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Bulgarien
"Wir sind alle Thraker"

Bulgarien war im Laufe der Jahrtausende Siedlungsort vieler Völker. Davon zeugen noch heute zahlreiche Spuren: Der Reichtum an archäologischen Schätzen und Kulturdenkmälern ist groß. Wenn Bulgaren über ihre Geschichte und ihre Wurzeln sprechen, wenden sie sich besonders gerne einem Volk zu, das eigentlich längst verschwunden ist.

Von Tom Schimmeck |
    Touristen genießen den Blick auf Plowdiw in Bulgarien.
    Touristen genießen den Blick auf Plowdiw in Bulgarien. (picture alliance / dpa / Vladimir Yanev)
    "Dieses Mosaik wurde nicht bewegt, es ist so erhalten, wie es gefunden wurde." Georgi Thrak, Direktor der Firma Thrak Art, präsentiert seine Schätze. "Das hier war der Eingang. Da vorne gab es eine Tür mit zwei Marmorsäulen."
    Sein Museum liegt im Zentrum von Plowdiw – auf Souterrain-Höhe. 1980 waren bei Straßenbauarbeiten antike Mosaike entdeckt worden, halbe Straßenzüge, 2.000 und mehr Jahre alt. Die Stadt in Zentrum Bulgariens gilt als eine der ältesten Städte Europas – bewohnt seit mindestens 8.000 Jahren. Hier haben viele ihre Spuren hinterlassen.
    Die Thraker haben es Herrn Thrak, 55, besonders angetan. Sie sind seine Mission. Als junger Kunststudent hieß er noch Georgi Iwanow, genau wie der erste bulgarische Kosmonaut. Es waren Zeiten, erinnert er sich, da Vorfahren nicht so wichtig waren.
    Thrakische Stämme sind nur wahren Experten bekannt
    "Wir waren stolz auf die Atomkraftwerke, auf die Flüge im Weltraum, aber nicht auf etwas, das in der Erde vergraben war."
    Aus Iwanow wurde Thrak. Die Thraker, glaubt er, seien sozusagen das bulgarische Urvolk.
    "Es gibt mittlerweile Studien die zeigen, dass die Bulgaren zu 54 Prozent thrakische DNA haben."
    Homer hatte Thrakien einst als eine "Heimat schneller Rösser" gepriesen. Herodot meinte, nach dem indischen sei das thrakische Volk "das größte der Erde." Der griechische Dichter Archilochos nannte sie – weniger enthusiastisch – "die mit den Haaren am Arsch."
    Doch eigentlich machten die Thraker in den letzten 1.500 Jahren nicht mehr viel her. Thrakische Stämme wie Geten, Daker, Myser, Triballer und Odrysen sind nur wahren Experten bekannt. Römer, Griechen, Makedonier, Perser, Slawen und Osmanen dominierten das Terrain.
    Ein Volk auf der Suche nach einer neuen Identität?
    Früher hieß es: Die Ur-Bulgaren seien als Slawen aus dem Norden gekommen. Manche Bulgaren wollen nun keine Slawen mehr sein, wiewohl sie eine slawische Sprache sprechen und in kyrillischen Buchstaben schreiben.
    Thrak: "Das ist doch ein Witz: Die haben uns versucht zu erzählen, dass wir krumme Beine hatten, auf unseren geliebten Pferden aus dem Norden kamen und die Römer vertrieben haben.
    Ein Volk auf der Suche nach einer neuen Identität? Funde großer thrakischer Goldschätze lösten in Bulgarien in den letzten Jahrzehnten immer wieder Begeisterung aus. Schon zu kommunistischen Zeiten gab es Versuche einer Idealisierung der Thraker. Als 1967 das Zentralkomitee der Bulgarischen KP eine "patriotische Erziehung" beschloss, beschwor Staats-und Parteichef Toder Schiwkow das "thrakische Blut ". 1972 wurde ein Institut für Thrakologie geschaffen.
    Das Thrakertum, findet Valeria Fol, Wissenschaftlerin und Witwe von Alexander Fol, Gründungsdirektor des thrakischen Instituts, werde immer bedeutsamer.
    "Für die bulgarische Gesellschaft ist das unheimlich wichtig. Weil es das Erbe vor Gründung des bulgarischen Staates ist."
    Ohne Thraker ist Bulgarien nicht denkbar
    Bulgarien feiert heute einen "Thrakertag" und diverse thrakische Tanz- und Gesangs-Festivals. Manche betreiben die Identitätssuche auch mit dem Spaten: auf der Suche nach noch größeren Schätzen. Gedenkorte entstehen, vor allem für "Kapitan Petko Wojwoda", als Revolutionär und Freiheitskämpfer gefeiert, geboren 1844 im osmanischen Reich, wo er die "Thrakische Vereinigung" gründete. Ihm hatten schon die Kommunisten in den 80ern eine TV-Serie spendiert.
    Fol sagt: Ohne Thraker ist Bulgarien nicht denkbar. "Das ist sehr wichtig, weil es zeigt: Das thrakische Substrat ist bei der Gründung Bulgariens sehr stark."
    Kritiker halten die Thraker-Euphorie für den Versuch einer Verklärung, warnen vor einer eskapistischen Suche nach alter "Größe", die politisch gefährlich werden könnte.
    "Ich freue mich natürlich über dieses Interesse. Aber Wirtschaft ist natürlich wichtiger. Und manchmal scheint mir, dass wir hier in Bulgarien versuchen, Wirtschaft mit alter Geschichte zu vermischen. Und das ist aber ein bisschen gefährlich."
    Schon immer – und gerade auf dem Balkan, wo so viele Völker zuhause waren, – sei Kultur Austausch gewesen, sagt etwa der Archäologe Lyudmil Vagalinksi.
    "Das ist ein Ausgang für die Seelen der Leute. Wenn die Wirtschaft nicht gut läuft und man etwas Gutes sehen will in seinem Land, dann wendet man sich zur Geschichte."