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Bullmann: Länderabstimmung ist ein gravierender Fehler

Der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann kritisiert: Wer ein Instrument wie den Euro-Rettungsschirm so konstruiere, dass 17 Parlamente über jede Aktion abstimmen müssten, wisse nicht, wie die Märkte funktionierten. Er fordert die Erweiterung des Rettungsschirms zum Eurofonds, um Europa handlungsfähiger zu machen.

Udo Bullmann im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Das Nein der slowakischen Abgeordneten gestern Abend war eindeutig, doch möglicherweise ist es nicht endgültig, denn in den kommenden Tagen könnte das Parlament noch einmal zusammentreten und in einem zweiten Anlauf den Rettungsschirm doch noch billigen. Wie geht es jetzt weiter in der Slowakei?

    Das gestrige Nein aus Bratislava war ein Schock für alle Euro-Retter, doch der Schock war erwartbar, er zeichnete sich ab. In Brüssel mitgehört hat Udo Bullmann, im Europäischen Parlament ist er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Abgeordneten und wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Guten Tag, Herr Bullmann.

    Udo Bullmann: Schönen guten Tag, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Nationale Machtspiele blockieren eine gesamte Gemeinschaft, Herr Bullmann. Schadet das der Demokratie in Europa?

    Bullmann: Ja natürlich tut es das. Aber man muss sagen, es gibt Ursachen dafür, dass das überhaupt möglich ist. Als dieser Mechanismus, der Rettungsmechanismus eingesetzt wurde im Frühling letzten Jahres, haben die Staats- und Regierungschefs einen gravierenden Fehler gemacht. Wir im Europäischen Parlament waren dafür, das Instrument als einen europäischen Gesetzgebungsakt zu installieren, ganz normal: die Kommission macht einen Vorschlag, das Staatenhaus und das Volkshaus, das Europäische Parlament, einigen sich auf die Ausgestaltung dieses Rettungsschirmes. Ein solches europäisches Gesetz hätte diese Spiele verunmöglicht. Die Kommission war dafür. Seinerzeit hat Frau Merkel durchgesetzt, dass es ein sogenanntes zwischenstaatliches Instrument wird. Dieses zwischenstaatliche Instrument hat den Nachteil, dass sie dann in jedem einzelnen Mitgliedsstaat abstimmen müssen, das erleben wir heute und irgendwo gibt es dann immer die wahren Finnen, die 1,8-Prozent-Partei von Herrn Rösler, oder jetzt die Partei von Herrn Sulik in der Slowakei, die den Blockadepunkt darstellt.

    Dobovisek: Eine Blockade heißt aber immer auch, dass es trotzdem Gegenstimmen gibt, und wenn die Mehrheit eines nationalen Parlamentes gegen eine solche Entscheidung abstimmt, dann heißt das doch auch, dass wir sonst diesem Parlament mit einer Mehrheitsentscheidung den Mehrheitswillen aufzwingen würden.

    Bullmann: Nein. Ich glaube, man muss die Europäisierung anders betreiben. Man muss zunächst einen Grundsatzbeschluss herbeiführen, ob die nationalen Parlamente wollen, dass wir einen europäischen Rettungsfonds installieren. Das in der Tat ist die Angelegenheit der nationalen Parlamentarier. Danach muss man diesen Fonds arbeiten lassen. Man kann nicht erwarten - Herr Regling, ein sehr erfahrener Manager mit viel politischer Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland, in den Ministerien, in der Europäischen Kommission, verantwortet die Handlungen dieses Rettungsfonds -, man kann ihm nicht zumuten, dass er jede Aktion, die manchmal über Nacht erfolgen muss, um die Situation in den Mitgliedsstaaten zu retten, mit 17 Parlamenten abstimmen muss. Das ist eine aberwitzige Vorstellung. Wer ein solches Instrument konstruiert, weiß nicht, wie die Märkte funktionieren und ist von vorvorgestern. Das ist eine Misskonstruktion derer, die Europa wollen, aber Europa nicht den nötigen Handlungsspielraum geben, und das muss scheitern und wir erleben das ständig, jetzt am schwächsten Glied. Ich hoffe, dass es am Donnerstag dann in Bratislava gut geht, und dann sind wir gerade noch mal davon gekommen. Aber grundsätzlich müssen wir das ändern.

    Dobovisek: Wie schwierig, wie gefährlich wird denn dieses ewige Vabanque-Spiel für die Zukunft Europas?

    Bullmann: Man muss sehen, auch wieder ganz wichtig, diese Entwicklung an den Märkten, das Spekulieren gegen einzelne Mitgliedsstaaten innerhalb der Europäischen Union gibt es ungefähr seit dem Herbst 2009, also seitdem die Daten über die griechische Situation bekannt waren. Das ist aber nicht gegen Griechenland alleine eingesetzt worden, sondern gegen Portugal, gegen Spanien, jetzt gegen Italien auch. Wir wissen, dass die zentralen Spekulationsinstrumente noch nicht vom Markt sind. Das Europäische Parlament ist gegenwärtig dabei, Gesetzgebungen zu machen für oder zur Regelung von Ratingagenturen, damit Ratingagenturen keinen Freifahrtschein mehr haben, die Situation als Brandbeschleuniger zu verwenden.

    Dobovisek: Brauchen wir eine europäische Ratingagentur?

    Bullmann: Aber ganz sicher! Ganz sicher! Wir sind auf dem Weg, aber viel zu langsam, weil es viel zu lange auch blockiert wurde. Wir wollen die Kreditausfallversicherungen verbieten, wenn dahinter nicht wirklich auch der Besitz von Staatsbonds, also von Staatsschuldtiteln steht. Nur das Handeln, das spekulative Handeln damit ist krisenbeschleunigend, wie wir im italienischen Fall von vielen Investmentbanken gesehen haben über die Sommerpause. Wir sind im Begriff, dieses Instrument verbieten zu wollen, wenn es nur spekulativ benutzt wird, aber die Finanzminister blockieren es immer noch, auch diese Woche weiterhin. Wir hoffen, dass wir dann nächste, übernächste Woche dazu kommen. Das sind die gleichen Leute, die sich zu Hause beschweren, dass Europa nicht handlungsfähig ist, die dann mit ihren Bürokraten in Brüssel dafür sorgen, dass das Gesetz nicht gemacht wird, und damit dauert alles länger. Das muss man sehen. Das ist der Hintergrund überhaupt der spekulativen Verwerfungen an den Märkten, und deswegen muss da endlich durchgegriffen werden.

    Dobovisek: Brauchen wir für eine solche schnellere Entscheidung eine Überarbeitung, eine Reform des Lissabon-Vertrags, oder ist der einfach nur falsch angewendet worden?

    Bullmann: Ich glaube, dass innerhalb des Lissabon-Vertrages sehr viel mehr geht, als das die Staats- und Regierungschefs wahrnehmen oder wahrnehmen wollen. Wir könnten sehr wohl mit dem bestehenden Instrumentarium effektive Wirtschaftsregierung machen, wenn wir denn wollten, aber dann müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern zu Hause erklären, dass das einen Politikwandel erfordert, und zu diesem Politikwandel sind viele nicht bereit. Deswegen verstecken sie sich hinter einer Änderung der Verträge.

    Dobovisek: Wie teuer käme uns dieser Politikwandel?

    Bullmann: Die Spekulationsinstrumente zu verbieten, kostet gar nichts. Im Gegenteil: es saniert die Haushalte, weil wir dann umso weniger Geld für Rettungsschirme ausgeben müssen, je funktionstüchtiger die Finanzmärkte wieder werden und je mehr die Finanzmärkte an der realen Wirtschaft, an dem gesunden Investor ausgerichtet werden. Das ist keine teure Maßnahme, das ist eine Sparmaßnahme sozusagen für die öffentlichen Haushalte. Dahinter brauchen wir ganz sicherlich die Weiterentwicklung des Rettungsschirms zu einem europäischen Währungsfonds, der wie ein Währungsfonds am Markt auch agieren kann und sich nicht bei 17 Finanzministern und deren manchmal sehr fragilen Mehrheiten rückversichern muss.

    Dobovisek: Sie haben, Herr Bullmann, die Situation in der Slowakei angesprochen, mit den Liberalen dort als Blockierer. Blicken wir auch auf die Sozialdemokraten im slowakischen Parlament. Sie haben sich der Stimme gestern enthalten, wollen aber bei weiteren Zugeständnissen zustimmen, Zugeständnissen etwa wie einer künftigen Regierungsbeteiligung. Kann ein Sozialdemokrat in Brüssel das gut heißen?

    Bullmann: Wir haben ja in Deutschland einen bewusst anderen Weg gewählt. Wir haben mit Frank-Walter Steinmeier in der Fraktionsspitze gesagt, Europa ist eine Frage der staatspolitischen Vernunft für jeden deutschen Politiker, und deswegen: so abgewirtschaftet die Regierung von Frau Merkel sein mag, wir werden den proeuropäischen Kurs umsetzen und das war richtig. Ich bin nicht befugt und dazu fehlt mir auch vielleicht die Detailkenntnis, mich in die Kleinteiligkeit der slowakischen Politik zu verlieren. Hier hat die Opposition ein anderes Spiel gespielt. Sie haben gesagt, sie wollen proeuropäisch abstimmen, aber sie wollen nicht einer abgehalfterten Regierung weiter dazu verhelfen, im Amt zu bleiben. Wenn sie ihr Versprechen einlösen und die Sache kommt am Donnerstag vom Tisch, dann ist in der Tat noch nichts verloren, aber natürlich darf Europa nicht in das Renkekalkül der kleinteiligen nationalen Politik an dieser Stelle gehen. Dazu ist Europa viel zu wichtig.

    Dobovisek: Der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. Vielen Dank für das Gespräch.

    Bullmann: Auf Wiederhören! Vielen Dank.


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