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Bürokratie als Abschreckung
Flaute beim europäischen Schüleraustausch

40 Millionen Euro - so viel Geld wie nie zuvor - stellt die EU in einem speziellen Fördertopf deutschen Schulen zur Verfügung, damit Kontakte zu Partnerschulen im europäischen Ausland möglich werden. Doch während die Summe steigt, sinkt die Zahl der Schulen, die sich auf die Reise machen. Der Aufwand ist oft zu groß.

Von Katrin Sanders |
    Korel, Alessandro und Sarah schreiben in der Ganztagsschule in der Helsinkistraße in der Messestadt in München in ihren Heften.
    Schulpartnerschaften und Schüleraustausch: Für einen Förderantrag müssten rund 100 Stunden Arbeit investiert werden, sagt Klaus Sautmann, Europakoordinator an der Gesamtschule in Brühl. (picture alliance / Frank Leonhardt)
    Europa steht sich selbst im Weg. Bürokratische Hürden der besonderen Art müssen Schulen bislang nehmen, wenn sie Fördermittel für Schulpartnerschaften in Europa beantragen. Von der Idee bis zum fertigen Projektantrag sollte man vier bis fünf Monate Zeit einplanen, sagt Klaus Sautmann, Europakoordinator an der Gesamtschule in Brühl.
    "Also ich hab jetzt hier vor mir liegen einen Antrag von 2014 mit insgesamt 43 Seiten. Der neue für das Projekt 2017/2019 hat 51 Seiten. Das ist nicht alles Text! Aber es ist schon so, dass es eine aufwendige Geschichte ist. So ein Antrag – wenn er dann sehr gut werden soll – das sind schon so mit allem Drum und Dran 100 Stunden, die da investiert werden müssen."
    Grundschule hat denselben Aufwand wie eine Universität
    Deutlich aufwendiger sind die Anträge geworden, seit aus dem früheren Comenius "Erasmus plus" wurde. Ein Name für alle Austauschprogramme, so hatte es die Europäische Kommission gewollt. Das gemeinsame Dach brachte vor allem gleiche Regeln für alle und das heißt: Zurzeit muss eine kleine Grundschule für die Projektförderung beim Schulaustausch soviel Papier ausfüllen wie eine Universität.
    "Und ich weiß von vielen Kollegen und Kolleginnen aus anderen Schulen, die gesagt haben: Das mach ich nie wieder, das war wahnsinnig viel Arbeit, das tu ich mir nicht mehr an."
    Und so fällt die Halbzeitbilanz des laufenden Erasmus plus entsprechend mau aus: Mehr Mittel im Topf und weniger Anträge, zählt Thomas Spielkamp vom Pädagogischen Austauschdienstes (PAD) bei der Kultusministerkonferenz:
    "Wir müssen leider konzedieren: Die Erfolgsquoten in den ersten Jahren waren sehr schlecht. Die Schulen ziehen sich aus dem Programm zurück. Wir hatten 585 Schulen in der Förderung und haben in diesem Jahr 325 Schulen in der Förderung. Bei 40 Prozent Programmaufwuchs! Das versteht eigentlich niemand."
    Mindestens drei Schulpartner müssen zusammenkommen
    Die geforderten Projektideen bei Erasmus plus sind anspruchsvoll. Mindestens drei Schulpartner in Europa müssen zusammenkommen. Die thematischen Vorgaben macht die Kommission in Brüssel. Es sind attraktive Projekte, die so entstehen, betont Klaus Sautmann - bei aller Kritik. In seinem letzten Erasmus plus Projekt haben Schülerinnen und Schüler aus vier Ländern eine Firma gegründet, Projektmanagement gelernt und vermarkten bis heute Fairtrade T-Shirts aus Biobaumwolle in einer Schülerfirma länderübergreifend. Klaus Sautmann:
    "Bei unserem neuen Projekt geht es um Fakenews. Das ist der EU im Moment sehr wichtig. Es geht um Mediennutzung, Medienerstellung, die Schüler sollen später zur Europawahl eine eigene webbasierte Zeitung machen, und eine Facebook-Seite mit dann von ihnen gecheckten und geprüften Nachrichten, um diesem Phänomen Fakenews dann etwas entgegen setzen zu können."
    "Es gibt also unheimlich viele thematische Anknüpfungspunkte. Gedacht war immer daran, möglichst nicht zusätzliche Arbeit zu machen, sondern die Arbeit, die man an der Schule ohnehin erledigen muss, im Rahmen eines europäischen Projektes zu erledigen und dabei noch erhebliche Fördergelder in Anspruch nehmen zu können."
    Das Prozedere soll schlanker werden
    So wirbt Thomas Spielkamp für die Chancen des Programms. Damit wieder Schwung in die Antragszahlen kommt, soll ab jetzt das Prozedere schlanker werden. Auch andere Länder, etwa Frankreich, haben dasselbe Problem mit zurückgehenden Anträgen und sind – wie der PAD – im streitbaren Austausch dazu mit der Kommission:
    "Diese Erwartungen sind einfach zu hoch. Und deswegen fordern wir, dass Verträge auf ein Minimum reduziert werden: 20 Seiten, zehn im Idealfall. Dass wir eine Globalbezuschussung für die Projekte wieder hinbekommen, also die Schule soll im Idealfall eine Summe bekommen und soll daraus dann finanzieren können - Mobilitäten und Projektarbeit -, aber nicht weiter über unterschiedliche "Budgetkategorien" berichten müssen."
    Es wird dauern, befürchtet Spielkamp, bis bei den Schulen das verlorene Vertrauen in die Machbarkeit des Austauschprogramms zurückkehrt. Der PAD bietet mit Hotline, Veranstaltungen vor Ort und Beratung Unterstützung, damit aus Projektideen Anträge mit vertretbarem Zeitaufwand werden:
    "Wir wollen Projekte ermöglichen und Hindernisse abbauen. Wir bieten Projektskizzenberatung, wo auf einem verkürzten Formular die Projektidee vorgestellt werden kann. Dann sprechen wir das inhaltlich durch: Unser Part ist zu helfen und Unterstützung zu geben."