Bürokratie: Schon allein das Wort reicht, um so manchen auf die Palme zu bringen. Endlose Wartezeiten, widersprüchliche Bescheide, verhinderte Vorhaben oder Vorschriften, die kaum einzuhalten sind: Dafür wird nicht selten die Bürokratie verantwortlich gemacht.
Was dabei allerdings oft vergessen wird: Vieles läuft auch richtig und gut. Eine funktionierende Bürokratie ist das Rückgrat einer Demokratie. Sie hat allerdings tatsächlich Tendenzen, sich zu verselbständigen, und die Politik ringt immer wieder darum, sie abzubauen. Letzter Streich: das Bürokratieentlastungsgesetz der rot-grün-gelben Bundesregierung.
Inhalt
- Was ist Bürokratie und wozu ist sie da?
- Hat die Belastung durch Bürokratie zugenommen?
- Wie geht die Bundesregierung gegen zu viel Bürokratie vor?
- Warum klagen so viele Unternehmen über bürokratische Vorgaben?
- Wie sieht es in anderen Ländern aus?
- Welche Lösungen gibt es, um die Bürokratie effizienter zu machen?
Was ist Bürokratie und wozu ist sie da?
Unter Bürokratie versteht man das Ausführen von Gesetzen, den Verwaltungsakt, der abstrakte Regeln und Vorschriften für Bürger und Unternehmen spürbar werden lässt. Die Bürokratie muss sich dabei genau an die Gesetze halten und wird durch die Justiz kontrolliert. In den Verwaltungen soll jeder Bürger gleichbehandelt werden: Will man einen neuen Reisepass beantragen, gibt es ein Verfahren für alle, niemand wird bevorzugt.
Gesetze – zum Beispiel Vorschriften zum Klimaschutz oder zur Digitalisierung - sollen so wirken, dass jeder Bürger nur so weit wie nötig eingeschränkt wird, um darüber ein gemeinsames Ziel zu erreichen: zum Beispiel weniger CO2-Emissionen. Die Verwaltung setzt diese Gesetze um und sorgt dafür, dass sie eingehalten und beachtet werden, beim Neubau von Gebäuden zum Beispiel. Das schränkt den Einzelnen ein, dient aber dem Gemeinwohl.
Hat die Belastung von Bürgern und Unternehmen durch Bürokratie zugenommen?
Laut Statistischem Bundesamt ist der finanzielle Aufwand der Unternehmen für Bürokratie inflationsbereinigt seit 2012 um fünf Prozentpunkte gesunken. Die Belastung wurde mit einigen Aufs und Abs über die Jahre kontinuierlich verringert.
Die Wahrnehmung in den Unternehmen ist allerdings häufig eine andere. Das kann an den Problemen unserer Zeit liegen, die immer komplexer werden: der Klimawandel, das Artensterben, Kriege, die Digitalisierung. Diese Problemlagen verändern unsere Gesellschaft rasant.
Um sie anzugehen, werden Gesetze und Verordnungen erlassen: Der CO2-Ausstoß soll gesenkt, das Artensterben verringert oder die teils unwürdigen Arbeitsbedingungen in anderen Ländern wirksam verbessert werden. Für die Unternehmen bedeutet das aber: mehr Vorschriften, mehr Dokumentationspflichten, Einschränkungen.
Wie geht die Bundesregierung gegen zu viel Bürokratie vor?
Die Ampelregierung hat sich vorgenommen, unnötige Vorschriften und übermäßige Bürokratie abzubauen - unter anderem mit dem Bürokratieentlastungsgesetz, das am 26.09.2024 vom Bundestag verabschiedet wurde. Konkret geht es dabei um eine Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Rechnungskopien, Kontoauszüge sowie Lohn- und Gehaltslisten. Die Meldepflicht für deutsche Staatsangehörige bei einer Hotelübernachtung wird abgeschafft. Und Steuerbescheide sollen demnächst in der Regel digital bereitgestellt werden.
Die Beispiele zeigen: Bei Tausenden von Gesetzen und Rechtsverordnungen in Deutschland ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bürokratieabbau ist ein großes politisches Thema: Der wirklich große Wurf ist noch keiner Bundesregierung gelungen. Und selbst wenn eine Regierung das Thema angeht, sind nicht alle glücklich: Wegen der Verkürzung der Aufbewahrungsfristen, gefährde das Gesetz den Kampf gegen Steuerkriminalität, warnt der Verein Bürgerbewegung Finanzwende.
Warum klagen gerade aktuell so viele Unternehmen über bürokratische Vorgaben?
Viele der Gesetze und Vorschriften, die Umwelt- oder soziale Probleme angehen, kamen in den letzten Jahren aus der EU – es sind Vorgaben, die die Berücksichtigung von Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen in Unternehmen und Behörden einfordern. Die Unternehmen fühlen sich durch diese Vorgaben oft eingeschränkt, beklagen Regulierungswut - und dass sie vieles davon gar nicht ausführen können.
Ein Beispiel dafür ist das Lieferkettensorgfaltsgesetz. Statt negative Kriterien vorzugeben, wurden in diesem genaue positive Vorgaben gemacht – es beschreibt also nicht, was nicht getan werden darf, sondern was die Unternehmen tun sollen, um zum Beispiel Kinderarbeit bei ihren internationalen Zulieferern zu verhindern.
Die Unternehmen beklagen nun eine Beweislastumkehr: Sie müssen jetzt beweisen, dass sie alles richtig machen. Früher musste man ihnen nachweisen, dass sie etwas falsch gemacht hatten. Das koste viel Geld und schränke die unternehmerische Freiheit ein, kritisiert die Wirtschaft.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat Deutschland und andere Länder in Europa in Sachen Bürokratie verglichen. Dabei hat sich gezeigt, dass skandinavische Länder eine ähnliche Regulierungsdichte wie Deutschland aufweisen. Doch während neue Regulierungen die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland einschränkten, sei das in den skandinavischen Ländern anders, so das Institut. Der Grund ist demnach, dass die Leistungsfähigkeit der Verwaltung wesentlich besser ist als in Deutschland.
Das hat verschiedene Gründe: Die Bürokratie sehe sich in Skandinavien eher als Partner, sie gehe die Dinge gemeinsam mit Bürgern und Unternehmen an, so das DIW. Die einzelnen Verwaltungsangestellten handeln deutlich autonomer und eigenverantwortlicher. Es gibt dem Institut zufolge auch eine bessere Fehlerkultur. Die Vorgesetzen wissen: Wer Verantwortung übernimmt, kann auch Fehler machen. Aus diesen lernt man, die Bürokratie werde so zu einem lernenden Organismus, sagt Alexander Kritikos, Autor der DIW-Studie.
Die Verwaltung leistungsfähiger machen
Zudem wird nicht so viel gegen die Bürokratie geklagt. Und die Verwaltung besorgt sich viele Informationen und Unterlagen selbst, die in Deutschland Unternehmen und Bürger beschaffen müssen. Neue Regulierungen hätten dadurch oft keine Auswirkungen auf die Unternehmen, weil vieles von der Verwaltung einfach selbst erledigt werde, sagt Kritikos.
In den vergangenen Jahrzehnten sei es nicht gelungen, die Anzahl der Vorschriften in Deutschland wirklich abzubauen – so das Fazit von Alexander Kritikos. Immer wieder mal würden welche gestrichen, dafür kämen dann neue hinzu. Und das werde auch so bleiben. Daher müsse sich die deutsche Politik vor allem darauf konzentrieren, die Verwaltung leistungsfähiger zu machen und insbesondere digitale Technik und künstliche Intelligenz wirksam einzusetzen.
Welche Lösungen gibt es, um die Bürokratie effizienter zu machen?
Ämter und Behörden in Deutschland nutzen zum Teil noch immer Faxgeräte, einige kann man auch nicht per E-Mail erreichen. Die Bürokratie zu digitalisieren würde sie leistungsfähiger machen. Unternehmen könnten entlastet werden, in dem man ihnen wieder weniger positive Vorgaben macht, zum Beispiel wie sie Standards einhalten und dokumentieren sollen. Stattdessen könnte sich der Staat wieder mehr auf negative Vorschriften konzentrieren – schlicht definieren, was man nicht tun darf. Das würde die Verwaltung entlasten.
Nicht nur Unternehmen klagen über eine Verhinderungsbürokratie, auch Bürgerinnen und Bürger, die auf Ämter gehen, oder gemeinnützige Vereine: Die Masse an Vorschriften mache vieles unmöglich, heißt es. Hier könnten mehr Freiheit und mehr Vertrauen in die Bürger helfen – was dann allen zugutekäme, die Probleme angehen und sich engagieren wollen.
Letztendlich sei das auch relevant für unser Zusammenleben und die Gesellschaft insgesamt, sagt die Soziologin Claudia Neu: Das Vertrauen in die Bürokratie und die Demokratie sei gerade in Teilen der Bevölkerung erschüttert. Eine funktionierende und sichtbare Bürokratie sei aber extrem wichtig für eine Demokratie, denn sie zeige die Funktionsfähigkeit des Staates.