die Grünen als Koalitionspartner in der Regierung ablösen. Inzwischen aber geht es für die Partei ums parlamentarische Überleben: Fünf Prozent, sagen die Umfragen aktuell voraus.
Dass der Liberale Thomas Kemmerich sich mit Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen ließ, sei ein Fehler gewesen – das sah die liberale FDP hier sofort. Spitzenkandidatin von Treuenfels hat schon am Tag der Wahl Kemmerichs selbst seinen Rücktritt gefordert.
Doch nicht alle in der Partei gehen bei der möglichst klaren Abgrenzung mit. Unter den Wahlkämpfern vor der Bühne steht auch Christoph Wieduwilt. Der Unternehmer aus Jena ist nach Hamburg gekommen, um seine liberalen Parteifreunde im Wahlkampf zu unterstützen. Er gehört zum Landesvorstand der Thüringer FDP. Dass die Wahl Kemmerichs den Hamburgern schaden könnte, bedauert er – einen Fehler sieht er darin aber nicht.
"Wir stehen in Thüringen zu unserer Meinung und auch zu dem, was wir getan haben. Wir können nicht sagen, bloß weil das in Deutschland ein Beben ausgelöst hat, dass es deswegen falsch war. Ich glaube, das hat unter der Decke eh rumort, und muss mal unter Demokraten kommuniziert werden."
"Vorgaben wie zu SED-Zeiten"
Die Wahl Kemmerichs sei ein bedauerlicher Zufall gewesen, eine Zusammenarbeit mit der AfD weiterhin nicht geplant – jedenfalls nicht regelmäßig.
"In Kreisen und in Kommunen in Thüringen und anderswo – Sachsen, Brandenburg - geht es ja ohne AfD schon gar nicht, sonst wären wir nicht handlungsfähig. Muss man dann den Strich im Land unbedingt ziehen? Ich sage ja, wenn es um aktive Zusammenarbeit geht. Aber wenn ich gut bin, stelle mich zur Wahl und werde von einem, den ich nicht leiden kann, gewählt, bin ich immer noch gut."
Das Verhalten der AfD findet er nicht gut, die Einmischung durch seinen Parteivorsitzenden Christian Lindner aber auch nicht. Das erinnere viele doch an Vorgaben wie zu SED-Zeiten.
Solche Stimmen in der FDP will man in Hamburg lieber nicht hören. "Zusammen bleiben statt spalten lassen" steht groß auf dem Plakat hinter der Bühne. Hamburgs Spitzenkandidatin von Treuenfels, von Haus aus Juristin, formuliert diplomatisch.
"Wir stehen für einen ganz starken Wert, nämlich für die Meinungsfreiheit. Lasst Euch nicht irgendwie in irgendeine Falle locken. Wir werden trotzdem immer unsere freie Meinung sagen und jeden dazu auffordern, das ist mit das Wichtigste, was eine Demokratie ausmacht, liebe Freunde. Stehen wir weiter dazu, wir Liberale können das."
Von den linken Parteien musste sich die FDP vorwerfen lassen, Steigbügelhalter der Rechtsextremen zu werden, nicht mehr auf dem Boden der Demokratie zu stehen. Hamburgs Parteichefin Katja Suding kontert mit einem Gegenangriff:
"Wenn sich die Parteien der Mitte, der demokratischen Mitte in dieser Weise auseinanderdividieren lassen, indem der eine den anderen als Nazi beschimpft, ihm die Grundwerte abspricht, dann ist das das Spiel der AfD – und dieses Spiel spielen wir nicht mit!"
Wahlkampfhelfer müssen ran
Im Wahlprogramm schließt die Hamburger FDP zwar jede Zusammenarbeit mit der AfD aus – deutlich mehr Platz nimmt aber der Kampf gegen Linksextremismus ein. Doch auch jenseits von Wahlkampfzeiten scheint der Umgang mit Rechtsextremismus in der FDP nicht immer klar umrissen zu sein. Nach dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke im Sommer verlangten die Jungen Liberalen deswegen nach einem "liberalen Antifaschismus".
"Die Julis finde ich immer gut, weil die immer so ein bisschen extrem sind, das sollen sie auch sein." "Also liberaler Antifaschismus ist extrem?" "Haha, nein, ein guter Versuch. Dieser Begriff, finde ich, nach Thüringen, vielleicht kann man das sagen. Ich glaube nicht, dass wir Liberale jetzt unbedingt immer beweisen müssen, dass wir keine Faschisten sind. Das liegt doch auf der Hand – natürlich sind wir Antifaschisten."
Doch die politischen Gegner unterstellen das Gegenteil. Das bekommen die Wahlkampfhelfer deutlich zu spüren, viele davon aus der Parteijugend. Carl Coste, Vorsitzender der Jungen Liberalen Hamburg und Kandidat für die Bürgerschaft, berichtet von Bedrohungen beispielsweise auf Instagram:
"Da war einer, der markiert mich seit vier Tagen regelmäßig in seinen Stories, und sagt, wie Scheiße er die FDP findet, dass man die FDPler und CDUler verkloppen sollte, wir eigentlich auch Faschisten sind. Das wir Beleidigungen kriegen ist das eine, aber über so einen langen Zeitraum, in dem er auch zu Gewalttaten gegen uns auffordert, das hatte ich in dem Umfang noch nicht."