Musik: George Enescu, Auszug aus "Oedipe"
Was für eine Wucht doch diese Musik besitzt, mal ist sie hoch dramatisch und modern in der Tonsprache, mal von impressionistischer, lyrischer Schönheit. Enescus "Oedipe" ist ein aufwühlendes, komplexes Musikdrama, vergleichbar mit der "Elektra" von Richard Strauss, nur hat es sich international nicht annähernd erfolgreich etabliert. Warum das so ist, versteht man nach der fulminanten konzertanten Aufführung unter Vladimir Jurowski, der damit das erste Enescu-Musikfestival unter seiner künstlerischen Leitung eröffnete, noch weniger. Mit dem London Philharmonic Orchestra und trefflichen Solisten gelang ihm eine äußerst nuancierte Interpretation, in der sich Motive vernehmen ließen, die man selbst in achtbaren früheren Aufführungen auf dem rumänischen Festival noch nicht so wahrgenommen hatte.
Jurowski will Enescus Musik in die Welt tragen
Jurowski löst damit voll ein, was er versprochen hatte:
"Mein Anliegen war es, da ich durch das Enescu-Festival die Musik von Enescu für mich entdeckt habe, die Musik von Enescu weit in die Welt zu tragen. George Enescu ist ein absoluter Musiker für mich, der war eine Mischung aus allen Elementen, die man sich bei einem idealen Musiker vorstellt. Er war ein Komponist, er war ein Interpret und ein Virtuose auf mehreren Gebieten, nicht nur auf der Geige. Und er hat eine ureigene Sprache in der Musik entwickelt, und das ist für mich an ihm das Wertvollste als Komponisten. Er hat eine Sprache, die man nach zwei, drei Takten sofort erkennt, man weiß, das kann nur Enescu sein."
Musik: George Enescu, Auszug aus "Oedipe"
Vladimir Jurowski, der in diesen Tagen auch seinen Einstand als Chefdirigent des Rundfunk Sinfonieorchesters Berlin gibt, ist ein viel beschäftigter, derzeit sehr gefragter Künstler. Eine Position als Intendant, wie sie zuvor Ioan Holender einnahm, der sich auch mit Politikern anlegte, gegen Widerstände und finanzielle Einschnitte seitens der Kulturpolitik kämpfte, kam für den Russen deshalb nicht infrage.
"Ich konnte mir auch nicht vorstellen, wie ich ein so Riesenfestival planen und dann auch noch leiten soll. Deswegen habe ich von Anfang an gesagt, ich bin bereit, diese Rolle zu übernehmen, aber eher so als eine Leitfigur, um bestimmte künstlerische Anregungen zu geben, aber ich werde den Haushalt nicht führen können, damit ist nie gerechnet worden. Also Mihai Constantinescu ist nach wie vor der Geschäftsführer und der macht eine ganz große Arbeit dort. Ioan Holender - für ihn war das etwas anderes, so eine richtige Herzensangelegenheit, und er ist auch Rumäne. Also er war dort zu Hause. Für mich ist das ein absolut neues Feld, und ich möchte mich da nicht mehr einbringen, als ich es bisher getan habe, also eher so hinter den Kulissen helfen."
Bessere Zusammenarbeit mit der Kulturpolitik
Das sollte auch ausreichen, ist doch mit dem langjährigen geschäftsführenden Festivaldirektor Mihai Constantinescu der denkbar beste Manager zur Stelle. Er ist bislang mit allen Schwierigkeiten fertig geworden, was auch immer geschieht, hält er das Festival unverändert auf hohem Niveau. In den kommenden Tagen und Wochen reisen auch in diesem Jahr noch so prominente Solisten wie Anne-Sophie Mutter, Martha Argerich, Jonas Kaufmann oder Philippe Jaroussky an.
Constantinescu konnte die Politik sogar davon überzeugen, die staatlichen Subventionen, die 2015 um 6,8 Prozent gekürzt worden waren, wieder auf die ursprüngliche Summe von 7,4 Millionen Euro aufzustocken, sodass er nun auch Konzerte in zahlreichen anderen rumänischen Städten wie Iaşi, Timişoara, Oradea oder Sibiu anbieten kann.
Und auch der rumänische Rundfunk, der einen Großteil der Konzerte aufzeichnet, engagiert sich stärker denn je für das Festival, freut sich Constantinescu:
"Es geschieht etwas in Bukarest, in diesem Moment Bukarest ist mit dem Festspiel, bis jetzt war es neben dem Festspiel, aber in diesem Jahr arbeiten wir zusammen."
Aussicht auf einen besseren Konzertsaal
So erfreulich, wie sich die Gesamtsituation aktuell gestaltet, lässt sich sogar hoffen, dass in naher Zukunft der lange Traum von einem adäquaten Konzertsaal für die Orchesterkonzerte in Erfüllung geht.
"Ich habe mit dem Minister gesprochen, und es ist sehr wichtig in diesem Moment, miteinander arbeiten für einen neuen Saal. Und dieser Saal, weiß ich nicht, ob es dieser Saal sein wird oder ein neuer, wir machen alles möglich, um das zu haben, weil das sehr notwendig für unser Publikum ist."
Zwar verfügt Bukarest mit dem Athenäum, einem klassizistischen Bau aus dem 19. Jahrhundert, über einen wunderbaren kleineren Konzertsaal. Aber auf seiner Bühne findet maximal ein Kammerorchester Platz. Deshalb erachtet auch Vladimir Jurowski einen Umbau des Sala Palatului als eine der wichtigsten Maßnahmen:
"Sala Palatalui, in der wir alle spielen, das ist eine Mehrzweckhalle, im Sala Palatului ist die Akustik nach wie vor haarsträubend schlecht. Als mein Name damals ins Spiel gebracht wurde und ich einmal zur Pressekonferenz in Bukarest war, sprach ich mit dem damaligen Kultusminister - ich kann mich an seinen Namen leider nicht erinnern – der hoch und heilig versprach, dass ein neuer Saal gebaut werde und dass wäre wohl quasi schon im Kommen und zwei Wochen später wurde er abgesetzt."
Vielleicht stehen jetzt aber die Chancen besser: Immerhin nahm mit Lucian Romascanu erstmals ein amtierender Kulturminister an einer Pressekonferenz des Enescu-Festivals teil. Der Politiker bekundete einen starken Willen, aus dem Sala Palatului in naher Zukunft mittels Umbauten und Restauration einen besseren Konzertsaal zu machen. Optimismus schwang in seiner Rede mit, nur garantieren wollte er nichts.
Musik: Dmitri Schostakowitsch, Auszug aus der 11. Sinfonie
Großartige Konzerterlebnisse
Die beklagten akustischen Unzulänglichkeiten konnten indes die großartigen Konzerterlebnisse nicht trüben. Besonders die 11. Sinfonie von Schostakowitsch, die Jurowski an seinem zweiten Abend mit dem London Philharmonic brachte, sitzt einem noch tief in den Knochen. Sie kam so gespenstisch, düster und brutal daher wie nur denkbar, katapultierte einen mitten hinein in das vom Komponisten nachgezeichnete revolutionäre Geschehen an jenem blutigen Sonntag im Januar 1905, als Zar Nikolaus II. in St. Petersburg die gegen ihn demonstrierenden Arbeiter und Rebellen niedermetzelte.
Schon einen Tag später stand mit der in deutschen Konzertsälen viel zu selten gespielten 6. Sinfonie von Prokofjew ein weiteres rasantes Werk auf dem Programm, ebenso packend interpretiert vom Russischen Nationalorchester unter Mikhail Pletnev. Allein der erste Satz schon strotzt nur so vor irrwitzigen, grotesken Soli in den Fagotten, Oboen und Hörnern, die die russischen Bläser so exquisit meisterten wie es die Berliner Philharmoniker nicht besser könnten.
Musik: Sergej Prokofjew, Auszug aus der 6. Sinfonie
Eine neue Reihe für die Neue Musik
Auf Wunsch von Vladimir Jurowski gibt das Enescu-Festival auch der Musik des 21. Jahrhunderts, die - bislang reduziert auf die rumänische Avantgarde - in der Nische existierte, mehr Raum. In der neuen Konzertreihe in Kooperation mit dem rumänischen Rundfunk stehen zeitgenössische Werke einheimischer Komponisten neben denen international anerkannter Größen wie Jörg Widman, Arvo Pärt oder Magnus Lindberg, von denen einige auch in einem mehrteiligen Gesprächsforum in einen Dialog treten. Mihai Constantinescu wünscht sich neue Publikumssegmente:
"Ich hoffe, dass die jungen Leute hinkommen werden. Sie wissen, dass zeitgenössische Musik nicht leicht im Ausland ist, es sind mehr Leute auf der Bühne als im Saal, aber mit diesen wichtigen Leuten zum Beispiel Goldenthal, MacMillan - das wäre vielleicht interessant zu hören, weil in Rumänien die zeitgenössische Musik nicht gut präsentiert wurde. Ich bin mir nicht sicher, dass ein so großer Saal wie im Radio, wo die Konzerte stattfinden, voll sein wird. Es sind 900 Plätze. Aber trotzdem glaube ich, 400, 500 Leute werden kommen. Das ist ein Anfang."