Archiv

Bukarest vor 25 Jahren
Bergarbeiter gehen gewaltsam gegen Oppositionelle vor

Die demokratische Opposition in Rumänien warf dem Ceaușescu-Nachfolger Ion Illiescu im Jahr 1990 vor, ein neues autoritäres Regime aufbauen zu wollen. Ihr Protest endete am 14. Juni blutig. Die Regierung hatte 25.000 Minenarbeiter angestachelt, die Aufstände niederzuschlagen.

Von Doris Liebermann |
    Bergarbeiter verprügeln am 18. Juni 1990 auf offener Straße einen Demonstranten. Rund 8.000 Bergleute aus den rumänischen Kohlerevieren kamen nach den gewalttätigen Unruhen in Bukarest Präsident Iliescu zu Hilfe.
    Bergarbeiter in Bukarest verprügeln auf offener Straße einen Demonstranten. (picture-alliance / dpa )
    "Aus allen Landesteilen, in Sonderzügen und mit Busflotten herangebracht, strömten 25.000 Minenarbeiter in die Metropole. ... Bewaffnet mit Knüppeln, wuchtigen Äxten und dicken Gummischläuchen mit massiven Metallkupplungen an beiden Enden, nahmen sie, als hätten sie lange für diesen Augenblick geübt, entschlossen und brutal Besitz von der Metropole."
    So beschrieb das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Juni 1990 die gewalttätigen Ausschreitungen rumänischer Bergarbeiter gegen Oppositionelle in Bukarest. Schon im Januar und Februar 1990 waren in der rumänischen Hauptstadt Bergleute gegen Gegner des provisorisch amtierenden Präsidenten Ion Illiescu vorgegangen – vermutlich in dessen Auftrag. Sie stammten meist aus dem Schil-Tal, eine große, im Südwesten Siebenbürgens gelegene Bergbauregion. Als Gegenleistung erhielten sie mehr Lohn und mehr Lebensmittel, auch ihre Arbeitszeit wurde reduziert. Warum sich ausgerechnet der Stand der Bergleute auf politische Schlachten einließ, erläuterte damals der Ostwissenschaftler Wolf Oschlies:
    "Die Bergarbeiter, das sind in Rumänien Menschen, die von einem besonderen Glorienschein umgeben sind. Diese Bergarbeiter aus dem Schil-Tal, Valea Juilui, das waren die, die bereits 1977 Ceausescu Steine um die Ohren warfen. Die Bergarbeiter sind die Aktivisten der Hungeraufstände, die es in den Jahren danach hier und da mal gab, und vor allen Dingen sind sie die Aktivisten der Revolution des Dezember. Diese Menschen also zu rufen, das war schon nicht ungeschickt. Tatsache ist aber andererseits auch, dass seit 1977 die Bergarbeiter aus dem Schil-Tal besonders von der Securitate überwacht wurden, so dass Illiescu hier möglicherweise ins eigene Messer gelaufen ist: er wollte die Helden der Revolution und hat bekommen die Securitate-Leute, die sich bei diesen Bergarbeitern auch – und nicht zu wenig – verborgen haben."
    "Alle wollten die Redefreiheit haben"
    Nach dem Sturz von KP-Chef Nicolae Ceaușescu im Dezember 1989 hatte die Nationale Rettungsfront unter Ion Illiescu, auch er ein Funktionär der Kommunistischen Partei, die Macht übernommen. Die demokratische Opposition warf Illiescu vor, ein neues autoritäres Regime errichten zu wollen, das aus alten Parteikadern bestand. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 20. Mai 1990 wurde Illiescu in seinem Amt bestätigt. Schon vor der Wahl kam es zu Protesten der bürgerlichen Opposition, Abend für Abend fanden sich Tausende Menschen auf dem Bukarester Universitätsplatz ein. Einige Dutzend Dauerdemonstranten übernachteten dort in Zelten und erklärten den Platz zu einer "kommunismusfreien Zone". Eine ihrer Hauptforderungen war, dass Funktionäre der ehemaligen Kommunistischen Partei und – damit auch Illiescu - keine Regierungsämter ausüben dürften. Der in Paris lebende rumänische Historiker Matei Cazacu hielt sich zu dieser Zeit in Bukarest auf:
    "Die Bürger, die fühlten sich bedrängt, in einem Forum sich zu sammeln. Das war eigentlich, was in diesem Platz passierte. Alle wollten die Redefreiheit haben."
    "...unter den Augen völlig teilnahmsloser Polizisten und Soldaten"
    Nach gescheiterten Verhandlungen über die Räumung des Platzes kam es am 11. Juni zu gewalttätigen Aktionen von Polizei und Armee. Als am Morgen des 14. Juni 1990 Tausende Bergleute mit Sonderzügen und Bussen in Bukarest eintrafen, eskalierte die Gewalt. Noch einmal der "Spiegel":
    "So als wären sie die einzig legitime staatliche Autorität mit allen Vollmachten, stoppten die Banden der Bergleute wahllos Privatautos und Busse, zerrten Passagiere auf die Straße, prüften ihre Papiere und knüppelten sie erbarmungslos nieder – unter den Augen völlig teilnahmsloser Polizisten und Soldaten."
    Auch die Zentralen der beiden größten Oppositionsparteien wurden verwüstet und oppositionelle Zeitungsredaktionen angegriffen, außerdem kam es zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Roma, die mit dem Konflikt gar nichts zu tun hatten. Mindestens sechs Menschen wurden von Bergleuten zu Tode geprügelt, mehr als 500 verletzt, 1.200 festgenommen. Der Anführer der Bergleute, der Bergbauingenieur Miron Cozma, wurde erst später, nach weiteren Ausschreitungen, zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Ion Illiescu, der am 20. Juni 1990 in sein Amt eingeführt wurde, konnte indes seine Macht stärken: er war bis 1996 Präsident Rumäniens, und dies noch einmal von 2000 bis 2004.