4. März 2020: Microsoft schickt alle Angestellten am Firmensitz in Redmond, an anderen Niederlassungen in der Region und in der Bucht von San Francisco ins Homeoffice. Einen Monat später arbeiten überall in den USA alle Microsoft-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, die nicht unbedingt vor Ort sein müssen, von zu Hause aus. Auch Longqi Yang.
"Ich vermisse die persönliche Ebene mit meinen Kollegen und den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite. Wir haben auch viele neue Angestellte, die ich bisher nur virtuell getroffen habe, und ich würde sie gerne persönlich kennenlernen."
Yang leitet das Programm für Angewandte Forschung bei Microsoft, das die Auswirkungen von Heimarbeit untersuchen soll. Dazu hat er Daten von mehr als 60.000 Angestellten des Unternehmens analysiert. Der Datensatz beginnt einige Monate vor der Homeoffice-Pflicht im Dezember 2019 und reicht bis Juni 2020. Wer hatte wann mit wem eine Besprechung? Wie lange haben sie sich unterhalten? War es ein geplantes Meeting oder ein spontaner Anruf? Wer tauscht mit wem Chatnachrichten aus? All dies konnte Yang daran ablesen. Dabei fiel ihm vor allem eine Sache auf: Die Angestellten waren weniger gut vernetzt.
Weniger Vernetzung zwischen Abteilungen
"Die Verbindungen zwischen Menschen in verschiedenen Abteilungen, die Anzahl der neuen Verbindungen, die Verbindungen zu Menschen, die nur selten in Kontakt stehen - die gingen im Monatsvergleich alle zurück. Und dabei sank sowohl die Anzahl der Verbindungen als auch die Menge an Zeit, die mit diesen Verbindungen verbracht wurde."
Im Ergebnis arbeiteten Teams im Homeoffice stärker abgekapselt von anderen Teams. Effekte, die direkt mit der Belastung durch die Pandemie zusammenhängen, z.B. Quarantänemaßnahmen, Kinderbetreuung oder seelische Belastungen, haben Yang und sein Team dabei herausgerechnet. Das war möglich, weil sie eine Kontrollgruppe hatten: nämlich die 18 Prozent der Microsoft-Angestellten, die schon vor der Pandemie von zuhause aus gearbeitet hatten. Die Ergebnisse sollen so also auch für die Zeit nach der Pandemie Gültigkeit haben. Oliver Sträter, Arbeitswissenschaftler an der Universität Kassel, hat eine Erklärung für weniger Team-übergreifende Zusammenarbeit im Homeoffice.
"Innerhalb eines Teams ist es ja so, dass meistens die Teams so projektbezogen aufeinander zusammengestellt sind. Das heißt, man hat ein inhaltliches Ziel, was man gemeinsam erreichen möchte oder muss im Rahmen des Unternehmens. Und die online Formate, die wir derzeit haben, die sind auch sehr gut geeignet, solche inhaltlichen Absprachen zu machen. Also dazu, zu diesen Vorgängen passen solche Videokonferenz-Systeme, wie wir sie derzeit haben, sehr gut. Aber wenn ich zwischen Teams bin, dann geht es ja um ganz andere Dinge. Da gibt es dann unter Umständen Zielkonflikte. Und da sind dann solche Interaktionsformen, die sich rein auf die inhaltliche Ebene beziehen, eigentlich psychologisch am Ende."
Videokonferenz am runden Tisch
70 Prozent der Kommunikation spiele sich auf einer psychologischen Ebene ab, sagt Sträter. Das besser abzubilden ist eine Herausforderung für zukünftige Kollaborationssoft- und -hardware. Wenn wie heute bei einer Videokonferenz zehn Teilnehmer in zehn Kacheln nebeneinander dargestellt werden, sei das nicht optimal. Oliver Sträter plädiert für eine Anordnung um einen virtuellen Tisch.
"Wir haben hier auch Systeme entwickelt, wo man beispielsweise das Blickverhalten transportieren kann, dass man sich also tatsächlich gegenübersitzt in einem Online Meeting und sich tatsächlich auch in die Augen schaut. Dann steigt schon eigentlich die Präsenz der Gedanken des anderen und auch die Bereitschaft, dort aufeinander zuzugehen und ähnliches. Und das sind wichtige psychologische Faktoren, die ja für Unternehmen einfach auch essentiell sind für die Themen Effektivität und Motivation der Mitarbeitenden."
Hybride Arbeitsmodelle als Alternative
Unternehmen führen jetzt hybride Arbeitsmodelle ein, bei denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teilweise zu Hause und teilweise im Büro arbeiten. Microsoft-Forscher Longqi Yang sieht das als einen möglichen Weg, wieder für mehr Zusammenarbeit zu sorgen. Andernfalls könne die Produktivität leiden.
"Wenn in einem Teil der Organisation neue Ideen oder neues Wissen entstehen, aber nicht in andere Teile des Unternehmens weitergetragen werden, sinken die Chancen, dass die Ideen umgesetzt werden. Aufgrund vorheriger Forschung denken wir, dass verringerter Wissenstransfer Produktivität und Innovation behindern. Das wird sich langfristig zeigen, bisher fehlen uns dazu die Daten."
Beide Wissenschaftler betonen aber: Homeoffice hat gegenüber Büroarbeit vor Ort auch viele Vorteile. Die Herausforderung ist also, das Beste aus beiden Arbeitsmodellen zu vereinen.