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Bund der Steuerzahler zu Nachtragshaushalt
Holznagel: Gigantisches Polster auf Kosten der Steuerzahler

Die gigantische Neuverschuldung, die das Bundeskabinett beschlossen habe, hält der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, für nicht gerechtfertigt. Finanzminister Olaf Scholz wolle ein Polster für den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr anlegen, kritisierte Holznagel im Dlf, statt konjunkturelle Maßnahmen Stück für Stück zu justieren.

Reiner Holznagel im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Der Präsident des Bundes der Steuerzahler Deutschland (BdSt), Reiner Holznagel, spricht am 05.10.2017 in Berlin während der Pressekonferenz zur Vorstellung des Schwarzbuchs "Die öffentliche Verschwendung 2017/2018".
Rücklagen, die man habe, parke man und versuche, sie in den nächsten Jahren erst anzuzapfen, sagte Holznagel, Präsident Bund der Steuerzahler, im Dlf. Das sei "unseriöse Haushaltspolitik". (dpa-Zentralbild)
Das Bundeskabinett hat heute den zweiten Nachtragshaushalt für dieses Jahr beschlossen. Der sieht noch einmal neue Schulden vor - rund 62 Milliarden Euro mehr als beim ersten Nachtragsetat im März im Anfangsstadium der Coronakrise. Damit steht dann die aktuelle Neuverschuldung für dieses Jahr bei über 218 Milliarden Euro. Der Bundestag muss der Überschreitung der Schuldengrenze mit Kanzlermehrheit voraussichtlich Anfang Juli noch zustimmen.
Reiner Holznagel ist Präsident beim Bund der Steuerzahler. Das ist ein eingetragener Verein, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Ausgabenpolitik der Regierung zu kontrollieren.
Coronavirus
"Gigantische Neuverschuldung, die jetzt gar nicht mehr so gerechtfertigt ist"
Tobias Armbrüster: Herr Holznagel, ist etwas verkehrt daran, wenn der Staat in Krisenzeiten neue Schulden macht?
Holznagel: Überhaupt nicht. Das ist sogar vorgesehen und dazu bietet die Schuldenbremse auch die Ausnahmemöglichkeit. Insofern war es auch richtig, dass man zu Beginn dieser Pandemie-Bekämpfung deutlich gemacht hat, dass der Staat mit Hilfen zur Seite steht, dass die Wirtschaft unterstützt wird, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterstützt werden. Das ist alles völlig in Ordnung. Aber mittlerweile sind wir in einer zweiten Phase und wir reden über eine gigantische Neuverschuldung, die beispielsweise jetzt gar nicht mehr so gerechtfertigt ist. Sie hatten in dem Beitrag ja auch von kleinen Tricksereien gesprochen und wir sehen, dass viele Milliarden geparkt werden, die jetzt eigentlich noch gar nicht notwendig sind.
"Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit müssen auch in Krisenzeiten gelten"
Armbrüster: Dann würden Sie es lieber sehen, wenn der Finanzminister jetzt Schulden aufnimmt und dann im nächsten Jahr noch einmal?
Holznagel: Zur Haushaltspolitik gehört immer die Haushaltswahrheit und die Haushaltsklarheit. Es sind Steuermittel, die der Bundesfinanzminister hier einsetzt, und diese Steuermittel müssen von jedem Steuerzahler jedes Jahr aufgebracht werden. Deswegen ist es richtig, dass auch jedes Jahr eine spitzgenaue Abrechnung gemacht wird. Das verpflichtet letzten Endes die Politik, auch sorgsam mit den Mitteln umzugehen.
Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel. Wir haben in der Soforthilfe 50 Milliarden Euro an Soforthilfe-Maßnahmen für kleine und mittelständische Unternehmen zur Verfügung gestellt. Diese Mittel sind noch gar nicht abgelaufen. Wahrscheinlich sind erst mal 17 bis 18 Milliarden Euro geflossen; der Rest wird irgendwo geparkt. Und was passiert jetzt mit dem Geld? – Das sind kleine Beispiele, wo wir sehen, dass Geld da ist und dass neue Ausgaben kreiert werden, ohne dass wirklich Notwendigkeiten vorliegen. Deswegen muss Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit auch in Krisenzeiten gelten.
Olaf Scholz (SPD, l), Bundesfinanzminister, Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, auf einer Pressekonferenz zum Konjunkturprogramm im Rahmen der Coronahilfen am 12.06.2020 in Berlin
Konjunkturpaket / Notgedrungen eine Art von Symptombekämpfung
Die Regierung führe das Land bislang mit ruhiger Hand durch die Krise, meint Theo Geers. Doch solange das Virus nicht medizinisch beherrschbar sei, bestehe Gefahr, dass die Milliardenausgaben nur ein Strohfeuer entfachten.
Scholz wolle "ein Polster auch für den Bundestagswahlkampf anlegen"
Armbrüster: Herr Holznagel! Die aktuelle Krise zeigt ja, dass die Bundesregierung teilweise auch sehr schnell reagieren muss. Ist es dann nicht sinnvoll, wenn sie Geld im Rückhalt hat?
Holznagel: Selbstverständlich, und das hat sie ja auch. Aber hier werden mehrere Tricks auf einmal angewendet. Beispielsweise gibt es ja immer noch eine Rücklage, die sogenannte Asylrücklage von 50 Milliarden Euro. Da hätten in diesem Jahr elf Milliarden Euro entnommen werden müssen, um den Haushalt auszugleichen. Das wird aufgeschoben. Das heißt, die Rücklagen, die man hat, die parkt man und versucht, sie in den nächsten Jahren erst anzuzapfen. Das halte ich für eine unseriöse Haushaltspolitik und damit täuscht man auch dem Steuerzahler eine Notlage vor, die im Bundeshaushalt gar nicht so existent ist. Anders herum: Man will sich ein Polster auch für den Bundestagswahlkampf anlegen, der ja im nächsten Jahr stattfindet.
"Es geht um sinnvolle Verschuldungspolitik"
Armbrüster: Sie sprechen an, dass man auf andere Rücklagen zugreifen könnte, die erst mal zusammenstreicht. Ist das denn jetzt die richtige Zeit, um Geld zu sparen?
Holznagel: Na ja. Es geht ja gar nicht ums Sparen. Es geht darum, sinnvoll Ausgaben zu gestalten, und es geht um sinnvolle Verschuldungspolitik. Dass Schulden gemacht werden müssen, das ist völlig klar. Das bestreiten auch wir nicht. Aber die Höhe ist doch der Punkt und wir machen mittlerweile sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Neuverschuldung, über 200 Milliarden Euro. Das halte ich für viel zu viel und damit wird auch ein falsches Signal gesetzt.
Auch wir sprechen nur über das Konjunkturpaket, aber den Substanzhaushalt, das was regulär sowieso weiterläuft, das spielt zurzeit gar keine Rolle mehr. Aber immerhin sind das auch über 360 Milliarden Euro und insofern ist mittlerweile so viel Geld im Umlauf, dass niemand mehr tatsächlich auf Effizienz und Nachhaltigkeit achtet. Und Sparen, das spielt bei der Bundesregierung überhaupt keine Rolle mehr. Da ist der Rotstift völlig vergessen worden, was auch aus unserer Sicht sehr kritikwürdig ist.
Heil (SPD): "Wir können um jeden Arbeitsplatz kämpfen und das tun wir auch"
Trotz aller Anstrengungen könne in der Krise nicht jeder Arbeitsplatz erhalten werden, sagte Arbeitsminister Heil (SPD) im Dlf. Aber was jetzt mit dem Konjunkturpaket investiert werde, sei richtig gut angelegtes Geld.
"Wir dürfen ja die Substanzverschuldung nicht vergessen"
Armbrüster: Das heißt, wenn wir jetzt die Beteuerung aus der Bundesregierung hören, dass das Geld innerhalb von einer Generation zurückgezahlt werden soll –das wurde jetzt ja so zitiert, haben wir gerade gehört -, das glauben Sie nicht?
Holznagel: Doch, das glaube ich schon. Das schreibt auch die Schuldenbremse vor und das ist auch eine richtige Maßnahme. Aber es ist ja nur ein Teil des Geldes. Es werden ja nur 118 Milliarden Euro zurückgezahlt. 100 Milliarden werden irgendwo geparkt. Und wie gesagt: Wir dürfen ja die Substanzverschuldung nicht vergessen. Wir haben ja zwei Billionen Euro auf der Schuldenuhr zu stehen. Und worüber überhaupt keiner redet sind die sogenannten Verpflichtungen, die der Staat eingegangen ist. Was ist, wenn die Lufthansa es nicht schafft? Was ist, wenn viele andere Unternehmen es nicht schaffen? Was ist, wenn die Deutsche Bahn nicht aus den roten Zahlen kommt? All das spielt ja in der öffentlichen Diskussion noch gar keine Rolle.
Ich will deutlich sagen: Ich halte es für falsch, dass der Bundesfinanzminister auf Kosten der Steuerzahler den Eindruck erweckt, dass diese Krise mit links zu bewältigen ist und dass wir alles über neue Schulden erledigen. Das ist schlicht und ergreifend falsch und das täuscht auch letzten Endes eine Harmonie vor, die gar nicht so existent ist.
"Schulden von heute sind die Verpflichtungen von morgen"
Armbrüster: Sie haben jetzt mehrmals gesagt, Sie finden 218 Milliarden Euro an Neuverschuldung zu viel. Wie viele Milliarden dürften es denn Ihrer Meinung nach sein?
Holznagel: Ich würde erst mal einen Kassensturz vorschlagen und dann würde ich auch erst mal vorschlagen, dass die einzelnen Maßnahmen, die wir im Konjunkturpaket besprechen, evaluiert werden. Wenn sie wirken, dann ist es wunderbar. Dann wird auch die Wirtschaft florieren. Und man sollte Stück für Stück nachjustieren.
So wie Sie es eingangs schon gesagt haben: Ich halte es dann auch für besser, im nächsten Jahr noch mal Schulden aufzunehmen. Aber immer Spitz auf Kante zu rechnen, so dass der Steuerzahler das Gefühl hat, dass er nicht über Gebühr belastet wird, und dass die künftige Generation auch nicht das Gefühl hat, dass sie hier Hypotheken aufgebürdet bekommt, für die sie letzten Endes einstehen muss, auch das gehört zur Wahrheit. Die Schulden von heute sind die Verpflichtungen von morgen und das sollten wir immer wieder berücksichtigen.
Prüfen, ob die konjunkturellen Maßnahmen wirken
Armbrüster: Aber, Herr Holznagel! Wenn jetzt die Bundesregierung wieder in diesen Rhythmus zurückkommen würde, jedes Jahr mit der Auflage des neuen Haushalts werden auch wieder neue Schulden aufgenommen, ist das nicht genau das, wogegen Sie sich und Ihr Verein sich immer gesträubt haben, dass dieses Schuldenmachen quasi schon zur Regel wird?
Holznagel: Wenn das Schuldenmachen letzten Endes dazu beiträgt, dass wir alle anderen Ausgaben effizient überprüft haben, dass Sparpotenziale ausgelotet worden sind und auch gehoben worden sind, wenn das Schuldenmachen dazu beiträgt, dass Wirtschaftswachstum entsteht, dann haben wir auch nichts dagegen, und das sieht ja auch die Schuldenbremse vor. Es ist ja eine Mär zu sagen, mit der Schuldenbremse darf man überhaupt keine Schulden aufnehmen.
Wir haben nur etwas dagegen, wenn Schulden aufgenommen werden für Konsumausgaben, wenn Schulden nicht effizient genutzt werden, um Wirtschaftswachstum zu generieren, und wenn die Staatsverschuldung am Ende auch noch dazu beiträgt, dass die Steuer- und Beitragslast steigt. Das alles sind die Komponenten, die wir berücksichtigen müssen, und vor dem Hintergrund halte ich es für sinnvoll, jedes Jahr behutsam und sorgfältig zu überprüfen, wie hoch ist tatsächlich der Finanzbedarf, wirken die konjunkturellen Maßnahmen, brauchen wir andere Mittel, sind Steuersenkungen nicht das bessere Mittel. All das muss immer wieder neu diskutiert werden.
Das was Olaf Scholz jetzt macht, ist das Ansparen eines dicken fetten Polsters, um im nächsten Jahr zu sagen, siehe her, ich brauche keine Schulden, und damit will er sich sonnen, obwohl er in diesem Jahr gigantische Schulden aufgenommen hat.
"Ist ein Polster erst da, dann folgen auch die Ausgabenwünsche"
Armbrüster: Da kann ich mir vorstellen, an diesem Punkt sagen viele Menschen, die uns jetzt zuhören, das hätten wir tatsächlich lieber, wenn der Finanzminister da ein Polster hätte, um möglicherweise, wenn die Krise noch mal schärfer wird, wenn wir eine zweite Welle von Corona-Infektionen bekommen, dass dann das Geld da ist. Was sagen Sie denen?
Holznagel: Ich glaube es nicht, weil wir auch sehen, dass viele Ausgaben für sehr viel Ärgernis bei den Steuerzahlern sorgen. Nehmen Sie allein den Bundestag mit 709 Abgeordneten. Der kostet uns jedes Jahr eine Milliarde Euro. Wir geben jedes Jahr 50 Millionen Euro für Regionalflughäfen aus, die zurzeit überhaupt nicht benutzt werden. Wir legen gerade Sparmaßnahmen vor, in denen auch im Detail aufgelistet wird, was mit diesem Polster am Ende tatsächlich passiert, und das ist doch die Frage. Wir brauchen immer eine kritische Überprüfung derjenigen Ausgaben, die auch anstehen, und meine Erfahrung in der Politik, gerade in der Bundespolitik, die ist doch diese: Ist ein Polster erst da, dann folgen auch die Ausgabenwünsche. Aber umgedreht muss doch letzten Endes das Maß sein. Erst muss mal ein Ausgabenwunsch formuliert werden. Der muss dann auch bewiesen werden, dass der notwendig ist. Erst dann sollte das Geld locker gemacht werden und nicht umgedreht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.