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Bulgarien
Die ärmste Region der EU

Der EU-Beitritt löst nicht zwangsläufig die Probleme eines Landes - wie Bulgarien deutlich zeigt. Arbeitslosigkeit und Armut haben ganze Landstriche entvölkert. Im Nordwesten des Landes leben nur noch wenige Menschen - allein unter Wölfen.

Von Andrea Beer |
Ein Mann geht in Sofia an den Flaggen Bulgariens und der EU vorbei
Flaggen Bulgariens und der EU in Sofia (EPA)
Natsa Ivanova warnt vor ihrem schwarzbraunen Mischlingshund. Aufmerksam bewacht er das alte Haus, den weitläufigen Garten, die Hühner, die Kaninchen und damit die Lebensgrundlage der alten Dame. Die 71-Jährige wohnt fast alleine im Dorf Kratschimir und statt Nachbarn kommen Schakale und Wölfe. Sie sagt:
"Hier haben wir Schakale. Eines Abends war einer direkt am Haus. Wir leben ja am Wald. Sie kommen oft bis hierher ins Dorf. Normalerweise überfallen die Schakale keine Menschen, nur Haustiere. Wenn es aber ein ganzes Rudel ist und sie Hunger haben, überfallen sie alles."
Die graugelockte Bulgarin im bunten Wollpulli bückt sich mühsam und lockt ihre Kaninchen mit Futter. Der Albino sei doch eine Schönheit. Kratschimir ist eines von vielen verlassenen Dörfern im ländlichen bulgarischen Nordwesten. Natsa Ivanova ist einsam hier und außer einem Magengeschwür quälen sie die Ängste der dunklen Nacht. Sie erzählt:
"Vor zweieinhalb Jahren ist mein Mann gestorben. Und meine Kinder wollen mich überreden, zu ihnen zu ziehen nach Belogradtschik. Aber ich kann dieses Haus nicht einfach so im Stich lassen."
140 Euro Rente nach vierzig Jahren Arbeit
Denn irgendwie geht es - auch mit lächerlichen 140 Euro Rente nach vierzig Jahren Arbeit. Brot bringt der Sozialdienst, Gemüse wächst im Garten, Eier legen die Hühner und ihre Zwillingssöhne aus der Stadt schauen nach ihr. Und schön oder nicht: Gerade haben sie sieben der Kaninchen geschlachtet. Deren Fleisch gart in einem großen gelben Topf.
Der Nordwesten Bulgariens war schon immer arm
Der Nordwesten Bulgariens war von jeher eine arme Gegend. Früher gab es große Himbeer- und Erdbeerplantagen, auf denen auch Natsa Ivanova pflückte. Später ackerte sie in der nun stillgelegten Telefonfabrik in Belogradtschik. Sie findet, der Bürgermeister dort könnte sich auch mal wieder blicken lassen. Dieser lacht, als wir das ausrichten. Er kenne die alte Dame und alle Probleme der 17 umliegenden Dörfer die zu Belogradtschik gehören, sagt Boris Nikolov. Kein Arzt, schlechte Straßen, keine Läden, kein Kontakt. Doch auch wenn Touristen die berühmten Felsen der Umgebung besuchen, sind die Gemeindekassen leer. 11.000 Menschen hatte die Gemeinde bis zur Wende. 6.500 sind es heute. Von der EU habe man sehr profitiert betont der Bürgermeister:
"Doch seit 30 Jahren leben wir in einer paradoxen Situation: Es kommen keine Investoren hierher, denn es gibt keine Arbeitskräfte mehr, auch nicht für wenig qualifizierte Arbeiten. Und wegen fehlender Investitionen wiederum verlassen die Menschen massenhaft die Region. Das ist ein Teufelskreis."
"Es herrscht Anarchie."
Den Kommunismus wolle er nicht zurück, betont Bürgermeister Boris Nikolov, doch die neoliberale Privatisierung nach der Wende habe staatliche Strukturen und wichtige Gemeindebetriebe zerschlagen. Doch die Wirtschaft investiere gar nicht in Arbeitsplätze.
"Heute ist es schwer, das alles wiederaufzubauen. Es herrscht Anarchie."
Immerhin: Die Gemeinde Belogratschik besitzt viele Wälder, und Privatfirmen dürfen dort günstig fällen. Die Auflage: Billig Brennholz in die verlassenen Dörfer zu verkaufen - auch an Natsa Ivanova. Diese träumt inzwischen weiter vom früheren Dorfleben und kommt wieder auf ihr Haus zurück:
"Meine Schwiegereltern haben es mit viel schwerer Arbeit und in großer Armut gebaut. Ich kann es nicht einfach so verfallen lassen. Mein Herz lässt es nicht zu."